Fettnäpfchenführer Japan. Kerstin und Andreas Fels
Vielen Japanern und hierbei besonders japanischen Frauen sind die Geräusche ihres eigenen Körpers unsagbar peinlich. Um den Nachbarn hinter der dünnen Wand oder in der angrenzenden WC-Kabine das Klangspektakel zum Beispiel des Wasserlassens zu ersparen, kam unter Großstädtern die Sitte auf, während der Toilettennutzung die Geräusche des Vorgangs mit unablässigem Toilettenspülen zu übertönen. Da dies aber nicht nur unbequem ist, sondern auch extrem viel Wasser verschwendet, fand die japanische Industrie eine praktischere Lösung: Produkte wie die otohime, die Klangprinzessin, schalten sich durch einen Bewegungssensor ein und bilden aus Lautsprechern einen überlagernden Klangteppich aus Wasserplätschern oder Vogelgezwitscher nach. Heutzutage sind solche Geräte auf vielen modernen Damen- und Unisextoiletten installiert.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Neugier ist der Katze Tod – und das zeitweilige Ende von Herrn Hoffmanns Hose tadellosem Zustand. Solche Erfahrungen sind hier wie dort peinlich für den Betroffenen. Doch während in Deutschland eine Erklärung der Begleitumstände für mitfühlende Erheiterung sorgen kann, werden Japaner – ein extrem auf Hygiene und Reinlichkeit bedachtes Volk – durch eine solche in Dinge einbezogen, die sie gar nicht wissen wollen und die sie zur Wahrung des Gesichts des Betroffenen normalerweise ignoriert hätten. Herr Hoffmann sollte zum seelischen Wohl aller, das besondere Kloerlebnis am besten einfach überspielen. Oder er könnte im Bad verharren, bis die Hosen etwas getrocknet sind – ob nun natürlich oder mithilfe des meist verfügbaren Handtrockners.
Was können Sie besser machen?
Training ist der Schlüssel zum Erfolg. Das gilt auch für den gelassenen, unfallfreien und ergebnisorientierten Besuch einer japanischen Toilette. Dutzende Websites erklären für Fernreisende sowie für japanische Kinder wortreich oder anschaulich, wie den Tücken der Toilettennutzung mit einem coolen Lächeln und ohne peinliche Momente zu begegnen ist.
In Hinblick auf traditionelle japanische Hocktoiletten gilt Folgendes: Spannung ist alles. Das gilt nicht für etwaig mitgeführte Lektüre, sondern für die Anspannung von Oberschenkeln und Waden: Hose bis über die Knie herunterziehen und so drapieren, dass sie sich nicht in den Weg von niederstürzenden Stoffwechselendprodukten legt, weit in die Hocke gehen und bei Unsicherheit an den seitlichen Wänden abstützen und der Natur ihren Lauf lassen. Ziehen und Brennen in der beteiligten Stabilisierungsmuskulatur belegen, dass diese Toiletten sich nicht als Räume der Selbstfindung oder zum Konsums von dicken Wälzern anbieten. Toiletten dieser Art sind nach wie vor recht populär, da sie dadurch, dass kein physischer Kontakt mit der in den Boden eingelassene, längliche Keramik stattfindet, als unschlagbar hygienisch gelten.
Vorsicht: Nach vollständiger Verrichtung des Geschäfts ist beim Aufstehen darauf zu achten, dass das Gleichgewicht mangeln kann und somit unangenehm erniedrigende Unfälle drohen. Also: Langsam aufrichten und auf möglichen Schwindel vorbereitet sein.
Hocktoiletten sind vor allen Dingen im öffentlichen Umfeld und in traditionelleren Haushalten zu finden. Der zweite in Japan anzutreffende Toilettentyp ist der Thron westlicher Art mit Schüssel, Brille und Deckel. Diese Art des Bedürfnisporzellans hielt nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug in Japan und ist heute in vielen Privathaushalten, Kaufhäusern und Hotels zu finden. Die Benutzung dieses alltäglichen Instruments sollte den meisten Lesern dieser Zeilen geläufig sein, weshalb auf eine plastische Nutzungsbeschreibung verzichtet wird.
