Fettnäpfchenführer China. Anja Obst
In Peking ist die Zahl der Autos in den letzten 60 Jahren von ein paar Tausend auf mehrere Millionen angestiegen. Und damit ist auch der Kampf der Stadtregierung gegen den Smog härter geworden.
Es gab bereits mehrere Maßnahmen, um die Zahl der Autos auf den Straßen klein zu kriegen, wie zum Beispiel Fahrverbote für einen Tag in der Woche für Autos mit bestimmten Endziffern im Kennzeichen oder eine Zulassungslotterie. Zulassungen sind noch immer beschränkt und mittlerweile haben die Besitzer von Elektroautos eine größere Chance, ein Kennzeichen zu erhalten, als die, die sich für Autos mit Verbrennungsmotor entscheiden.
Und um den Trend zum E-Auto anzukurbeln, will die Regierung mit gutem Beispiel vorangehen und bringt immer mehr Elektrobusse in den Verkehr. Wie vor einigen Jahrzehnten schon, surren nun die großen Vehikel durch die Straßen. Einziger Unterschied ist, dass dafür keine Oberleitungen mehr notwendig sind.
Nach der Elektrifizierung der Busse sollen auch die Taxen bald nur noch mit Strom fahren und dazu der Anteil privater Elektroautos angehoben werden. Die Regierung hat dafür ein großes Konjunkturprogramm zur Unterstützung der chinesischen Automobilindustrie gestartet. Sowohl die Forschung als auch die Käufer profitieren von den Subventionen.
Was viele noch davon abhält, sich für ein Elektroauto zu entscheiden, sind die geringen Reichweiten. Wer nur innerhalb der Stadt fährt, kann das Auto bequem und günstig zu Hause oder auch an einer der zahlreichen Stationen aufladen. Soll die Reise allerdings weiter weg führen, besteht die Gefahr, nicht früh genug eine Ladestation zu erreichen. Die sind in ländlichen Gebieten eher spärlich gesät und liegen vorwiegend entlang großer Straßen und Autobahnen.
Dennoch liegt China an der Spitze weltweit bezüglich E-Mobilität. Diese Position will Peking beibehalten und verfolgt einen ehrgeizigen Plan für die Expansion der Ladeinfrastruktur. In den Städten muss man übrigens immer damit rechnen, dass die Saftquellen von anderen einfach zugeparkt sind.
Ein anderer Punkt, der auch oft vergessen wird, ist die Herkunft des Stroms. In der Stadt erfreuen sich die Bürger an den leisen Bussen und Autos ohne Feinstaubemissionen und Gestank. Paradox ist: nur wenige Kilometer entfernt, qualmen die Schornsteine der Kohlekraftwerke, die den meisten Strom für die Elektrorevolution liefern.
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SǍO TÀ YǏ YÍNG4
SICH AUF EINEN GAST FREUEN
扫榻以迎
Abgesehen von seinem Wohnheim hat Peter noch kein chinesisches Haus von innen gesehen. Umso mehr freut er sich, den Kleinen Li besuchen zu dürfen. Dieser hatte angeboten, Peter abzuholen, doch dessen Ehrgeiz verbot diesen Luxus. Peter wollte ohne fremde Hilfe das Zuhause seines Freundes finden. Allein ein Taxi zu ergattern ist zwar schon gescheitert, die Wohnung zu finden sollte nun aber ein Klacks sein. Am Eingang des großen Wohnkomplexes hat ihn der Fahrer ja schon abgesetzt. Hinter einem runden Tor, an dem ein gelangweilter Chinese Peter aus einem kleinen Häuschen heraus interessiert betrachtet, befinden sich sechsstöckige Reihenhäuser mit mehreren Eingängen. Zwischen den Häusern parken Autos und Fahrräder, eine chinesische Oma geht mit ihrem Enkel in einem kleinen Garten mit einem großen Baum in der Mitte umher. (Übrigens: An vielen Wohnkomplexen sitzen Sicherheitsbeamte, die ein Auge darauf haben, wer ein- und ausgeht. Nur selten verlangen sie allerdings Ausweispapiere oder die Wohnungsnummer. Das kommt meist nur in teureren Residenzen vor.)
Stirnrunzelnd betrachtet Peter die Adresse, die der Kleine Li ihm gegeben hatte: 6-3-503. Hm, ziemlich viele Zahlen für eine Wohnung. Er schaut sich suchend um und findet eine Zahl, die er glücklicherweise schon gelernt hat: eine Eins auf Chinesisch, direkt über dem Eingang zum Treppenhaus. Erfreut macht Peter sich auf die Suche nach der Sechs, doch bei vier hört es auf. Beim zweiten Häuserblock gegenüber steht wieder eine Vier, diesmal läuft das Prinzip aber andersherum und, wen wundert es, hört bei der Eins wieder auf.
Verwirrt holt Peter den Zettel hervor. Die Oma hat den Ausländer schon längst entdeckt und kommt nun herüber.
