Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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Beglei­ter Ca­me­ra­ri­us kei­nen hat­ten, und lud sie ein, zu ihm ein­zu­stei­gen, er wol­le sie nach Hau­se fah­ren. Sie wä­ren fremd hier, es gäbe al­ler­hand Ge­sin­del und Rauf­bol­de in ei­ner großen Stadt, sie hät­ten selbst po­ku­liert und wä­ren nicht so fest auf den Fü­ßen wie sonst, sie könn­ten in den en­gen Gas­sen einen Schre­cken da­von­tra­gen. Graf Solms dank­te, sie hät­ten nicht weit zur Her­ber­ge und woll­ten ihn nicht be­läs­ti­gen, noch viel we­ni­ger sei­ne Nachtru­he ver­kür­zen. Ob sie ihn für einen al­ten Mann an­sä­hen? frag­te der Erz­bi­schof la­chend; so wol­le er ih­nen et­was Bes­se­res zei­gen. Woll­ten sie nicht mit ihm fah­ren, so wol­le er mit ih­nen ge­hen, der Wa­gen kön­ne lang­sam hin­ter­drein­fah­ren. Es war weit und breit still, man hör­te nichts als das lei­se Sin­gen des Schnees un­ter den Fü­ßen. Hin­ter den Fens­tern war nir­gends mehr Licht, die Ster­ne glit­zer­ten fern und fros­tig, und die Lich­ter in den La­ter­nen, die die Die­ner tru­gen, hüpf­ten wie die Au­gen ei­ner wil­den Kat­ze über den Bo­den. Wie sie über den Platz bei der Em­mer­ans­kir­che gin­gen, schi­en es ih­nen, als ob sich am Cho­re et­was be­we­ge, und in­dem sie sich um­sa­hen, kam zwi­schen den Bäu­men, die dort stan­den, ein ver­hüll­ter Mann her­vor, trat schnell an des Gra­fen Sei­te und bat drin­gend um ein Al­mo­sen. Wäh­rend der Die­ner, dem der Graf einen Wink gab, mit zit­tern­der Hand in der Ta­sche nach ei­ner Mün­ze such­te, schob der Erz­bi­schof sei­ne Pelz­ka­pu­ze zu­rück, trat dicht vor den Mann und sag­te mit laut schal­len­der Stim­me: »Mit­ter­nacht ist kei­ne Zeit, um Al­mo­sen zu bit­ten; wenn du in Not bist, so mel­de dich mor­gen bei mir, dem Erz­bi­schof von Mainz«, wor­auf der Ver­hüll­te au­gen­blick­lich zu­rück­wich und in ei­li­ger Flucht hin­ter der Kir­che ver­schwand. Schweik­hard tri­um­phier­te, er hät­te es vor­aus­ge­sagt, es sei jetzt ein großer Zu­lauf von aben­teu­ern­dem Ge­sin­del in Re­gens­burg, wäre er nicht zur Stel­le ge­we­sen, hät­te der We­ge­la­ge­rer ih­nen noch ein Stück Geld ab­ge­ängs­tigt. Die Her­ren lie­ßen es da­bei, hiel­ten aber da­für, der Mann sei ein Je­suit oder von Je­sui­ten ge­dun­gen ge­we­sen und hät­te es auf einen Mord ab­ge­se­hen ge­habt. Wür­de ein Bett­ler, dach­ten sie, sich in die­sen kal­ten Näch­ten, wo die Vö­gel er­fro­ren, auf die men­schen­lee­re Gas­se stel­len? Wer konn­te sa­gen, ob der Erz­bi­schof nicht von dem schwar­zen An­schlag Wind be­kom­men und ihn aus löb­li­chem An­trieb sei­nes Her­zens zu­nich­te ge­macht hat­te?

