Freiheit auf Zeit. Kristina Müller

Freiheit auf Zeit - Kristina Müller


Скачать книгу
Manövern, die die Crew stets mit einer geschützten türkisfarbenen Lagune belohnen. »Manchmal mussten wir zwei bis drei Tage vor einer Insel warten, bis die Bedingungen stimmten«, erzählt Martin. »Unter Motor kann man im Notfall noch mal abdrehen, unter Segeln hat man nur eine Chance. Kreuzen im Pass war mit einem Schiff wie IVALU quasi unmöglich.« Manchmal taucht Corinna vorher hindurch, um Tiefe und Kurven auszuloten. Manchmal helfen andere Segler oder Einheimische mit dem Dingi bei der Ausfahrt.

       Einladungen auf eine Kokosnuss anstatt zum Feierabendbier, Regenwasser fangen statt Wasserhahn aufdrehen.

      Doch bei allem Pech mit dem elektrischen Antrieb: »Im Nachhinein war die Panne mit dem Motor ein Glücksfall. Mit dem Verpassen der Saison begann ein neues Segeln, bei dem wir die Möglichkeit hatten, Orte und ihre Bewohner über einen längeren Zeitraum hinweg kennenzulernen. Die Tour über Tuvalu, Mikronesien und Palau zu machen, war die beste Idee der Weltumsegelung.« Die Inseln beeindrucken Martin mit der Gastfreundschaft ihrer in Einfachheit lebenden Bewohner. Kaum Internet, kein Handyempfang. Dafür Tauschgeschäfte statt Kreditkartenzahlung, Einladungen auf eine Kokosnuss anstatt zum Feierabendbier, Regenwasser fangen statt Wasserhahn aufdrehen. Verabredungen nicht zu einer Uhrzeit, sondern zum Sonnenuntergang. Einmal wird den jungen Seglern strahlend erzählt, dass sie nur knapp einen anderen deutschen Reisenden verpasst hätten – der Landsmann hatte die Insel zwei Jahre zuvor besucht. Das Zeitgefühl dieser anderen Welt überträgt sich auf das Paar. Auf Corinnas Aussage »Du, es ist schon März«, ist Martins Antwort: »Woher weißt du so was?«

      Sie sind im Paradies für Robinson.

      34 Tage im Südchinesischen Meer

      Umso gewaltiger ist der Kulturschock, als die IVALU-Crew im Frühjahr und Sommer 2012 durch Südostasien segelt. Laute Städte, Millionen Menschen. Reizüberflutung. Großes Plus der Region jedoch: Es gibt Segelmacher für IVALUS lädierte Tücher, volle Supermärkte, aber auch einsame Buchten für die Momente, in denen der Skipper den Pazifik vermisst.

       »Die Überquerung des Verkehrstrennungsgebiets war, wie eine vierspurige Autobahn zur Hauptverkehrszeit auf Krücken zu überqueren.«

      Zeit für Wehmut bleibt nicht lange, denn der lahmende Motor führt auch zu verlängerten Aufenthalten an Orten, die man eigentlich möglichst schnell wieder verlassen will. Die Straße von Singapur und die Malakkastraße gehören dazu. Martin: »Abertausende von Schiffen drängen sich hindurch, noch mal so viele liegen zu beiden Seiten vor Anker. Der Panamakanal ist ein Witz dagegen. Die Schiffe sind bis zu 350 Meter lang und teils mit über 20 Knoten unterwegs. Die Überquerung des Verkehrstrennungsgebiets war, wie eine vierspurige Autobahn zur Hauptverkehrszeit auf Krücken zu überqueren.«

      Zu dem Schiffsverkehr im Südchinesischen Meer gesellen sich heftige Schauerböen und Unwetter, Flauten, leichte, drehende Winde und starke Strömungen. Dem neuen Fahrplan hinkt die Crew durch das ständige Warten auf Ersatzteile für den defekten Antrieb und andere Reparaturarbeiten wieder hinterher. Der Nordost-Monsun hat bereits auf Südwest gedreht – und kommt nun direkt von vorn. 34 Tage brauchen Martin und Corinna kreuzend für die Strecke von den Philippinen nach Singapur, die eigentlich in der Hälfte der Zeit zu schaffen wäre.

      In Phuket machen sie IVALU fit für den Indischen Ozean: Neue Leinen, ein neues Großsegel und, oh Wunder, der E-Motor wird endlich zum Laufen gebracht. Corinna muss zurück nach Deutschland, um ihr Studium fortzusetzen. Dafür kommt spontan der 20-jährige Thomas an Bord, ein ehemaliger Segelschüler von Martin, der gerade sein Abitur gemacht und nun Lust auf Abenteuer hat. Die soll er erleben.

      Achterbahn im U-Boot

       Ein Zyklon heftet sich auf dem dritten Ozean der Reise an ivalus Fersen. Seine Zugbahn scheint mit dem Kurs der Yacht identisch zu sein.

