Fettnäpfchenführer Vietnam. David Frogier de Ponlevoy

Fettnäpfchenführer Vietnam - David Frogier de Ponlevoy


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Sprachkenntnis wird die Nahrungsbeschaffung hier wohl schwierig. Florian versucht es mit Zeichensprache: Er deutet auf die Suppe eines Mannes am Nebentisch, und dann gleich noch auf eine im Regal stehende Coladose. »Có quẩy không?«, fragt die Frau. Keine Ahnung, denkt Florian, nickt und lächelt. Die Frau nickt ebenfalls und verschwindet, und Florian wartet gespannt, was als Nächstes passiert.

      Kurz darauf kommt die Frau schon mit der Getränkedose und einem Glas mit Eiswürfeln zurück. Eiswürfel? Florian hatte irgendwo gelesen, dass in tropischen Ländern Eiswürfel brandgefährlich sein können. Er beschließt, seine Cola lieber aus der Dose zu trinken. Sicher ist sicher.

      Als er gerade versucht, sich mit der Cola auf Körpertemperatur anzufreunden, wird ihm, keine zwei Minuten, nachdem er bestellt hat, schon die dampfende Suppenschüssel vor die Nase geschoben: Lange, weiße Nudeln schwimmen in einer heißen Brühe mit Fleischstücken, darüber liegt ein Teppich aus grünen Frühlingszwiebeln und Kräutern. Dazu hat ihm die Frau einen weiteren Teller auf den Tisch gestellt – mit frittiertem Gebäck, das ihn vage an Hunde-Kauknochen erinnert. Ob das wohl eine Vorspeise oder der Nachtisch ist?

      Florian starrt in die Schüssel. Die phở duftet hervorragend. Fleisch und Brühe lassen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen – aber wie lässt sich das jetzt mit Stäbchen und Löffel essen? Als Florian versucht, die Nudeln mit dem Löffel aus der Schüssel zu schöpfen, schlängeln sie sich widerspenstig wieder zurück in die Suppe. Florian schielt verstohlen über den Schüsselrand und sieht, wie andere Gäste die Nudeln mit Stäbchen in den Mund schieben. Er fischt sich zwei Stäbchen aus dem Behälter. Ob die wohl sauber sind?, fragt er sich kurz, aber der Hunger ist stärker. Mutig setzt er zum zweiten Angriff an. Was folgt, ist ein harter Kampf: Florian, mit Stäbchen bewaffnet, gegen ein Rudel glitschiger, rutschiger Nudeln. Fettige Spritzer sprenkeln sein T-Shirt, was Florian im Eifer des Gefechts zunächst nicht einmal bemerkt; die phở ist wahnsinnig lecker. Spontan entwickelt Florian die Kampftechnik, die Nudeln irgendwie in den Mund zu schaufeln und dann abzubeißen. Und schlürfen, schlürfen hilft.

      Florian schaut kurz hoch und sieht, wie zwei Frauen an einem anderen Tisch die ominösen Gebäckstücke in die Suppe tunken. Er packt eines der brettharten Dinger mit den Stäbchen, quetscht es in seine Schüssel und lässt es dort ein bisschen aufweichen. Nicht schlecht!

      »Tolle Sache, diese phở«, sagt er am Abend zu Nina. Gleich nach dem Nachhausekommen hat er rasch sein T-Shirt gewechselt, um die Fettspritzer vor ihr zu verbergen. So viel Selbstrespekt muss sein.

       EINE HERPHỞRRAGENDE SUPPE

      Phở ist für viele Vietnamesen das »perfekte Essen« und gleichzeitig ein »Straßenessen«. Das ist kein Widerspruch, sondern der eine Teil bedingt den anderen. Der französische Chefkoch Didier Corlou hob in einem Interview hervor, die besonderen beiden Eigenschaften der Nudelsuppe seien: »deliziös und günstig«. Entscheidend ist die Brühe. Diese ist das Ergebnis stundenlangen Kochens, angereichert mit allen möglichen Zutaten, vor allem Gewürzen. »Erwarte niemals, dass eine phở aus zwei verschiedenen Küchen gleich schmeckt«, schreibt der Phở-Blogger Cuong Huynh (www.lovingpho.com). Anschließend kommen Nudeln, Fleisch und Kräuter hinzu. Liebhaber schwärmen bei dieser Kombination von den zahlreichen Gegensätzen der Zutaten: weich und bissfest, warm und kühl. Im Unklaren liegt die Herkunft. Die meisten Wissenschaftler sind sich einig, dass phở ungefähr aus der Zeit der französischen Kolonisation stammen muss. Der Hinweis: Vor Ankunft der Franzosen wurden in Vietnam Büffel und Rinder nicht geschlachtet, sondern nur als Arbeitstiere verwendet. Heute ist die nordvietnamesische Rindfleisch-phở der Klassiker unter den Gerichten.