      Dem Stell­ver­tre­ter des Kai­sers, Fer­di­nand, wur­de sei­ne Bür­de de­sto läs­ti­ger, je we­ni­ger ein Ende ab­zu­se­hen war. Kam er ver­gnügt von ei­ner Jagd oder Pro­zes­si­on zu­rück, so konn­te er si­cher sein, dass ihn eine un­be­que­me Nach­richt von den Ge­schäf­ten er­war­te­te. Die Ket­zer sei­en nun ein­mal hals­star­ri­ge Esel, sag­te er, ver­geb­lich trak­tie­re man sie mit Hü und Hott, gu­ten und bö­sen Wor­ten, die Bes­tie sei nicht von der Stel­le zu brin­gen. In­zwi­schen wur­de ihm die Mut­ter krank, sorg­te sich die Frau um ihn und um die Kran­ke, ver­lang­te der Bube nach sei­nem Va­ter; er hät­te den gan­zen Kram zu­sam­men­schmei­ßen mö­gen. Da er­eig­ne­te sich ein Zwi­schen­fall, der ihn von ganz an­de­rer Sei­te in die größ­te Be­stür­zung und Drang­sal ver­setz­te. Zu­fäl­li­ger­wei­se näm­lich ge­riet die Kor­re­spon­denz, wel­che von dem im Jah­re 1606 zwi­schen den Glie­dern der habs­bur­gi­schen Fa­mi­lie ab­ge­schlos­se­nen Ver­tra­ge han­del­te, in die Hän­de ei­nes kai­ser­li­chen Be­am­ten, und die sorg­fäl­tig ge­heim­ge­hal­te­ne Ab­ma­chung, ja gleich­sam Ver­schwö­rung wur­de da­durch dem Kai­ser be­kannt. Der Zorn des­sel­ben, der sein Miss­trau­en ge­recht­fer­tigt sah, stieg aufs höchs­te und wen­de­te sich haupt­säch­lich ge­gen Fer­di­nand, den er für an­häng­lich und we­ni­ger ge­fähr­lich als sei­ne Brü­der ge­hal­ten hat­te. Das Herz sank dem Erz­her­zo­ge, als das Miss­ge­schick of­fen­bar wur­de und kei­ne Mög­lich­keit blieb, das Ge­sche­he­ne ab­zu­leug­nen. Zwar wur­den so­fort Brie­fe an den Kai­ser ab­ge­schickt mit Ver­si­che­run­gen, der Ver­trag sei kei­nes­wegs ge­gen sei­ne Ho­heit ge­meint, son­dern hät­te nur für den et­wai­gen, hoch­zu­be­kla­gen­den Fall sei­nes To­des Vor­sor­ge tref­fen sol­len; al­lein sie ver­fin­gen nicht, und es galt nun, einen ent­schie­de­nen Stand­punkt ein­zu­neh­men. Am liebs­ten hät­te Fer­di­nand sich der Gna­de des Kai­sers an­ver­traut und Matt­hi­as ver­leug­net, da der Kai­ser nun ein­mal das recht­mä­ßi­ge Ober­haupt war und zu­nächst den si­chers­ten Schutz bot; in­zwi­schen hat­te Matt­hi­as aber Fort­schrit­te in Un­garn ge­macht, und man muss­te dar­auf ge­fasst sein, dass er den re­bel­li­schen Pro­tes­tan­ten in Böh­men die Hand bot und mit dem Kai­ser ab­fuhr: wo blie­ben dann die­je­ni­gen, die es mit dem Ab­ge­dank­ten ge­hal­ten hat­ten? Im ver­trau­ten Krei­se schimpf­te Fer­di­nand auf Matt­hi­as, der an al­lem schuld sei; hät­te er vor­aus­se­hen kön­nen, dass der de­spe­ra­te Mensch in sol­cher Fu­rie ge­gen den ei­ge­nen Bru­der los­zie­hen wür­de? Die Sup­pe hät­te ih­nen der Khlesl ein­ge­brockt, der mehr als der Gott­sei­bei­uns zu fürch­ten sei; der hät­te dem Matt­hi­as, der ein gu­ter, from­mer Mensch ge­we­sen sei, so lan­ge den Wolfs­pelz um­ge­hängt, bis er ein Wolf ge­wor­den sei. Sei­ne Mut­ter, die Erz­her­zo­gin Ma­ria, die sich in den ver­schie­de­nen Klös­tern, de­nen sie an­ge­hör­te, mit An­dachts­übun­gen auf den Tod vor­be­rei­te­te, stimm­te eif­rig ein und riet zu vor­sich­ti­ger Zu­rück­hal­tung, um es we­der mit Ru­dolf noch mit Matt­hi­as zu ver­der­ben; auch ihr Bru­der, der alte Her­zog von Bay­ern, Fer­di­n­ands Schwie­ger­va­ter, sei der Mei­nung, da Fer­di­nand nun ein­mal in die­ser Klem­me ste­cke, müs­se er ein we­nig dis­si­mu­lie­ren, um Zeit zu ge­win­nen, in­zwi­schen kön­ne dies oder das ge­sche­hen und die Lage sich än­dern.

      Ei­nen Trost ge­währ­te das Aner­bie­ten Schweik­hards von Mainz, er wol­le nach Prag rei­sen und Frie­den stif­ten. Die kai­ser­li­che Ma­je­stät sei zwar ein we­nig spa­nisch und be­son­ders, im Grun­de aber gut und fromm, man müs­se ihn nur zu neh­men wis­sen. In den jet­zi­gen ge­fähr­li­chen Läuf­ten dür­fe nicht noch ein Fa­mi­li­en­streit zu den vie­len im Rei­che ob­schwe­ben­den Zwis­tig­kei­ten kom­men; auch Matt­hi­as mei­ne es ja nicht böse, bei all­sei­ti­gem gu­tem Wil­len wer­de sich die Sa­che wohl wie­der ein­ren­ken las­sen.

      Der Reichs­tag hat­te in­zwi­schen kei­ne gu­ten Früch­te ge­zei­tigt. Im Fe­bru­ar wur­den die würt­tem­ber­gi­schen Ge­sand­ten we­gen des durch einen Schlag­fluss her­bei­ge­führ­ten jä­hen To­des des Her­zogs Fried­rich zu­rück­ge­ru­fen, wor­auf auch die üb­ri­gen Evan­ge­li­schen ei­ner nach dem an­de­ren ab­reis­ten.

      Der Kai­ser hat­te in ohn­mäch­ti­ger Wut zu­se­hen müs­sen, wie Matt­hi­as sich zum Herrn von Un­garn mach­te, und er­fuhr nun auch von sei­nen ge­hei­men Ver­hand­lun­gen mit den un­zu­frie­de­nen böh­mi­schen Stän­den, so­dass er sich nicht mehr ver­heh­len konn­te, wie nahe er dar­an war, auch die böh­mi­sche Kro­ne zu ver­lie­ren. Der zu­ver­läs­sigs­te un­ter sei­nen Rä­ten, Han­ne­wald, wie auch der ihm un­be­dingt er­ge­be­ne ka­tho­li­sche Kanz­ler, Po­pel von Lob­ko­witz, rie­ten ihm bei­de, einen Land­tag ein­zu­be­ru­fen, auf wel­chem die Stän­de ihre For­de­run­gen vor­tra­gen könn­ten; dies sei das ein­zi­ge Mit­tel, das Ver­trau­en wie­der her­zu­stel­len. Han­ne­wald war ein klu­ger, ar­beits­kräf­ti­ger Mann, der ein­zig den Vor­teil des Kai­sers im Auge hat­te, alle Men­schen au­ßer sich selbst ver­ach­te­te und durch nichts


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