Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch
protestantische Adel wirkliche, mit Brief und Siegel beglaubigte Zugeständnisse, namentlich Glaubensfreiheit, die Matthias doch nicht gewähren zu dürfen glaubte. Der nunmehrige König von Ungarn wusste durchaus nicht, wie er diesen gewiegten, redefertigen, grundgelehrten und vorurteilslosen Herren begegnen sollte. Khlesl hatte gut sagen, nun solle er zeigen, dass er dem erhabenen Erzhause angehöre, er müsse ihre Dreistigkeit durch Majestät in Schranken halten; Matthias klagte, es werde ihm übel in den Eingeweiden, wenn er diese Leute nur sähe, der Teufel führe ihnen die Zunge, sie sollten ihm nicht mehr vor die Augen kommen. Hiervon nahm er einzig den mährischen Baron Zierotin aus, der denn auch schließlich die Verhandlungen zu einem Ende brachte, indem er einerseits den Adel in etwas nachzugeben und Matthias den notwendigen Forderungen Genüge zu leisten bestimmte.
Zierotin war ein kluger, feingebildeter, etwas kränklicher Herr, der nach mancherlei Enttäuschungen jugendlicher Begeisterung die aufgeregten Kämpfe seiner Zeit mit melancholischem Zweifel verfolgte. Er war der Ansicht, dass die Evangelischen nicht auf die Gleichberechtigung ihres Bekenntnisses dringen sollten, wenn der Frieden davon abhänge; was verschlage es ihnen, ob sie ihre Andacht in dieser oder jener Kirche verrichteten, ob sie ihre Gebeine auf diesem oder jenem Kirchhof beerdigten, an welchem Orte sie ihren Glauben laut bekennen dürften? Wenn sie nur nicht verhindert würden, Gott in ihrer Weise zu dienen, und nicht gezwungen, Abgötterei zu treiben. Wollten sie mehr erreichen, müssten sie weniger selbstsüchtig und einig untereinander sein. Die Hussiten bekrittelten die Meinungen der Böhmischen Brüder, beide hassten die Lehren der Reformierten, und kaum hinderte sie die gemeinsame Gefahr, sich gegenseitig zu zerreißen. Wie oft hätte er versucht, die Herren aller habsburgischen Länder so zu vereinigen, dass sie einen Körper bildeten, der mächtig allen Gegnern gewachsen wäre; die Eifersucht der Schlesier und Mähren auf Böhmen und Österreich hätte es verhindert. Sie sollten sich mit dem Erreichbaren begnügen, da sie das Vollkommene zu verdienen nicht fähig wären.
Die ungewöhnliche Erscheinung des blassen Herrn im braunen Sammetkleide, dessen traurige Augen Überlegenheit und zuweilen eine leise, zurückgehaltene Verachtung ausdrückten und dessen sanfte Stimme eher zögerte als sich aufdrängte, gewann auf alle solchen Einfluss, dass sie sich, wenn auch widerwillig, fügten. Die Herren zürnten ihm, dass er, von seinem früheren, schärferen Standpunkt abweichend, für Zugeständnisse stimmte, und auch Matthias gab, ohne überzeugt zu sein, mit bekümmertem Gewissen nach.
Wie ein vom Himmel stürzender Donnerkeil traf Matthias die Exkommunikation1 des Papstes, weil er sich mit den Ketzern verglichen und ihnen eine, wenn auch beschränkte, Duldung gewährt habe. Dies sei die Strafe, jammerte er, für sein Rebellieren und Traktieren! Hätte er sich doch niemals so viel unterstanden! Nun ziehe Gott die Hand von ihm ab, und zu so viel Plage und Ungemach auf Erden stehe ihm jenseits noch die Hölle bevor. Khlesl redete ihm ernstlich zu: »Sie nehmen sich die Sache allzu sehr zu Herzen«, sagte er, »die adeligen Herren sind keine Handwerker oder Bauern, die man ohne weiteres in ein Gefängnis werfen oder aus dem Lande jagen kann; man muss mit ihnen dissimulieren, und der Heilige Vater würde es selbst nicht anders machen, wenn er dergleichen Untertanen hätte.« Solange Matthias, fuhr er fort, in seinem Herzen ein guter Katholik sei und sich vorbehalte, die Ketzerei auszurotten, sowie er die Möglichkeit dazu habe, brauche er sich nicht schuldig zu fühlen.
