Kultur unterm Hakenkreuz. Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz - Michael Kater


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Größe in der Kunst«. Sie würden »allen intellektuellen Konstruktivismus« besiegen und die Spuren »letzter kulturbolschewistischer Reste, die gerade auf dem Gebiet der Musik und der bildenden Künste noch am deutlichsten spürbar sind«, beseitigen. »Tonal oder atonal bedeutet ›Sein oder Nichtsein‹ deutschen Musikwesens und ist eine Weltanschauungsfrage.« Die Einheit von Melodie, Harmonie und Rhythmus war für Ziegler das archetypische Wesenselement der Musik, wie sie im Volkslied und als »Künder deutscher Seele« erklinge. Die von Hindemith, Strawinsky und dieser ganzen Bewegung aufgeworfenen Probleme müssten ein für alle Mal gelöst werden, und Ziegler wusste, wie: »Eine Parallelausstellung zur Münchener Ausstellung ›Entartete Kunst‹ für alle musikalischen und Opern-Experimente der letzten drei Jahrzehnte, durch Schallplatten aller Art verlebendigt, würde vielen Augen und Ohren für die infernalischen bolschewistischen Versuche öffnen, Gemüt, Gefühl und Sinne des deutschen Menschen zu zerstören.«193

      Die Reichsmusiktage, das offizielle Hauptereignis in Düsseldorf, fanden vom 22. bis zum 29. Mai statt. Die Eröffnungsrede hielt mit dem Komponisten Paul Graener einer der stellvertretenden Präsidenten der Reichsmusikkammer. Da auf dem Musikfest die vom Regime nicht nur geduldete, sondern explizit erwünschte Musik präsentiert werden sollte, erlebte Graeners eigenes neues Werk – Feierliche Stunde – unter Leitung des Düsseldorfer Generalmusikdirektors Hugo Balzer seine Premiere als erstrangiges Beispiel für diese Musik. Erstrangig waren weder Komponist noch Dirigent, ihr Wirken allerdings brachte die spezifischen Qualitäten der zeitgenössischen Musik im NS-Staat zum Ausdruck. Objektiv gesehen war das Programm, abgesehen von Größen wie Beethoven, Richard Strauss und Hans Pfitzner, reines Mittelmaß, umrahmt und nahezu dominiert von randständigen Aufführungen: Militärmärsche wurden gespielt, der Reichsarbeitsdienst (RAD) brachte Marschmusik zu Gehör, das Reichssinfonieorchester gab Kostproben seines Könnens. Der NSDStB unterhielt ein Musikzeltlager, und die Hitlerjugend (HJ) sorgte für Frühstücksmusik. Offene Chöre wechselten sich ab mit Kammermusik und der Premiere der Ostmark-Ouverture von Otto Blesch, einem bis dato unbekannten Komponisten. (Seltsamerweise feierte auch das Stück Violinmusik des Dresdner Chorleiters Boris Blacher Premiere. Beeinflusst von Milhaud, Satie und Strawinsky, hatte Blacher Musik mit unkonventionellen Rhythmen und jazzigem Stil komponiert. Obwohl nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 »Vierteljude«, durfte er noch komponieren und aufgeführt werden.) Politische Aktivitäten gab es auch: Am 26. Mai veranstaltete man um halb vier in der Früh einen Ehrenmarsch zum Schlageter-Denkmal – Schlageter war von den Franzosen in der nahe gelegenen Golzheimer Heide erschossen worden.194 Goebbels höchstselbst schloss die Veranstaltung mit einer weiteren politischen Erklärung: Die Musik, die »deutscheste« aller Künste, sei vom internationalen Judentum fast ausgerottet worden. Erst der Nationalsozialismus habe dies in den letzten Jahren grundlegend verändert, denn er »fegte die pathologischen Erscheinungen des musikalischen jüdischen Intellektualismus weg«.195

      Abgesehen von einer eher nebensächlichen musikologischen Tagung zum »Problem Musik und Rasse« bot die von Ziegler gestaltete Exposition, die den Besuchern am 24. Mai zugänglich gemacht wurde, eine willkommene Abwechslung von den langweiligen Darbietungen im Hauptprogramm.196 Viele dürften die von Ziegler aufgestellten Hörkabinen als Hauptattraktion betrachtet haben. Im Inneren der Kabinen konnte man einen Knopf drücken, um die Musik eines verfemten Komponisten – Weill, Schönberg, Krenek usw. – zu hören. Drückte man mehrere Knöpfe (bis zu acht waren möglich) gleichzeitig, erklang jene Kakophonie, die die Nationalsozialisten für typisch atonal hielten. Hätte man allerdings Mozart, Beethoven und Wagner simultan gespielt, wäre der Effekt kaum anders gewesen.197

