Fettnäpfchenführer Japan. Kerstin und Andreas Fels
überhaupt leisten kann.
Noch während Herr Hoffmann seinen Gedanken über Krawattenstilbrüche nachhängt, rückt der ihn umgebende Tross der Verhandlungspartner bereits in den sachlich eingerichteten Meetingraum.
Wundervoll, auf dem Tisch stehen bereits gekühlte Getränke, genau das Richtige nach der langen Fahrt in der überfüllten Bahn. Auch Herr Uchida scheint darauf hinweisen zu wollen, denn er deutet mit dem Arm in Richtung des Verpflegungsangebots. Sekunden später lässt sich der Flensburger Chemiker in einen der bequemen Sessel sinken und beobachtet, wie seine Gesprächspartner nach kurzem Zögern ihre Sitzplätze einnehmen.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
1:0 für Gelüste gegen Fingerspitzengefühl. Natürlich wollte Herr Uchida nicht seinem Stolz für das Angebot an Erfrischungsgetränken Ausdruck verleihen, sondern Herrn Hoffmann seinen vorbestimmten Sitzplatz im Konferenzraum zuweisen. In japanischen Konferenzräumen herrscht eine feste Sitzplatzordnung, die die unternehmerische Hierarchie sowie den gesellschaftlichen Rang der Teilnehmer peinlichst genau berücksichtigt. Feste Sitzordnungen sind nicht alleine ein Faible von Herrn Uchida oder des Nakagawa Konzerns, sondern ein System, das auch in Privathäusern, in Gaststätten und sogar im Auto gilt. (Zu Letzterem empfehlen wir das Kapitel ›Herr Hoffmann fährt Taxi‹.)
Fangen wir an mit Herrn Hoffmann: Dieser hätte korrekterweise auf dem Platz sitzen müssen, der am weitesten vom Ausgang entfernt ist und von dem aus er diesen am besten im Auge behalten kann. Eine Sitte, die wahrscheinlich noch aus Samuraizeiten herrührt und mit der man dem Gast die Ehre erweisen wollte, nicht Gefahr laufen zu müssen, mitten im schönsten Festmahl von einem umherschleichenden Meuchelmörder hinterrücks niedergemetzelt zu werden.
Dieser Platz muss nicht unbedingt der Kopf der Tafel sein, sondern kann je nach Aufbau des Raumes und der Bestuhlung auch mitten am Tisch sein. Darüber muss sich der Gast allerdings keine Gedanken machen, denn bei japanischen Meetings gibt es in der Regel immer einen Teilnehmer, der für die Sitzordnung zuständig ist und den Teilnehmern ihren Platz zuweist. Dem besten Platz, den der Gast unabhängig seines Rangs zugewiesen wird, sitzt der ranghöchste Gastgeber gegenüber. Die Plätze daneben sind beidseitig in absteigender Rangordnung besetzt. Die Leute zur Rechten sind dabei graduell rangniedriger als die auf der linken Seite mit gleicher Entfernung. Wer am weitesten vom Chef weg sitzt, hat am wenigstens zu sagen und zu entscheiden. Auch wenn sich Herr Hoffmann an einem versorgungsstrategisch günstigen Ort neben den Getränken platzierte, so ist seine Wahl des shimoza, des schlechtesten Platzes direkt an der Tür, entweder ein Zeichen stark ausgeprägter Bescheiden- oder Unwissenheit. Nun, bei Herrn Hoffmann eher Letzteres.
Was können Sie besser machen?
Achten Sie vor Einnehmen des Sitzes darauf, welchen Platz Ihr Herr Uchida Ihnen zuweist. Er kennt im Zweifelsfall die Ränge der teilnehmenden Personen und wo wer wie zu sitzen hat. Wenn Sie selber derjenige sind, der andere einlädt, empfiehlt es sich, jemanden, der sich mit den landesstypischen Sitten und der Hierarchie der Teilnehmer auskennt, zu bitten, die Sitzordnung zu organisieren.
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HERR HOFFMANN UND DIE SACHE MIT DER TOILETTE
UNERFREULICHE BEGEGNUNG MIT DER KLANGPRINZESSIN UND IHREM HIGHTECH-FREUND
Wissen Sie, egal in welchem Land der Welt Sie unterwegs sind, egal welcher Art von Kultur und Vorlieben die Menschen frönen, denen Sie begegnen – am Ende lässt sich all das Menschliche auf etwas Ursprüngliches reduzieren: den Stoffwechsel.
Jede Zivilisation hat ihre eigenen Örtlichkeiten hervorgebracht, die in der Regel von dem Ort getrennt sind, an dem gegessen wird, und an dem – zumindest in vielen Ländern – eine gewisse Privatsphäre herrscht. Eine ebensolche sucht auch Herr Hoffmann in der Pause einer Vortragsreihe im Hauptsitz des Nakagawa-Konzerns auf. Auch wenn das am Vorabend in einem Schnellimbiss gegessene japanische Curry sehr lecker war, rumort die Schärfe der Speise nun bedrohlich in seinen Eingeweiden.