      Denn ein Zyklon heftet sich auf dem dritten Ozean der Reise an IVALUS Fersen. Seine Zugbahn scheint mit dem Kurs der Yacht identisch zu sein. Martin beschließt, ein Ausweichmanöver nach Süden zu fahren. Rund 500 Seemeilen Umweg, doch die Alternative wäre, direkt ins Zentrum des Tropensturms zu geraten – mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ende der Reise. Ausläufer mit 55 Knoten Wind erwischen IVALU dennoch, knapp eine Woche herrscht Ausnahmezustand an Bord, vergleichbar einer Achterbahnfahrt im U-Boot. Martin und Thomas verriegeln Schotten und Luke und verbringen eine Woche am ruhigsten Punkt der Yacht: mittschiffs auf dem Kajütboden. Frohnatur Martin kann selbst dem etwas Gutes abgewinnen: »Es war ehrlich gesagt eine ziemlich gemütliche Woche«, erinnert sich der mittlerweile 32-Jährige. »Vorher war ich sehr angespannt. Aber als es dann losging, war das weg. Da wir weit von allen Schifffahrtsrouten entfernt waren, konnten wir relativ sicher sein, dass kein anderes Schiff aufkreuzt.«

      Als Martins 28. Geburtstag an jenem Novembertag auf dem Indischen Ozean ansteht, ist der Zyklon abgezogen, der Passatwind schiebt wieder und langsam wird es kälter. Nachts herrschen nur noch 20 Grad – nach einer gefühlten Ewigkeit ein Anlass, die lange Kleidung wieder herauszusuchen.

      In Südafrika ist Martin froh über helfende Hände beim Anlegen. Längst nicht mehr überraschend: Der Motor will wieder nicht. Doch Mutter Lilli und Schwester Barbara sind schon da, um Weihnachten an Bord zu feiern. Ohnehin nutzt die junge Crew gern jeden Anlass zum Feiern: Oktoberfest, Karneval, jede Äquatorüberquerung, der 1000. Tag auf See oder der Jahrestag des Ablegens in Kiel. Ein Schluck für Rasmus gehört immer dazu.

      Plötzlich wieder Wassertiefen

       »Wir haben zwei Anläufe gebraucht und das Beiboot ist gekentert. Aber es hat sich gelohnt.«

      Ein letztes exotisches, nur mit dem Schiff zu erreichendes Reiseziel reizt Martin noch. Er segelt nun wieder mit Barbara, Thomas’ Auszeit ging in Südafrika zu Ende. Die Geschwister wollen die Suppenschildkröten beobachten, die einmal im Jahr auf der Atlantikinsel Ascension ihre Eier am Strand vergraben. »Der Aufwand, um die Genehmigung auf Sankt Helena zu bekommen, ist hoch und die Ankerbucht auf Ascension bescheiden«, resümiert Martin. »Wir haben zwei Anläufe gebraucht und das Beiboot ist gekentert. Aber es hat sich gelohnt.«

      Die Kapverdischen Inseln zu erreichen, fühlt sich an, wie nach Hause zu kommen. Die richtige Heimkehr würde Martin gern hinauszögern. »Hätte ich noch etwas mehr Geld gehabt und hätte ich das Schiff nicht wieder abgeben müssen, wäre ich mit Sicherheit wieder in die Karibik gesegelt. Und wäre wahrscheinlich immer noch unterwegs«, lacht der Weltumsegler.

      Irgendwann hilft alles Aufschieben nichts mehr. Martin notiert auf den Kapverden: »Am 1. Mai war eine große Party für die Angestellten im Club Nautico. Dass auch ich eingeladen war, zeigt vielleicht, dass es langsam wirklich Zeit wird, weiterzuziehen.« Nachdem ein weiterer Crewwechsel stattgefunden hat, nimmt er Kurs auf die Azoren, die – wenngleich weit draußen im Atlantischen Ozean gelegen – doch die Rückkehr nach Europa markieren.

      Hier hat der Skipper die erste Erkältung seit drei Jahren und hält den letzten Vortrag über Meeresverschmutzung. Vor der europäischen Küste kommt noch mal Unruhe auf, mangels Vertrauen in den Motor und weil »nach knapp drei Jahren mit Wassertiefen von mehreren Tausend Metern die Nervositätsgrenze schon anfängt, sobald das Echolot überhaupt eine Tiefe findet«. Die letzten Meter in den Hafen von Zeebrügge lässt Martin sich schleppen, und auch für die Passage des Nordostseekanals findet sich ein freundlicher Skipper, der IVALU zieht.

      Am Steg in Kiel wartet das Empfangskomitee aus Familie und Mitseglern der letzten Jahre. Anspannung beim sonst so gelassenen Captain: bloß keine Blamage beim Anlegen!

      Ein Plädoyer von Robinson

      Über das Wiederankommen schreibt Martin: »»Die erste Zeit zurück in Deutschland war – entgegen aller Befürchtungen – supercool. Jedes Wochenende Grillen mit Freunden, super Sommerwetter und eine Willkommensfete, die sich gewaschen hat. Relativ schnell und unkompliziert habe ich einen Job gefunden: alles perfekt gelaufen. Trotzdem:


Скачать книгу