      Der Nachkriegserinnerung des NS-Musikkritikers Karl Laux zufolge wurden überdies »Portraits, theoretische Schriften, Notenbeispiele und Libretti, Plakate und Bühnenbilder zu musikdramatischen Werken« ausgestellt.198 Auf Wandplakaten seien »grundsätzliche Anschauungen der neuen deutschen Musikpolitik« verkündet worden,199 von Postern hätten die Porträts verfemter Komponisten herabgeblickt, zumeist mit einer herabwürdigenden Legende versehen. Unter einem Gemälde, das den russischen Edelmann Igor Strawinsky zeigte, sei beispielsweise die »Rassereinheit« seines Stammbaums bezweifelt worden. Die Köpfe der jüdischen Operettenkomponisten Leo Fall und Oscar Straus wurden dem Publikum nur als Karikatur präsentiert.200 Zu einer Fotografie des Zwölfton-Komponisten Anton Webern hieß es, mit seiner Art, Noten aufs Papier zu setzen, habe er sogar seinen »Dresseur« Arnold Schönberg übertroffen. Webern war vertreten, obwohl er nach dem sogenannten Anschluss Österreichs seine Tochter zur Hitlerjugend geschickt hatte, wo sie einen österreichischen SA-Mann kennenlernte, den sie dann heiratete.201 Auch den Schriften von Komponisten spielte Ziegler übel mit. Schönbergs 1910 erschienene Harmonielehre wurde als Grundlage der Zwölftonmusik verurteilt, obwohl er diese erst danach entwickelte.202 Und Hindemiths erst kurz zuvor (1937) erschienener Unterweisung im Tonsatz wurde eine gleichermaßen schädliche Funktion zugeschrieben.203 Unter einer Porträtfotografie von Schönberg aus dem Jahre 1924 las man einen angeblich von einem jüdischen Musikkritiker stammenden Slogan, dem zufolge Schönberg ein Meister der Hysterie und Schöpfer eines »Heers der Krämpfe« sei. Hindemith war auf einem Foto mit seiner Frau zu sehen, »einer Tochter des jüdischen Frankfurter Opernkapellmeisters Ludwig Rottenberg«; dass ihre Mutter nicht jüdisch war, blieb unerwähnt. Überzeugender wurde der Eindruck vermittelt, durch den Ziegler überhaupt erst motiviert worden war, dass nämlich »entartete Musik« und »entartete Kunst« zwei Seiten einer Medaille seien: Paul Klees Bild Musikalische Komödie war ebenso zu sehen wie, noch plausibler für den behaupteten Zusammenhang, Karl Hofers Jazzband.204

      Der Erfolg der Musik-Ausstellung, die vorzeitig bereits am 14. Juni schloss, blieb weit hinter dem der Münchner Kunst-Ausstellung vom Vorjahr zurück, obwohl Ziegler einen sorgfältig gestalteten Führer herausgegeben hatte.205 Darin waren seine Eröffnungsrede abgedruckt, außerdem einige der prominenteren Exponate wie etwa Schönbergs Porträt, aber auch Bilder von Kurt Weill, Ernst Toch und Franz Schreker – sämtlich bekannte, zumeist jüdische moderne Komponisten. In seinem Artikel wiederholte Ziegler die Hauptthemen früherer Arbeiten und bläute seiner Leserschaft erneut ein, dass die Juden aus der deutschen Kultur entfernt werden müssten und »Kunstbolschewismus« die beispielhafte Verkörperung musikalischer Geistesgestörtheit sei. Ziegler hatte sich bei seinen Weimarer Musikerkumpeln Rat geholt und gab sich nun als beschlagener Musikologe, wenn er behauptete, die Qualität einer Opernmusik lasse sich anhand des Librettos beurteilen – ein offensichtlicher Angriff auf die Dreigroschenoper von Brecht und Weill, die ebenfalls in der Ausstellung verunglimpft wurde. Dann gab Ziegler eine Definition von Musik mittels eines organischen Gesetzes, das angeblich dem Dreiklang zugrunde liege: »Das Geheimnis aller Erkenntnis liegt ja schließlich in der Einfachheit: wenn die größten Meister der Musik und aus dem ganz offenbar germanischen Element des Dreiklangs empfunden und geschaffen haben, dann haben wir ein Recht, diejenigen als Dilettanten und Scharlatane zu brandmarken, die diese Klanggrundsätze über den Haufen schmeißen und durch irgendwelche Klangkombinationen verbessern oder erweitern, in Wirklichkeit entwerten wollen.« Er ereiferte sich über Schönbergs »Atonalität« im Gegensatz zur »Reinheit des deutschen Genies Beethoven« und monierte »die Entartung nach dem Einbruch des brutalen Jazz-Rhythmus und Jazz-Klanges in die germanische Musikwelt«. Man könne nicht, schloss er, die große tonale Entwicklung von eintausend Jahren für einen Irrtum halten, sondern müsse die Meisterwerke dieser wunderbaren Epoche einschließlich der letzten Jahrzehnte als Krönung des abendländischen Geistes betrachten. Wer also »die Grenzen in der Klangkombination dauernd verschieben will, löst unsere arische Tonordnung auf«.206

      Da die Ausstellung in Düsseldorf nur wenig Begeisterung ausgelöst hatte, wurde sie zunächst auf Eis gelegt. Erst im Frühjahr 1939 ging sie nach Weimar, für Ziegler eine Art Heimspiel, und wurde dort im Landesmuseum mit der »Entarteten Kunst« zusammen gezeigt. Ziegler sorgte auch für eine Aufführung von Franz Lehárs Das Land des Lächelns, um die »Entartung« dieser Operette im Besonderen und des Genres im Allgemeinen zu demonstrieren. (Zu ebenjener Zeit vegetierte der jüdische Librettist Fritz Löhner-Beda im nahe gelegenen KZ Buchenwald dahin, wo er bald darauf ermordet wurde.) Ziegler war allerdings entgangen, dass Hitler Léhars Werke mochte – alle. Derartiger Dilettantismus trug vielleicht dazu bei, dass Ziegler aus der Ausstellung keine Dauereinrichtung machen konnte. Immerhin wurde sie im Mai noch in Wien gezeigt. Weitere Präsentationen verhinderte der Krieg.207

      Goebbels’


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