Kölner Krimi Kurzgeschichten. Rolf D. Sabel

Kölner Krimi Kurzgeschichten - Rolf D. Sabel


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war er froh eine geschützte Stelle im Eingang des nahen Humboldtgymnasiums zu finden.

      Er breitete seine Isomatte aus, bedeckte sich mit einer fadenscheinigen Decke und suchte den Trost des Schlafes. Aber seine Gedanken konnten sich nicht von dem Erlebnis in der Kirche trennen. Immer wieder sah er den würdevollen Toten vor sich, den teuren Sarg, die Kandelaber …

      Wirre Gedanken begleiteten ihn, bis er in einen unruhigen Schlaf fiel. Und noch im Traum stand der Mann in schwarzem Anzug vor ihm und winkte ihn mit dem Finger zu sich.

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      Slezak wachte am frühen Morgen auf, Hunger und Kälte hatten jeden weiteren Schlaf unmöglich gemacht. Er machte sich auf, bevor die Schüler kamen und ihn mit blöden Sprüchen bedenken konnten. Dennoch stattete er der Toilette auf dem Schulhof einen schnellen Besuch ab, wusch sich durch das Gesicht und spülte die üblen Gerüche der Nacht aus dem Mund. Er zog die besten Sachen, die er noch hatte, aus seinem Seesack. Eine alte zerlöcherte Jeans, einen schwarzen, speckigen Pullover und seinen Parka.

      Dann holte er die Visitenkarte aus der Tasche und warf einen Blick darauf.

       Dr. Herbert Müller Rechtsanwalt und Notar 50674 Köln, Zülpicher Platz 24 Termine nur nach telefonischer Voranmeldung 0221/ 655433 Fachanwalt für Erb- und Familienrecht

      Er schwankte hin- und her. Soll ich da wirklich hingehen? Es lohnt sich, hat er gesagt. Lohnt sich? Für mich? Wie sollte sich das lohnen? Ich kenn den Mann doch gar nicht. Slezak hatte unwillkürlich den Weg zum Zülpicher Platz eingeschlagen, obwohl es noch viel zu früh war. Ein Blick auf seine Damenuhr, das einzige Erbstück von seiner Mutter, zeigte gerade acht Uhr.

      Aber vorher musste er noch etwas zwischen die Kiemen kriegen. Er wühlte in seinen Taschen und fand die karge Ausbeute seiner gestrigen Flaschensuche. Drei Euro achtzig – genug, um in der Bäckerei am Barbarossaplatz ein Brötchen und eine Tasse Kaffee zu ergattern. Der Schneefall hatte aufgehört, aber die Luft war von eisiger Kälte und die dunklen Wolken verhießen weiteren Schnee. Als Kind hatte er sich gefreut, wenn die Flocken vom Himmel rieselten. Manchmal war er zum Volksgarten gegangen und war mit einem geliehenen Schlitten den kleinen Berg hinabgerodelt.

      Aber in seiner jetzigen Lage bedeutete Schnee nur Kälte und Feuchtigkeit. Wenn man arm ist, macht auch Schnee keinen Spaß!

      Die Mitarbeiterin der Bäckerei am Barbarossaplatz bedachte ihn mit einem arroganten Blick der Feindseligkeit, als sie Brötchen und Kaffee herüberschob und er setzte sich als einziger draußen auf einen Stuhl in den eisigen Wind, um sein karges Frühstück hastig herunter zu schlingen.

      Aber er hatte einen Entschluss gefasst.

      Während er den letzten Bissen des Leberwurstbrötchens verzehrte und mit dem Rest Kaffee herunterspülte, hatte sich ein Gedanke in seinem Kopf festgesetzt: Er würde den feinen Rechtsanwalt besuchen. Was konnte ihm schon passieren? Wir werden sehen …

      Vom Barbarossaplatz zum Zülpicher Platz waren es nur wenige Minuten und so stand er kurze Zeit später vor dem imposanten Gebäude, das im zweiten Stock die Kanzlei Dr. Winter aufwies. Ein Blick auf die Uhr zeigte, dass es gerade zehn Uhr war, also viel zu früh.

      Aber egal, drinnen war es warm und andere Termine hatte er zurzeit gerade nicht, also herein!

      Er klingelte, eine Stimme erklang.

      „Notariat Dr. Winter. Haben Sie einen Termin?“

      „Nein, äh … ich … ich heiße Slezak, Paul Slezak. Herr Winter, äh … ich meine Dr. Winter hat mir gestern seine Karte gegeben und mir gesagt, ich … ich sollte heute bei ihm vorbeikommen.“

      „Sie sind der Herr aus der Pantaleonskirche?“

      „Äh … wie? Pantaleonskirche, ja, bin ich.“

      Der Türöffner gab ein diskretes Summen von sich.

