Kölner Krimi Kurzgeschichten. Rolf D. Sabel

Kölner Krimi Kurzgeschichten - Rolf D. Sabel


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Gebäude waren ihm von der Beerdigung seiner Mutter bestens vertraut und auch die Öffnung des Gebäudes stellte für einen gelernten Schlosser kein Problem dar. Das dazu nötige Werkzeug befand sich ebenso in seinem Seesack wie eine kleine Taschenlampe. Mit einem leichten Knarren öffnete er die Tür der Leichenhalle, wo ihn sofort eine Kälte empfing, die die Außentemperaturen noch deutlich überstieg. Vier Särge standen vor ihm, die auf eine Bestattung am nächsten Tag warteten. Aber den Sarg, den er suchte, fand er direkt, es war der teuerste und prächtigste. Er brauchte noch nicht einmal seine Taschenlampe, denn das diffuse Licht der Außenbeleuchtung reichte vollkommen aus.

      Ohne größere Mühe konnte er den Sarg öffnen und fand sich mit jenem würdigen Gesicht konfrontiert, das er aus der Kirche kannte. Da der Verstorbene zu Lebzeiten ein Leichtgewicht gewesen war, gelang es Slezak, ihn ohne größere Mühe aus dem Sarg zu hieven. Etwas schwieriger war es da schon, den Toten seines edlen Anzugs zu berauben. Mit Erstaunen stellte Slezak fest, dass auch Tote offenbar Unterwäsche trugen. Merkwürdig aber auch, dass Arme und Beine des Verstorbenen von dunklen Flecken überzogen waren. Egal, das konnte ihn jetzt nicht interessieren.

      Er entledigte sich blitzschnell seiner ärmlichen Kleidung – die würde er nie mehr brauchen – stopfte sie in den Sarg und zog den blauen Anzug des Toten an. Passte perfekt! Jetzt den Verstorbenen wieder in den Sarg legen und den Sarg sorgsam verschließen.

      Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Trotz der Kälte war er ins Schwitzen gekommen, wobei es weniger die Arbeit selbst als die Ungewöhnlichkeit seiner Tätigkeit war, die ihn ins Schwitzen gebracht hatte.

      Er verließ den Friedhof auf dem gleichen Weg, auf dem er ihn betreten hatte. Dabei begleiteten ihn ein Hochgefühl und eine Euphorie, die er zeitlebens nie gekannt hatte.

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      Zur gleichen Zeit, als Paul Slezak glücklich nach einer passenden Unterkunft suchte, wurde Rechtsanwalt Dr. Winter durch einen Telefonanruf bei seiner abendlichen Patiencerunde gestört.

      „Entschuldigen Sie die Störung, Herr Dr. Winter, aber es ist wichtig. Sehr wichtig!“

      „Herr Professor Menke“, er verzog ob der späten Störung missmutig sein Gesicht, „hätte das nicht bis morgen Zeit gehabt?“

      „Nein, hätte es nicht!“

      „Nicht?“

      „Nein! Wir haben jetzt in unserem Institut nach aufwändigen Untersuchungen die Todesursache Ihres Mandanten herausgefunden.“

      „Aha!“

      „Ja, er ist am Ebola-Virus gestorben. Einer höchst infektiösen Krankheit, die er sich offenbar auf seiner Afrikareise zugezogen hat.“

      „Ebola?“, murmelte Winter.

      „Ja, eindeutig. Ebola ist eine Infektionskrankheit, die durch Viren der Gattung Ebolavirus hervorgerufen wird. Die Bezeichnung geht auf den Fluss Ebola im Kongo zurück, in dessen Nähe diese Viren 1976 den ersten allgemein bekannten großen Ausbruch verursacht hatten.“ Jetzt war Professor Menke ganz in seinem wissenschaftlichen Element.

      „Diese Krankheit ist höchst gefährlich und ansteckend. Sie kann von erkrankten Menschen durch Körperflüssigkeiten wie Blut, Schweiß oder Urin oder von kontaminierten Gegenständen unmittelbar auf den Menschen übertragen werden. Die Letalität, also die Sterblichkeitsrate liegt bei bis zu neunzig Prozent.“

      „Aber …“

      „Sie sollten weiter zuhören, mein Bester. Die Inkubationszeit ist schon ab zwei Tagen nachgewiesen. Das Ganze ist höchst gefährlich und daher natürlich meldepflichtig.“ „Meldepflichtig? Lieber Professor, der Mann ist tot und morgen ist seine Beerdigung. Er liegt in einem verschlossenen Sarg, wen soll er also anstecken?“

      „Aber …“

      „Ich mache Ihnen einen Vorschlag, mein Bester. Wir vergessen diese Angelegenheit und ich lasse Ihrem Institut aus dem Nachlass des Verstorbenen eine größere Summe zukommen. Das wäre sicher in seinem Sinne.“

      Auf der anderen Seite herrschte kurzes Schweigen.