Eine besondere Variante dieses Toilettentyps ist die von Herrn Hoffmann näher kennengelernte Bidet-Toilette, das sogenannte washlet (woshuretto). Dieser WC-Typ ist so gestaltet, dass der im Grunde langweilige, naturerzwungene Akt jedes Mal zu einem kleinen Ereignis wird. Neben der von Herrn Hoffmann erlebten Bidet-Funktion, die auf den vorderen und den hinteren unteren Rumpfbereich ausgerichtet werden kann, erfreuen die Geräte mit Funktionen wie dem zuvorkommenden, automatischen Aufklappen des Deckels bei Annäherung eines potenziellen Nutzers, beheizbarem Sitz (angesichts der mies isolierten japanischen Wohnhäuser bei jeder Sitzung ein winterlicher Segen), Warmluftfön nach Einsatz der Bidet-Funktion, MP3-Player für rundum entspannende Sessions nebst Eigengeräuschübertönung und automatischer Spülung für notorische Abziehvergesser. Neben diesen Grundfunktionen buhlen die Badezimmerausstatter mit diversen Luxusextras um die Gunst der komfortorientierten Nutzerschaft. So lassen sich bei manchen Toiletten nicht nur die Temperatur des Bidetwasserstrahls einstellen und mit Nutzerprofilen für die einzelnen Familienmitglieder dauerhaft sichern, sondern auch Annehmlichkeiten nach dem persönlichen Geschmack des Sitzenden festlegen, wie verschieden pulsierende oder massierende Stufen der Rektal- oder Vulvareinigung. Manche Geräte sind dabei auch in der Lage, dem warmen Wasser für ein besseres Reinigungsergebnis direkt Seife beizumischen. Damit niemand unbeabsichtigt mit einem warmen Strahl Wasser beschossen wird, überprüft die Steuerungseinheit moderner washlets, ob der Toilettensitz mit Gewicht belastet ist. Nur dann wird Wasser aus der Düse ausgestoßen und in verschiedenen Winkeln zum gewünschten Ziel bugsiert.
Funktionen, die weniger dem Vergnügen und dem Reinlichkeitsempfinden Rechnung tragen, sondern dem gesundheitlichen Wohl des Abführenden, sind eine antibakterielle Beschichtung der Sitzfläche, Luftbedufter sowie eine automatische Analyse des Blutzuckergehalts aus dem abgegebenen Urin. Hightech-Toiletten sind ferner in der Lage, den Puls und den Körperfettanteil zu messen und entweder akustische Warnungen auszugeben oder die Mess-werte direkt über Mobilfunknetze an einen einprogrammierten Arzt des Vertrauens weiter zu geben. Ältere und in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen freuen sich über Toiletten, die sich bei Annäherung automatisch nach vorne neigen, um die Thronbesteigung barrierearm zu gestalten.
Auch wenn moderne japanische Toiletten helfen, Papier und Wasser zu sparen (manche Aborte nutzen weniger Wasser, wenn vor Betätigen des Spülknopfes der WC-Sitz hochgeklappt war), verbraucht der sanitäre Luxus nicht wenig Energie. Laut einer Studie der Bank of Japan aus dem Jahr 2006 sind washlets für bis zu 5 Prozent des durchschnittlichen Haushaltsenergieverbrauchs verantwortlich.
Aber das ist unter Umständen nicht Ihre vorrangige Schicksalsfrage, wenn Sie ein solches Klosett besetzen und die Flut an Knöpfen und Schaltern in Augenschein nehmen. Bei Toilettengängern mit eingeschränkten Japanischkenntnissen bleibt wegen landessprachlicher Knopfbeschriftung der meisten Modelle nur das Drücken von Knöpfen mit eindeutigen Piktogrammen oder experimentierfreudiges Ausprobieren.
Hier ein paar gut gemeinte Ratschläge für eigene Erfahrungen mit solch elektrifizierten Vollkomfortörtchen: Nur besondere Modelle haben eine Auto-Stopp-Funktion, sodass sie den Wasserstrahl erst ausschalten oder abebben lassen müssen, bevor sie von der Toilette aufspringen (beim ›Huch, ist das kalt/heiß‹-Reflex). Platzieren Sie sich vollständig auf der Brille, um zu vermeiden, dass Ihnen das forsche Spritzwasser der Reinigungsdüse den Rücken hochspritzt. Breitbeiniges Sitzen und dabei auf die vordere Region eingestellte Düsen können ebenfalls zu peinlichen Wasserflecken auf der Kleidung führen.
Bei öffentlichen Toiletten – und das gilt für jede der vorgestellten Arten – empfiehlt es sich übrigens, bedingt durch nicht selten fehlendes Papier, dieses stets selbst mitzuführen. Hierfür bieten sich besonders die mit Werbung bedruckten Taschentuchpackungen an, die an größeren Bahnhöfen gerne vorbeieilenden Passanten in die Hand gedrückt werden. Auch wenn sie einem beherzten Schnäuzen der Nase mit ihren ein bis zwei Papierlagen nicht standhalten, sind sie zum Abschluss einer Sitzung prima geeignet.
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