Freiheit auf Zeit. Kristina Müller

Freiheit auf Zeit - Kristina Müller


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Atlantik- und die Äquatorüberquerung mit Kurs Brasilien sind Premieren für Schiff und Crew, die nun richtiges Blauwasserleben kennenlernt – und sich dabei von vielen Paaren auf Langfahrt unterscheidet: Es ist Tatjana, die Ozeanpassagen mehr abgewinnt als Tom. Sie genießt das Segeln und das Leben an Bord. »Das ist für mich, im wahrsten Sinne des Wortes, Freiheit.« Für Tom hingegen »war Ankommen stets wichtiger und das Schiff eher Mittel zum Zweck, Orte dieses Planeten zu erreichen, an die sonst keiner kommt«. Es ist auch Tatjana, die auf größere Segelerfahrung zurückblickt und für den Feintrimm zuständig ist. Auch wenn dieser, zugegeben, auf einem 16 Tonnen schweren Kimmkieler keine allzu große Rolle spielt.

      Dennoch ist die Rollenverteilung an Bord in vielerlei Hinsicht klassisch. Tatjana navigiert, Tom repariert, manövriert und pflegt die Maschine. Die Frage, wer denn eigentlich Skipper sei, drängt sich dennoch auf. »Ja, das ist immer so ein Thema«, sagt Tatjana und lacht. »So ganz geklärt haben wir das nie.« »Aber wenn die Behörden im Hafen an Bord kommen und einen Mann und eine Frau sehen, bin ich automatisch ihr Ansprechpartner«, ergänzt Tom. Auf See teilen sie die Verantwortung und wechseln sich nachts im Drei-Stunden-Rhythmus ab.

      Ein Virus ohne Gegenmittel

       Sie will nicht mehr zurück in gesellschaftliche Zwänge und schlägt vor, das Haus in Deutschland zu verkaufen. Auszusteigen.

      Die Ankunft in Rio de Janeiro hat das Duo sich anders vorgestellt: Kaum ist der Anker unter dem Zuckerhut gefallen, rasen sie mit Schlauchboot und Taxi zum nächsten Krankenhaus. Bei einem Segelmanöver war Tatjanas linker Ringfinger zwischen Block und Schot geraten. Das Resultat: ein durchtrenntes Sehnenband im Finger und eine stark blutende Wunde. Eine Verletzung, die heilt und schnell vergessen ist. Doch etwas anderes, nur schwer Heilbares (»schlimmer als ein Bakterium, denn dagegen gäbe es wenigstens ein Antibiotikum«), befällt die Krankenschwester: Der Langfahrtvirus erwischt Tatjana in Brasilien mit Macht. Sie will nicht mehr zurück in gesellschaftliche Zwänge und schlägt vor, das Haus in Deutschland zu verkaufen. Auszusteigen.

      Es ist ausgerechnet der Abenteurer Tom, der eigentlich erst so richtig glücklich ist, wenn der Adrenalinpegel im Blut auf Anschlag steht, der Einwände hat. Er antwortet: »Wenn du mir sagst, wie wir das finanzieren wollen, dann lass uns das machen.« Seine gesicherte Rückkehr an den Arbeitsplatz ist ein weiterer Grund, am Plan festzuhalten. »Damals wussten wir noch nicht«, so Tatjana heute, »dass sich unterwegs so viele Möglichkeiten zum Arbeiten ergeben würden. Als Tauchlehrer oder in der Vercharterung beispielsweise. Aus Deutschland zu kommen ist da von großem Vorteil.«

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      So aber, es ist Herbst 2006, nimmt eine neue Idee an Bord der BREAKPOINT Gestalt an: Im Anschluss an Kap Hoorn soll es um die Welt gehen. Tom beantragt ein weiteres Jahr Urlaub, da sie ahnen, dass die Zeit für die komplette Runde sonst knapp wird. Denn das oberste Ziel ist, das Schiff unversehrt nach Hause zu bringen. Um irgendwann, das steht schon fest, noch einmal aufzubrechen.

      Kreise vor Kap Hoorn

      Zunächst aber steht der raue Ritt gen Süden an, entlang der argentinischen Küste, wo Stürme und rasante Wetterumschwünge zum Alltag gehören. BREAKPOINT bewegt sich in einem losen Konvoi aus Segelyachten, die alle dasselbe unwirtliche Ziel haben. Außerdem kommt mit Walter, Rentner und Stegnachbar von der Trave, ein echter »Salzbuckel« an Bord. Zwei Hände mehr geben ein gutes Gefühl und für Walter geht ein Lebenstraum in Erfüllung.

       Dorthin, wo es keine Marinas mehr gibt und keinen Mobilfunkempfang. Wo Retter weit weg sind und Ruhe den Weitgereisten belohnt.

      Schon in Hamburg hat Tatjana die Navigation bis hierher geplant, nach Feierabend in der Bibliothek des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie gestöbert und Seite um Seite aus Fachbüchern studiert. Nun bekommen die Namen von einsamen Orten und abgelegenen Buchten endlich scharfe Konturen vor dem tiefblauen Südhimmel, nun ist Ushuaia endlich mehr als nur ein Sehnsuchtsziel. In Puerto Williams, auf der chilenischen Seite des Beagle-Kanals, beantragen sie die Weiterfahrt nach Süden. Dorthin, wo es keine Marinas mehr gibt und keinen Mobilfunkempfang. Wo Retter weit weg sind und Ruhe den Weitgereisten belohnt.