DAS JAPANISCHE CURRY
Auch wenn kareeraisu nicht die optisch ansprechendste Speise ist, so gehört sie gerade in den kälteren Monaten zu den populärsten Fast-Food-Gerichten. Der sämige, dunkelbraune Brei liegt wie ein Fladen auf klebrigem, weißen Reis und hat – abgesehen von der möglichen Schärfe – mit indischem oder thailändischem Curry wenig gemein. Die japanische Variante ist einer der beliebtesten Snacks der Nation, sozusagen die japanische Currywurst mit Pommes rotweiß. Angeblich isst der Durchschnittsjapaner einmal in der Woche ramen, jedoch bis zu vier Mal kareeraisu. In Ketten wie CoCo Ichibanya, C&C Curry Shop, Go Go Curry und Little Spoon wird die Speise in den unterschiedlichsten Varianten serviert. Während die Paste im Grunde immer gleich ist, hat der Kunde Einfluss auf die Menge des begleitenden Reises, den Schärfegrad und die Zutaten. Hierbei kann er ebenso frei zwischen verschiedenen Fleisch- und Fischbeilagen wie über die Zugabe von verschiedenen Gemüsen und sogar Käse (der die Sauce noch sämiger macht) wählen. Sehr populär ist eine Zusammenstellung mit Rindfleisch, Möhren, Spinat unter der Begleitung von kalten Silberzwiebelchen.
Während Panikschweiß auf seine Stirn tritt, schaut sich der sonst recht widerstandsfähige Mann aus dem hohen deutschen Norden gepeinigt in dem Foyer um, das an den Meetingraum angrenzt.
»Hier müsste doch irgendwo ... ja, Glück gehabt.« Erlösung naht, als er auf der gegenüberliegenden Seite ein Schildchen mit dem englischen Begriff toilet ausmacht.
Erleichtert verschließt er kurz darauf die Tür zum Toilettenraum und nimmt das Örtchen in Augenschein: ein sehr niedrig angebrachtes Pissoir auf der einen Seite, eine Kloschüssel an der angrenzenden Wand. Auf dem Spülkasten befindet sich ein eingelassenes Waschbecken mit einem Wasserhahn. Sehr umweltfreundlich. Bevor der Inhalt des Spülkastens Exkremente in die Kanalisation schickt, kann das Wasser noch zum Händewaschen genutzt werden. Das Grimmen im Unterleib erinnert Herrn Hoffmann daran, dass er nicht zur Bewunderung der Kunstfertigkeit japanischer Sanitäranlagenbauer in die Stille des Raums geflüchtet ist. Eine Stille, die plötzlich durch plätschernde Geräusche aus einem kleinen, krächzenden beigen Kasten unterbrochen wird. Dieser Kasten in der Nähe der Toilette ist – wie eine flüchtige Untersuchung zeigt – offenbar so etwas wie ein Lautsprecher.
Während der Deutsche langsam seine Hosen zu den Knöcheln herabsinken lässt, behält er das seltsam tönende Ding mit wachsamem Blick im Auge. Eingelullt in den Klangteppich und mit dem Gefühl der plötzlich einsetzenden, körperlichen Erleichterung, fällt sein Blick auf ein großes Schaltbrett rechts neben der WC-Brille. Auf diesem zählt er geschlagene 36 Knöpfe und Drehregler, die sich um ein großes Digitaldisplay drängen. Auf dem grauen Bildschirm sind kleine Balken, Temperaturzustände und die aktuelle Uhrzeit abzulesen. Ganz links oben auf dem Gerät ist ein großer roter Knopf. Der muss zum Ein- und Ausschalten der Apparatur sein. Rechts daneben vier Knöpfe mit seltsamen Piktogrammen: auf den ersten beiden etwas, das wie ein Busen aussieht, unter dem eine Quelle fröhlich sprudelt. Bei näherem Betrachten des Kontextes interpretiert er den Busen als Pobackenensemble. Ok, und die lila Person auf dem Knopf daneben trägt einen Zopf, womit diese Funktion offensichtlich der weiblichen Hygiene vorbehalten ist.
Auch wenn die Funktion und Nutzung der übrigen über dreißig Knöpfe für ihn nicht zu entschlüsseln ist, beschließt Herr Hoffmann, diesen modernen Thron testen zu müssen. Erwartungsfroh drückt er den ersten Knopf neben dem mutmaßlichen Power-Schalter, auf dem sich in dem Piktogramm ein dünnes Rinnsaal keck der Einbuchtung eines unteren Rückens entgegenstreckt. Ein kaum hörbares Brummen ertönt und plötzlich schießt ein gehöriger Wasserstrahl zwischen Egon Hoffmanns seitlich aufgestellten Oberschenkeln vorbei und klatscht satt auf die zuvor heruntergelassene hellgraue Anzughose. Erschrocken springt er von seinem Sitz auf und spürt, wie noch einige Spritzer Wasser seinen Rücken besprenkeln und auch Sakko und Hemd großflächig durchfeuchten. Schrecksekunden später versiegt der Strahl und der