      „Bitte kommen Sie herauf, Herr … Slezak.“

      Das Abenteuer konnte beginnen.

      Er gestattete sich den Luxus eines Aufzugs und fuhr summend die zwei Stockwerke hoch.

      Ein Empfangsraum mit gediegener, aber nicht übertriebener Ausstattung erwartete ihn und eine Empfangsdame in blauem Kostüm, die rötlichen Haare hochgesteckt. Die Dame erinnerte ihn an Sophie Turner, die er aus Game of Thrones kannte, aber sie war wohl doch etwas älter – und nicht ganz so schön.

      „Herr Slezak, willkommen in unseren Räumen. Bitte nehmen Sie Platz.“

      Sie warf einen Blick auf die Bürouhr, die über ihrem Schreibtisch hing. „Sie sind etwas früh dran. Herr Dr. Winter hat noch einen Termin und ich muss Sie bitten, noch etwas zu warten.

      Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“

      Slezak war es weder gewohnt, dass man ihn so freundlich ansprach, noch hatte ihm jemals einer einen Kaffee angeboten, aber er nickte dankbar, während er seinen Seesack unter einem Stuhl verstaute. Wenig später war er mit Kaffee und Gebäck versorgt, was er beides sichtlich genoss. Er nahm sich eine der Zeitungen, erfuhr zum ersten Mal, was sich in letzter Zeit in der Welt ereignet hatte und stellte fest, dass ihn das alles nicht interessierte.

      Es war warm hier und die wenigen Stunden, die er geschlafen hatte, zeigten ihre Wirkung.

      Er schlief ein, was die Empfangsdame mit einem milden Lächeln quittierte.

      Eine sachte Berührung an der Schulter ließ ihn plötzlich hochschrecken. Eine sanfte Stimme säuselte ihm ins Ohr; „Herr Dr. Winter hat jetzt Zeit für Sie.“

      Abrupt setzte er sich auf. Der Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er mehr als eine Stunde geschlafen hatte.

      „Oh … wie peinlich.“

      „Das macht doch nichts. So konnten Sie die Zeit sinnvoll überbrücken, nicht wahr? Hier entlang bitte.“

      Mit einem freundlichen Lächeln wies sie den Weg zum Büro des Anwalts und öffnete die Tür.

      Auch hier kein übertriebener Luxus, aber doch holzgetäfelte Wände, eine Wand, die durch ein Bücherregal ausgefüllt war, das bis zur Decke ging. Auf der anderen Seite Bilder, die offenbar Fotos der Familie zeigten und ein Foto, das den Anwalt mit einem anderen Mann zeigte, von dem Slezak keine Ahnung hatte, dass es der frühere Oberbürgermeister war. Die dritte Seite schmückte ein rotes Ledersofa. Vor dem Fenster stand ein ausladender Schreibtisch, der mit Papieren und Akten beladen war.

      Dr. Winter, der hinter dem Schreibtisch gesessen hatte, stand auf, ging um den Schreibtisch herum und gab dem Besucher mit einem freundlichen Lächeln die Hand.

      „Herr Slezak, nicht wahr? Wir kennen uns aus der Kirche.“

      Slezak schüttelte die dargebotene Hand und nickte nur stumm.

      „Bitte nehmen Sie Platz.“ Er deutete auf den Lehnstuhl der vor dem Schreibtisch stand, und nahm wieder seinen Platz hinter dem Schreibtisch ein.

      „Sicher werden Sie wissen wollen, weshalb ich Sie hergebeten habe, nicht wahr?“

      „Äh … ja.“

      „Nun, die Sache ist so. Ich vermute, Sie kannten den Verstorbenen in der Kirche nicht, oder?“

      Slezak schüttelte den Kopf.

      „Und Sie waren in der Kirche, weil …“

      „… weil mir kalt war.“ Slezak räusperte sich und der Anwalt lächelte verständnisvoll.

      „Das habe ich mir schon gedacht. In diesem Fall aber war es für Sie ein … nennen wir es glücklicher Umstand.“ „Umstand? Wieso?“

      „Der Verstorbene war ein sehr erfolgreicher Unternehmer. Sein Name tut jetzt hier nichts zur Sache und wir lassen ihn einstweilen aus. Kurz vor seinem Tod hat er sich einen Lebenswunsch erfüllt und eine mehrwöchige Afrikareise unternommen, von der er ziemlich krank zurückgekommen ist. Einige Wochen


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