Kölner Krimi Kurzgeschichten. Rolf D. Sabel

Kölner Krimi Kurzgeschichten - Rolf D. Sabel


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Lachen. Aber die Zeit relativiert jeglichen Schmerz und sie begann, mit dem Spott zu leben und ihre Eltern bestärkten sie nachdrücklich darin.

      „Dein Urgroßvater war ein geachteter Mann und ein großer Musiker. Du hast allen Grund, stolz auf ihn zu sein“, sagte ihr Vater, und dann zeigte er ein altes, verblichenes Bild, das den Ahnen im weißverschnürten Waffenrock der Schwarzen Husaren zeigte, den Orgelkasten um den Hals gehängt. Und spätestens, wenn der Vater die Anekdote erzählte, als die Pfarrkirche in Remagen einen neuen Organisten suchte und einige Kölner Spaßvögel den guten Palm als Organisten vorschlugen, der dann am Kirmessonntag beim Hochamt ein Probespiel abhalten sollte, die Orgel von allen Seiten besichtigte, sein Wohlgefallen kundtat, dann aber schließlich ganz verblüfft fragte: „Wo ist denn der Schwengel?“, brach die gute Apollonia in schallendes Gelächter aus und war mit sich und der Umwelt versöhnt.

      So kam es, dass sie mehr und mehr Gefallen an dem Urahn fand und sie wurde umso stärker, je mehr Spott ihr entgegenkam. Und so darf es nicht verwundern, dass sie als Beste ihrer Klasse auf das ehrwürdige Dreikönigsgymnasium am Thürmchenswall ging, das recht nah zu ihrer Wohnung in der Straße Unter Krahnenbäumen lag, die als UKB allen Kölnern ein Begriff war, um dort am DKG eine beachtliche Schulkarriere hinzulegen. Weil sie von allen Fächern Chemie und Physik am meisten liebte, schloss sie ihr Abitur in diesen Fächern mit Bestnote ab. So lag ein Chemiestudium nahe und auch das absolvierte sie mit Bestnoten, ebenso wie ihre Promotion. Die Bayerwerke in Leverkusen machten ihr ein Angebot und boten ihr für mehr als vierzig Jahre eine berufliche Heimat, die ihr neben dem Deutschen Chemie-Preis und der Carl-Friedrich-Gauß-Medaille zu zahlreichen anderen Auszeichnungen verhalf und nicht unwesentlich zur Ansammlung eines ansehnlichen Vermögens beitrug.

      Als weniger glücklich musste ihr Privatleben gelten. Den richtigen Mann fand sie trotz einiger Versuche nie – wahrscheinlich war sie zu anspruchsvoll – und auch glückliches Kindergeschrei aus eigenem Schoß blieb ihr aus diesem Grund verwehrt. So blieb sie stets mit ihrem Beruf verheiratet, bis sie vor fast zwanzig Jahren in den verdienten Ruhestand eintrat und ein durchaus beschauliches und angenehmes Leben führte.

      Regelmäßig ließ sie sich mit dem Taxi in die Stadt fahren, ging, soweit es ihre Füße zuließen, durch die Stadt und erkannte sie kaum wieder. Oft führte sie ihr Weg auch zur alten Heimat Unter Krahnenbäumen, wo sie ihre ersten Kinderjahre verbracht hatte, bis die Familie 1944 in den Hunsrück evakuiert wurde. Die Eltern hatten erzählt, dass der Urgroßvater ein recht umtriebiger Mann gewesen sei und fünfzehn mal die Wohnung gewechselt hatte, darunter achtmal in seiner Lieblingsstraße und so war ihr besonders diese Gegend vertraut.

      Aber jetzt?

      Was sie da antraf, hatte mit der vertrauten, alten Straße nichts mehr gemein. Anfang der 50er Jahre hatten die Stadtoberen den verhängnisvollen Entschluss gefasst, die Stadt durch eine vierspurige Autostraße, die durch das linksrheinische Köln in Nord-Süd-Richtung durch die Stadtteile Altstadt-Nord und Altstadt-Süd verlief, zu teilen und damit war auch das Schicksal ihrer alten Heimat besiegelt. Die Straße Unter Krahnenbäumen, von vielen als die Kölscheste aller Straßen empfunden, zerfiel auf einmal in zwei Teile. Und überdies hatten die alliierten Bomber von dieser Straße nicht viel übrig gelassen. Lediglich zwei der schönen alten Häuser hatten den Krieg einigermaßen unbeschadet überstanden, der Rest lag in Trümmern danieder, darunter auch die Nummer 112, in der Familie Palm zuletzt gewohnt hatte. Apollonia konnte sich noch genau an die hysterische Reaktion der Mutter erinnern, als die Familie ohne den Vater, der in der Ukraine als vermisst gemeldet worden war, in die Heimat zurückkehrte.