      Für Teilnehmer einer Nonstop-Hochseeregatta markiert die Passage des zornigen Zipfels Südamerikas den Weg vom Pazifik in den Atlantik quasi im Vorbeifahren. Die Kap-Hoorn-Rundung eines Fahrtenseglers kommt dagegen meist einer gezielten Expedition gleich. So auch für Tatjana und Tom, die mit Walter und zwei dänischen Seglern an Bord in fünf Tagen von Puerto Williams zur Isla Hornos und zurück segeln. Während Walter mit BREAKPOINT Kreise vor dem legendären Felsen zieht, fährt der Rest der Crew abwechselnd mit dem Beiboot an Land. Ankern ist auf dem zerklüfteten Grund zu gefährlich, die See zu rau. Einen Besuchssteg gibt es am Ende der Welt noch nicht.

      Die folgenden Monate zeigen, dass BREAKPOINT nicht ohne Grund eine autarke Aluminiumyacht mit einer sechs Zentimeter dicken Isolierung ist, einen Dieseltank für 1000 Liter und ein ausgeklügeltes Heizsystem hat: Ihren Eignern gefällt die südchilenische Einsamkeit so gut, dass aus den geplanten drei Monaten vor Ort fast ein ganzes Jahr wird. Durchatmen, Ski laufen, einsam ankern, Spanisch lernen. Nur gelegentlich steuern sie Ushuaia an, um die Vorräte aufzufüllen. Erst am Ende des südlichen Winters, im Oktober 2006, brechen sie nach Norden auf und genießen drei Monate lang die eisige Schönheit Patagoniens. Nicht ohne den Risiken des Reviers zu begegnen: Ein unberücksichtigter Winddreher treibt eines Nachts Eisschollen in die Bucht, in der die Reinke ankert. Nur mit der vollen Kraft der Maschine arbeiten sich die Hamburger Meter um Meter aus der Falle heraus.

      Next Stop: Hongkong

       Glasfassaden der Wolkenkratzer, grelle Werbebanner und übervolle Supermärkte lösen einen kleinen Kulturschock aus.

      Im Januar 2007, nach knapp zwei Jahren in Südamerika, ist die Zeit für den Absprung über den Pazifik gekommen. Der Faserpelz verschwindet im Kleiderschapp, nun ist Adamskostüm angesagt. Auf dem Weg nach Nordwesten besuchen Tatjana und Tom Rapa Nui, die Osterinsel. An Pitcairn, rund 1000 Seemeilen im Westen, müssen sie vorbeisegeln. Die Wettersituation macht das Ankern vor der schroffen Felsküste zu gefährlich. Nach Monaten in der Südsee, als das Gros der Segler vor der Wirbelsturmsaison nach Süden ausweicht, ändert BREAKPOINT den Kurs nach Norden. Das Ziel: die Metropolen Hongkong, Singapur, Kuala Lumpur. Nach der Abgeschiedenheit und Armut vieler Pazifikinseln lösen die Glasfassaden der Wolkenkratzer, grelle Werbebanner und übervolle Supermärkte einen kleinen Kulturschock bei dem Paar aus. Doch eine Segelpause ist willkommen: An der Nordspitze der Philippinen waren sie in die Ausläufer eines Taifuns geraten. Drei Tage lang Windstärke zehn und Hiobsbotschaften von in der Nähe gesunkenen Schiffen sorgen dafür, dass »eine kleine Auszeit nötig war«, sagt Tom.

      So trödeln sie durch Malaysia und tauchen in die südostasiatische Kultur ein. Überlegen sogar zu bleiben, ein Haus zu kaufen. Und halten am Ende doch wieder am Ursprungsplan fest. Inzwischen ist es August 2008, und angesichts der noch vor ihnen liegenden Tausenden von Seemeilen durch den Indischen Ozean und um Afrika herum wird die Zeit knapp. Zumal aus einem »kurzen Tankstopp« auf den Seychellen ein Aufenthalt von sechs Wochen wird. »Wir haben einfach unheimlich nette Menschen getroffen und sind nicht losgekommen«, erklärt Tatjana. Kurz erwägen sie die Abkürzung durch den Suezkanal. Aber die Warnung vor Piraten und der Wunsch, Südafrika zu bereisen, sind Gründe genug, die Inseln mit dem Bug in Richtung Tansania zu verlassen. Ein Garant, der Kriminalität auf See zu entgehen? Mitnichten: »Nur eine Woche nachdem wir von den Seychellen losgesegelt waren, wurden dort britische Segler entführt. Mitten im Indischen Ozean«, erinnert sich Tom.

      Ein Angebot im Südatlantik

      Im April 2009 steigt ein zweites Mal Walter zu, um auch die Rundung des nicht weniger anspruchsvollen Kaps der Guten Hoffnung mitzuerleben. Danach zeigen die Segler ihrem behäbigen Schiff, was »Meilen machen« heißt. Endspurt, BREAKPOINT soll im Herbst wieder


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