      „Einverstanden, aber wir müssen sichergehen, dass der Sarg nicht mehr geöffnet wird und es keinen Kontakt mehr zur Außenwelt gibt.“

      „Das garantiere ich Ihnen, Professor.“

      „Der Inhalt des Sarges ist so infektiös, dass man sich schon infizieren würde, wenn man nur mit der Kleidung des Toten in Berührung käme.“

      „Alles klar, Professor, ich habe verstanden. Aber niemand“, er kicherte leise, „wird den Anzug des Toten mehr tragen.“

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      Aber darin irrte sich der gute Anwalt. Als er am nächsten Morgen Paul Slezak im feinen blauen Anzug bei der Beerdigung, an der lediglich die wenigen Personen aus der Kirche teilnahmen, sah, wunderte er sich zwar nicht wenig über den feinen Anzug des Mannes, aber er wäre niemals auf den Gedanken gekommen, dass sein verstorbener Mandant lediglich in seiner Unterwäsche begraben wurde.

      Nach der Beerdigung wurde ein Treffen zur Regelung der Modalitäten und Auszahlung des Erbanteils in vierzehn Tagen vereinbart.

      Frohen Mutes zog sich Slezak in eine Schrebergartensiedlung in Zollstock zurück, die er als sicheres Ausweichquartier kannte. Nach der Beerdigung hatte es einen kleinen Imbiss gegeben, dem er reichlich zugesprochen hatte und der Rest hatte Platz in seiner Jackentasche gefunden. Er lehnte sich entspannt zurück und während er überlegte, was er mit vier Millionen Euro anfangen könnte, dämmerte er langsam ein. Aber schon nach kurzer Zeit wurde er wach, weil er ein Jucken und Kratzen am Körper verspürte. Er schwitzte und fühlte nach seiner Stirn, die sehr heiß war. Vielleicht habe ich mir eine Grippe eingefangen, dachte er, kein Wunder bei dem Wetter. Langsam glitt er in einen unruhigen Schlaf …

      Zwei Tage vor dem vereinbarten Treffen wurde Paul Slezak mit Anzug und Seesack tot in einer Schrebergartensiedlung in Zollstock aufgefunden. Die Ärzte gaben sich nicht viel Mühe mit einer möglichen Diagnose. Slezak wurde zwei Tage später auf Kosten der Stadt Köln eingeäschert.

      Wenig später erhielt das Tierheim in Köln Zollstock unverhofft eine mehr als ansehnliche Spende.

       2. Die Praline

       Pralinen sind eine Köstlichkeit und werden gerne von älteren Damen genossen. Sie dienen aber manchmal auch zu anderen nützlichen Zwecken. Lesen Sie selbst …

      Dr. Apollonia Palm hatte seit ihrer Geburt im Jahre 1930 ein recht zwiespältiges Verhältnis zu ihrem Namen, einem Namen, der kölscher nicht hätte sein können. In diesem Jahr, in dem Heinrich Brüning zum Reichskanzler ernannt worden war, Henry Ford in Köln den Grundstein für seine Fordfabrik legte und die Kölner Jecken wegen der Weltwirtschaftskrise den Rosenmontagszug nur durch erhebliche Spenden finanzieren konnten, galt der Vorname Apollonia noch als schick und edel, leitete er sich doch von Apoll ab, jenem griechischen und römischen Gott des Lichts, der Künste und der Weissagung. Spätestens aber nach dem Krieg, der alle ehemaligen Werte auf den Kopf zu stellen schien, galt er als altmodisch, spießig, fast verschroben und die Kinder in der Volksschule ließen keine Gelegenheit aus, das der armen Apollonia mitzuteilen. Und als sie dann in einem unbedachten Augenblick verlauten ließ, dass ihre Großeltern von dem bekannten Kölner Original Johann Joseph Palm abstammten, den eingeweihte Kölner nur als Orgels Palm kannten, war es ganz aus. Die Kinder hatten offensichtlich zu Hause nachgefragt, wer das denn sei, und wenn Apollonia jetzt den Schulhof betrat, schallte es ihr aus allen Ecken entgegen:

       Och, wat wor dat fröher schön doch en Colonia

      wenn d'r Franz me'm Nies noh'm »Ahle Kohberg« gingk,

       wenn d'r Pitter Ärm en Ärm me'm Apolonia

      stillverjnööch


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