Freiheit auf Zeit. Kristina Müller
merkten, wie entschlossen ich war, meinten sie: ›Junge, komm heil wieder, dann kannst du unsere IVALU für zwei Jahre haben.‹« Es ist der Schlüsselmoment, loszusegeln.
Martin legt seinen Job als mittlerweile selbstständiger Skipper auf Eis und kratzt die Ersparnisse zusammen. Von Sponsoren oder zahlenden Gästen will der junge Mann sich nicht abhängig machen. »Ich wollte einfach weg und frei sein.« Ein Freund wird ihn jedoch begleiten; Johannes, der zwar kein erfahrener Segler ist, aber genauso begeisterungsfähig.
Weihnachten feiert die Crew auf hoher See, spielt »Schneeflöckchen, Weißröckchen« auf der Mundharmonika, bei 30 Grad im Schatten.
Am 15. September 2010 werfen der 25-jährige Martin und der 24-jährige Johannes in Kiel die Leinen los. Zwei Jahre soll die Reise dauern, entlang der Barfußroute um die Welt. Jahre später wird Martin sagen: »Es hat Wochen gedauert, bis ich wirklich kapiert habe, was los ist.«
Junge Crew mit altem Antrieb
Als Martin und Johannes nach 2600 Meilen auf den Kanaren ankommen, hat sich Bordroutine eingestellt. Sie haben sich an Wachwechsel, den Sternenhimmel und an das, was sich wie die große Freiheit anfühlt, gewöhnt. In beständigem Passatwind segelt IVALU im Dezember 2010 über den Atlantik. Weihnachten feiert die Crew auf hoher See, spielt »Schneeflöckchen, Weißröckchen« auf der Mundharmonika, bei 30 Grad im Schatten.
In der Karibik ergänzt Martins Schwester Barbara, 24 Jahre alt, das Herrenduo zum munteren Trio. Sie hat unbezahlten Urlaub, um bis Fidschi an Bord zu bleiben. Weitere Freunde wollen später dazustoßen. Die IVALU-Crew macht Anstalten, das Durchschnittsalter der Weltumsegler rekordverdächtig zu senken.
Alles könnte perfekt sein, wäre da nicht ein Problem mit dem einen Ausrüstungsteil, das Segler zwar vermeintlich nicht brauchen, ohne das sie aber dennoch meist aufgeschmissen sind: der Motor. IVALUS alter Diesel streikt ständig. Für die Passage des Panamakanals scheint er sich noch einmal zusammenzureißen und stirbt dann, kaum dass sich die Schleusentore zum Pazifik wieder geschlossen haben, endgültig. Niemand kann helfen, niemand weiß Rat.
Eine defekte Maschine ist jedoch nichts, was jemanden wie Martin, der von Computern und Smartphones so viel hält wie Fische von Anglern, lange aufhalten würde. »Wir wollen nach wie vor eine Weltumsegelung, keine Weltummotorung machen«, steht später im Logbuch. Ohne funktionierenden Motor geht es zu den Galapagosinseln, um Blaufußtölpel, Meeresechsen und Riesenschildkröten zu sehen.
Zickzack im Pazifik
Es bleibt nichts anderes übrig, als den Anker zu kappen und das Weite zu suchen.
Dort fällt Martin eine Entscheidung, die nur wenige Weltumsegler treffen: nach Süden abzuknicken, zur Osterinsel. Dem einsamen Flecken im Südostpazifik, der eher auf der Route der Kap Hoorniers als auf dem Weg der Barfußsegler liegt. Martin zieht er mit der rätselhaften Vergangenheit seiner weltberühmten Steinstatuen an. Nicht minder spannend, nicht minder abgelegen: Pitcairn, die Insel, auf der die Nachfahren der BOUNTY-Meuterer noch heute leben. Isoliert, ohne Flughafen und Hafen, mit nur einem unwirtlichen Ankerplatz. Für IVALU wird er zum Hexenkessel: An der rauen Küste steigen Brecher ins Cockpit, alle Versuche, den Anker zu bergen, misslingen. Es bleibt nichts anderes übrig, als ihn zu kappen und das Weite zu suchen. Nächster Halt: die Gambierinseln im Südosten Französisch-Polynesiens. Hier vereiteln Tage später starker Wind, starke Strömung und der fehlende Motor das erfolgreiche Anlanden ganz und gar. Nach acht Stunden gescheiterter Versuche dreht IVALU ab, Kurs Tahiti.
Dort lassen Martin und Barbara nach der spannenden Überfahrt die Seele baumeln – zu zweit jedoch, Johannes hat die Reise beendet. Am Boot ist reichlich zu tun, und der junge Skipper trifft eine Entscheidung: Ein neuer Motor muss her, ohne geht es nicht. Er ist von dem Konzept eines Elektromotors überzeugt, dessen Versand in die Südsee zudem weniger kostet als der eines neuen Dieselantriebs. Nach Fidschi soll das Modell aus den USA geliefert werden, dort liegt das nächste Ziel der IVALU.