In demselben Sinne sprach sich auch der Beichtvater aus, bei dem Matthias Trost suchte. Er bewog den König, eine ausdrückliche Erklärung insgeheim auszustellen, dass er nur gezwungen den Ketzern nachgegeben habe und den Kampf gegen sie zu gelegener Zeit wieder aufnehmen wolle; wodurch sich denn der zürnende Papst versöhnen ließ.
Unterdessen stritten auch die böhmischen Herren miteinander, um eine gemeinsame Formel für ihre Forderungen zu finden, worüber es beinahe zu vollständiger Entzweiung gekommen wäre. Die Lutheraner und Utraquisten schrieben eine bestimmte Kleidung für ihre Geistlichen vor, während die Böhmischen Brüder der Ansicht waren, Frömmigkeit solle sich durch die Reinheit des Herzens und der Sitten ausdrücken, und es sollten sich deshalb die Geistlichen nicht durch äußerliches Gewand von der Menge unterscheiden. Schon hatten die Lutheraner erklärt, sich lieber von den Katholiken Hunde schelten lassen als den Böhmischen Brüdern die Hand reichen zu wollen, als diese durch Nachgiebigkeit den Frieden wieder herstellten. Nunmehr legten die Einmütigen Rudolf ihre Forderungen vor und drohten, nicht auseinanderzugehen, bis er sie bewilligt habe.
Schrecken und Unruhe bemächtigte sich der Bürger, die nicht wussten, auf welche Seite sie sich bei dem augenscheinlich bevorstehenden Kampfe schlagen sollten. Als Protestanten fühlten sie die Pflicht, zu ihren Glaubensgenossen zu stehen; aber sie waren dem Kaiser, in dem sie einen guten alten kranken Mann sahen, ergeben und betrachteten die adeligen Herren mit Misstrauen. Sie verwünschten das Lärmschlagen und Zusammenrotten, das den Geschäftsgang ins Stocken brachte und Handel und Wandel bedrohte. Nicht mindere Verlegenheit herrschte auf der Burg. Der Kaiser wollte die Abgeordneten nicht vor sich lassen, so erzürnt war er über ihre Dreistigkeit; aber ihre Forderungen geradezu abzuweisen, getraute er sich auch nicht. Auf der anderen Seite mochte er die katholischen Kronbeamten, Lobkowitz, Martinitz, Slawata, seine Unsicherheit nicht merken lassen, die ihn drängten, fest zu bleiben und die Verbündeten als Rebellen zu behandeln. Erzherzog Leopold, der anwesend war, bestürmte ihn, den Krieg entscheiden zu lassen. Er hatte mehrere Offiziere aufgetrieben, darunter Lorenz Ramée, einen wilden Menschen, der im Besitz der feinsten Kriegskunst zu sein behauptete und sich vermaß, ganz Böhmen in einem Feldzuge zum Gehorsam zu bringen. Die Kronbeamten stimmten ihm bei: Rudolf dürfe sich von den Ständen nichts vorschreiben lassen, zeige er ihnen jetzt nicht den Herrn, würde er ihr Sklave werden. Und wenn der Kaiser selbst, sagte Lobkowitz, den Vertrag unterschreibe und ihn bei seinem Leben hieße, es auch zu tun, so würde er doch seinen Namen nicht daruntersetzen. Er sei nicht nur ein Diener des Kaisers, sondern auch Gottes und seines beschworenen Amtes.
Die herrische Art dieses Magnaten erfüllte den Kaiser mit Abneigung und Argwohn; es fiel ihm ein, dass Heinrich III. nicht durch einen feindlichen Ketzer, sondern durch einen seines Glaubens ermordet war. Diese Leute, dachte er, maßten sich mehr an als die Protestanten, während sie doch mehr als jene zur Unterwürfigkeit