       Was Sie schon immer über Straßenessen wissen wollten

      Das Essen in Straßenküchen gehört mit zu den schönsten Erlebnissen der vietnamesischen Kultur, finden wir. Das Land ist für seine herausragende Küche weltberühmt, und nirgends begegnet man ihr authentischer als in diesen Garküchen, deren kleine Plastiktische und -stühle in groß gewachsenen Europäern dieses Lulatsch-Gefühl erwecken. Manche dieser Küchen wirken auf den ersten Blick schmuddeliger, als sie wirklich sind, völlig auszuschließen sind Gesundheitsrisiken jedoch nie. Einige Westler werden selbst nach jahrelangem, höchst unbekümmertem Verzehr von Straßenessen nie krank, andere erwischt es schon in der ersten Woche, einige verzichten ganz. Selbst das allerdings ist keine Garantie: Auch bei besseren Restaurants besteht eine gewisse Gefahr, dass Hygienestandards nicht immer lückenlos eingehalten werden. Was also tun?

      Bis das Essen in der Schüssel landet, gibt es haufenweise Möglichkeiten der Verunreinigung: Undichte Behälter, falsche Aufbewahrung von rohen oder halb garen Zutaten und all die ungewaschenen Hände, die damit hantiert haben, sind nur einige davon. Mit am größten ist die Infektionsgefahr bei rohem oder ungenügend erhitztem Fleisch, Geflügel, Fisch und Meeresfrüchten, Eiern sowie rohem, ungeschältem Obst, Gemüse und frischen Kräutern. Diese Nahrungsmittel können mit Bakterien und Parasiten kontaminiert sein.

      Je nach Infektion machen sich Symptome wie Magenschmerzen, Durchfall oder Erbrechen wenige Stunden bis mehrere Tage nach dem Verzehr der kontaminierten Nahrung bemerkbar. Es ist deswegen mitunter schwierig festzustellen, welche Mahlzeit die Infektion verursacht hat. Halten die Symptome länger an, besteht die Gefahr, dass der Körper zu viel Wasser verliert. Im Zweifelsfall ist ein Arzt aufzusuchen. Lebensmittelvergiftungen können sowohl von Krankheitserregern als auch von chemischen Stoffen herrühren.

      Das Ministerium hat immer wieder neue Dekrete erlassen, mithilfe derer man die Straßenküchen strenger kontrollieren will, und nicht nur die vietnamesischen Medien fragen sich, ob das mehr sein könne als Symbolpolitik. Die Wahrheit ist: Es ist aktuell unmöglich, bei den Straßenköchen zu kontrollieren, ob das Fleisch, die Kräuter, das Wasser oder das Öl den vorgeschriebenen Hygienestandards entsprechen. Vietnam hat bis heute immer wieder Lebensmittelskandale.

      Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch eine Bäuerin, die einem westlichen Journalisten gestand, dass sie ihr eigenes Gemüse nicht esse, weil sie für den schnelleren Ertrag Tonnen von Pestiziden und chemischen Düngemitteln verwende. Einer der bekanntesten und immer wieder zitierten Skandale ist Formaldehyd in der phở-Suppe. Damals wurde vor allem den Behörden massives Versagen vorgeworfen.

      So scheußlich das alles klingt, sind es aber nun gerade die risikobehafteten Zutaten, die den vietnamesischen Straßenküchen ihren besonderen Geschmack verleihen. Eine Nudelsuppe würde ohne Kräuter schlichtweg fad schmecken. Und mit den frischen Kräutern hebt sich das vietnamesische Essen von anderen asiatischen Straßenküchen ab.

      Der Autor Mark Lowerson, selbst leidenschaftlicher Straßenküchenkunde und Food-Blogger, stellt in seinem Asienreiseblog auf www.travelfish.org ein wenig ratlos fest: »Selbst nach zehn Jahren in Vietnam, die ich alle mit Stäbchen in der Hand auf der Straße verbracht habe, kann ich keine allgemeine Empfehlung abgeben. Die Hygienestandards vor Ort würden westliche Inspektoren sicherlich schreiend davonlaufen lassen.« Seine Beobachtungen können jedoch als Anhaltspunkte dienen.

       Wenn Straßenköche Plastikhandschuhe verwenden, sei das zumindest ein Zeichen dafür, dass sie ein grundsätzliches Bewusstsein für Hygiene haben. Ein paar Vertrauenspunkte können bei Lowerson auch Verkäufer sammeln, die gepflegt aussehen.

       Eine Packung feuchter Tücher dabeizuhaben, um Gläser und Schüsseln abzuwischen, schade nie.

       Straßenküchen mit zahlreichen Gästen lieferten zwei wichtige Hinweise: Zum einen genießen sie offenbar zumindest das Vertrauen der Einheimischen. Zum anderen sorgen die vielen Kunden dafür, dass die Zutaten schneller aufgebraucht sind: Das rohe Fleisch liegt kürzer in der Sonne herum.

       Vertrauenerweckend seien jene Küchen, die schließen, wenn die Zutaten aufgebraucht sind. Das ist vor allem bei den Ständen der Fall, die Frühstück servieren und gegen Mittag ausverkauft sind. An diesen Orten würden die Zutaten fast immer morgens frisch gekauft.

      


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