      „Oh mein Jott! Alles kapott! Apollonia, isch kann nit mieh!“

      Aber die Familie überstand auch dies und doch kamen Apollonia Palm regelmäßig die Tränen, wenn sie an diese Zeit zurückdachte.

      Gelegentlich hielt sie noch Vorträge vor einem interessierten Fachpublikum, ansonsten las sie viel, vor allem Thriller, oder verbrachte ihre Abende gerne mit Freundinnen beim Bridge oder in der Sauna. Trotz ihres hohen Alters reiste sie auch öfters in unbekannte Regionen, wenn sie nicht allzu fern lagen, denn ihre Beine trugen sie nicht mehr so richtig.

      An diesem Abend saß Apollonia Palm in ihrer gemütlichen Wohnung am Volksgarten und vergnügte sich mit einem Thriller, der den anspruchsvollen Titel Landesverrat trug, während im Hintergrund leise die Töne von Schuberts Unvollendeten klangen und den Sturm übertönten, der gegen ihr Fenster schlug. Auf dem Tisch stand ein Glas Montepulciano d’Abruzzo, der zweifellos zu ihren liebsten Rotweinsorten gehörte.

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      Das Telefon klingelte.

      Apollonia stand etwas mühsam auf, stellte den CD-Player leiser und hob ab.

      „Palm.“

      „Hier ist die Kölner Polizei! Oberkommissar Greven. Frau Palm, in Ihrer Nachbarschaft wurde eingebrochen und Geld und Schmuck entwendet.“

      Eine sonore Stimme, die einen leichten Akzent verriet, den Apollonia Palm nicht einordnen konnte.

      Und obwohl sie eine gestandene Frau war und so leicht nicht in Panik verfiel, durchzuckte sie doch ein eisiger Schreck.

       Polizei?

       Einbruch?

      Aber bevor sie noch einen klaren Gedanken fassen konnte, fuhr die sonore Stimme schon ohne Erbarmen fort: „Einen Täter konnten wir fassen. Er trug eine Liste bei sich, auf der auch Ihr Name steht. Aus diesem Grund werde ich gleich bei Ihnen vorbeikommen und nach Tatspuren suchen.“

      „Aber, aber bei mir wurde nicht eingebrochen. Das hätte ich doch gemerkt.“

      „Die Einbrecher verfügen heutzutage über Mittel und Werkzeuge, die fast keine Spuren mehr hinterlassen. Außerdem könnte es sein …“, er räusperte sich unheilvoll, „dass Sie das nächste Opfer sind. Passt es Ihnen in fünfzehn Minuten?“

      „Fünfzehn Minuten? Äh … ja, aber …“

      „Gut, dann bin ich gleich bei Ihnen. Machen Sie sich keine Sorgen, die Polizei ist ja für Sie da.“

      Der unbekannte Anrufer legte auf und ließ Apollonia Palm in einem gedanklichen Aufruhr zurück. Sie griff nach dem Weinglas und leerte es in einem Zug. Zugleich fiel ihr auf, dass der bequeme Trainingsanzug, den sie trug, wohl kaum das passende Kleidungsstück wäre, um einen amtlichen Besuch zu empfangen. Sie huschte ins Schlafzimmer und vertauschte hastig den Trainingsanzug mit einem grauen Wollkleid, ordnete ihre Haare flüchtig und legte etwas Lippenstift auf. Auch in ihrem gesegneten Alter war noch immer etwas Raum für Eitelkeit …

      Und schon klingelte es an der Haustür.

      Sie drückte auf den Öffner und hörte wenig später schwere Schritte, die die Treppe hinaufkamen. Ein Mann geriet in ihr Blickfeld. Er trug einen dunklen Trenchcoat, hatte schütteres dunkles Haar, das an den Seiten erstes Grau verriet und sein längliches Gesicht war von Aknenarben leicht entstellt.

      „Greven, Kripo Köln“, stellte er sich vor. Er zückte einen Ausweis, hielt ihn der Wohnungsinhaberin kurz vor die Nase und steckte ihn weg, bevor sie ihn richtig in Augenschein nehmen konnte. Aber einen polizeilichen Stempel hatte sie schon erkannt.

      „Darf ich eintreten?“, fragte der Mann, und bevor Apollonia Palm antworten konnte, drückte er sich an ihr vorbei in die Wohnung.

      „Was für ein grässliches Wetter“, murmelte er und ging zielgerichtet ins Wohnzimmer. Palm trottete mühsam hinterher, schaltete die Musikanlage aus und wies auf einen Sessel.

      „Nehmen Sie doch Platz“, sagte sie mit belegter Stimme. Der Mann war ihr auf Anhieb höchst unsympathisch und sie bereute bereits, ihn hereingelassen zu haben.

      „Ja, dann wollen wir direkt zur Sache kommen“, sagte er und entblößte dabei eine Reihe schadhafter, gelber Zähne.

      „Ich würde vorher noch einmal gerne Ihren Ausweis sehen, Herr Greven.“

      „Meinen


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