Robinson ist hängen geblieben – ein großes Problem bei einem straffen Zeitplan und einem schmalen Budget.
Auf den Einbau folgt jedoch Ernüchterung statt Erleichterung: Das heiß ersehnte Teil funktioniert nicht. Ersatzteile lassen auf sich warten, Tage und Wochen verstreichen und auch der Moment, um noch sicher in der Saison weiterzusegeln. Robinson ist hängen geblieben – ein großes Problem bei einem straffen Zeitplan und einem schmalen Budget. Für zwei Jahre hätten Martins Ersparnisse gereicht. 500 Euro pro Monat und Mitsegler hat er kalkuliert, jeder zahlt für sich selbst. Das ist zwar knapp, reicht aber – bis zum Motor-Aus.
Eine Idee ist, während der anstehenden Zyklonsaison in Australien oder Neuseeland zu arbeiten. »Aber wir waren ja nicht zum Arbeiten auf Weltumsegelung, sondern um etwas zu sehen«, lacht Martin. Es wird Plan B: ein Jahr länger segeln, das dabei entstehende Zeitfenster mit einer Route zu den abgelegenen Inseln des Nordpazifiks füllen und später durch Südostasien segeln. IVALUS Eigner in der Heimat zeigen sich wieder als Eltern, von denen weltumsegelnde Kinder träumen: Sie verzichten ein weiteres Jahr auf das Familienschiff und borgen Geld für die nächsten zwölf Monate.
Und so fährt IVALU zickzack auf dem Pazifik. Auf den weiten Schlag nach Süden folgt die lange Tour nach Norden. Sie will gut vorbereitet sein, da nur wenige Crews in die Richtung segeln. Tankstellen für Weltumsegler gibt es dort nicht. Frischwasser und Proviant werden bis zum Anschlag gebunkert, ein Haufen Geschenke für Tauschgeschäfte auf den Inseln ohne Bargeldverkehr kommt an Bord: »Angelhaken, Köder, Messer, Taschenlampen und bayerische Bierkrüge im Miniformat kamen immer gut an«, sagt Martin. Ein freundlicher Australier, der gerade aus dem Norden kommt, schenkt ihnen die nötigen Seekarten und Gastlandflaggen.
Ein heißer Tropfen auf einem rollenden Stein
Barbaras Urlaub ist vorbei, dafür kommt die Studentin Corinna an Bord. Und mit ihr ein Umweltprojekt, das diese Weltumsegelung noch ungewöhnlicher machen soll, als sie es ohnehin schon ist: Corinnas Initiative »Ivalu & You« soll auf die Verschmutzung der Meere aufmerksam machen.
»Unser Ziel war es, in den Ländern der Reise Workshops mit Kindern durchzuführen, um sie auf spielerische Art und Weise für die Müllproblematik zu sensibilisieren«, sagt Martin. »Natürlich war das vielfach nur ein Tropfen auf einem heißen Stein. Aber an manchen Orten haben wir vielleicht einen kleinen Stein ins Rollen gebracht.« Auf den Fidschi-Inseln beginnen sie, besuchen später Schulen in Tuvalu, Mikronesien und auf den Philippinen. Aus angeschwemmten Plastikteilen bauen Corinna und Martin Mülltonnen mit den Kindern der Pazifikinseln. Produkte in Verpackungsmaterial werden hier mit dem Versorgungsschiff angeliefert – der entstehende Plastikabfall begräbt manch kleine Insel.
Woher weißt du, dass schon März ist?
Ihre Energie wird nach wie vor von der Achillesferse der Reise in Anspruch genommen.
Etwa 15 Schulen besuchen Corinna und Martin während der Reise – weit weniger, als geplant war. Denn ihre Energie wird nach wie vor von der Achillesferse der Reise in Anspruch genommen – dem neuen Motor, der immer noch nicht so läuft wie er soll. Martin verdächtigt einen defekten Sensor, schuld daran zu sein, dass sie alle Riffpassagen und Ankermanöver unter Segeln statt unter Maschine absolvieren müssen. »Es war zwar cool, wenn man durch einen langen Pass segelt, seitlich die Wellen brechen und einen die alten Segler in der Hafenkneipe später ungläubig anschauen und fragen: ›Ihr seid da reingesegelt, oder?‹«, lacht Martin. »Aber ich würde es nicht noch mal machen.«
Seine Reiseplanung muss mangels Maschine besonders vorausschauend und exakt sein. Um durch die teils langen und engen Riffdurchfahrten zu gelangen, müssen Wind und Strömung aus der richtigen Richtung kommen, das Sonnenlicht von oben