ÜBRIGENS
Chinesen sind nicht nur neugierig, sondern auch sehr hilfsbereit. Es ist keine Besonderheit, dass jemand, vor allem ein Ausländer, der grübelnd herumsteht, von einem Chinesen Hilfe angeboten bekommt. Und da der Ausländer wahrscheinlich schon länger beobachtet wurde, weiß der Chinese, wann es Zeit wird, ihm mit Rat und Tat zur Seite zu stehen.
Höflich fragt Peter: »Wo finde ich diese Adresse?«
Statt zu antworten, greift sie einfach an seinen Ärmel und zieht ihn mit sich. (Wundern Sie sich nicht, wenn Sie jemanden zwar chinesisch anreden, dann aber eine gestikulierte Antwort erhalten. Zeigen ist einfacher als beschreiben, denkt sich so mancher Chinese. Die Gefahr, dass der Ausländer kein Wort versteht, ist natürlich immer gegeben.)
Am Ende des Häuserblocks zeigt sie auf ein Haus und schiebt Peter in diese Richtung. Brav trottet er los, ist aber immer noch unsicher. In der gezeigten Richtung stehen mindestens fünf Wohnblöcke.
Damit die alte Dame nicht ihr Gesicht verliert, wandert Peter zum nächsten Wohnblock. An der Seite steht ein Gebäude vertikal und dort entdeckt Peter im dritten Stock außen ein Schild mit der Adresse in Schriftzeichen und die Zahl drei. Jetzt bemerkt er auch an dem Haus neben ihm eine Zahl, die Zwei. Ah, denkt er, das sind also die Hausnummern – und er muss zu Haus sechs!
Dort angekommen kombiniert er rasch: Haus sechs, Eingang drei, Wohnung fünf Null drei.
Mutig betritt Peter Eingang drei. Leider gibt es keine Briefkästen mit Namen, es bleibt ihm nichts anderes übrig, als in den fünften Stock zu klettern. Das Treppenhaus ist dunkel und aus blankem Beton. Selbst die Wände scheinen nie gestrichen worden zu sein. Keine Bilder zieren sie, nur der eine oder andere Fleck nebst ein paar Beulen, die beim Möbeltragen entstanden sein müssen. In einigen Stockwerken liegen gestapelter Weißkohl und Lauch.
ÜBRIGENS
Saisongemüse ist sehr billig in China, da kaufen die Chinesen gerne größere Portionen. Und weil der Kühlschrank für 10 Kilo Kohl zu klein ist, lagern sie ihre Bestände im Treppenhaus. Dort ist es im Winter kalt, denn es gibt keine Heizung und viele Fenster sind undicht oder kaputt. Und offensichtlich sind die Nachbarn alle ehrlich und essen nur ihren eigenen Kohl.
Nach ein paar Stockwerken fällt ihm plötzlich auf, dass er eigentlich erst im dritten Stock sein müsste, an der Wand steht aber eine große, rot umrandete Vier. Nach einer weiteren Etage stehen als Wohnungsnummern 501, 502 und 503. Eigentlich kann es nicht stimmen, gespannt klopft er dennoch an die Tür 503 und hofft, dass der Kleine Li ihm öffnet. (Ich lüfte schon jetzt das Geheimnis: Peter ist im richtigen Stockwerk. Was wir als Erdgeschoss kennen, ist bei den Chinesen schon der erste Stock, yī lóu. Einen ›nullten‹ Stock gibt es ja schließlich nicht. Der Logik nach ist daher das Parterre die erste Etage. Da erscheint der fünfte Stock doch gar nicht mehr so hoch.)
Es ist aber eine Frau mittleren Alters, die die Tür aufmacht. An ihrem herzlichen Grinsen erkennt Peter, dass es die Mutter seines Freundes sein muss, Frau Li.
WARUM FRAU LI EIGENTLICH ZHANG HEISST
Wenn eine Chinesin heiratet, behält sie normalerweise ihren Nachnamen. Sie nimmt nicht, wie in Deutschland früher üblich, den Namen ihres Mannes an. Die Kinder des Paares bekommen in der Regel den Nachnamen des Vaters. Ein Grund von vielen, weshalb ein Großteil der Väter einen Sohn bevorzugt: Er führt den Familienklan fort. Seit 1995 ist es aber möglich, Kindern den Nachnamen der Mutter zu geben. Nach einer neuerlichen Reform können Kinder nun auch Doppelnamen, also sowohl den Nachnamen der Mutter als auch des Vaters, tragen. Bei der Reform stand aber nicht ein vom Aussterben bedrohter Klan Pate des Gedanken, sondern schlicht die Tatsache, dass Nachnamen in China knapp sind. So gibt es auf die Schnelle ungeahnte, schier unerschöpfliche neue Möglichkeiten.
Sie bittet ihn, hereinzukommen, und schiebt ihm