Kultur unterm Hakenkreuz. Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz - Michael Kater


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hielt«, die für die Staatsbeamten und Parteifunktionäre typisch waren und von Mommsen bereits geschildert worden waren. Diese Aura, die insbesondere Goebbels im Rahmen seiner Propagandaarbeit fabrizierte, habe mit ihrer radikalisierenden Dynamik bis weit in den Krieg hinein aufrechterhalten werden können. Und so habe Hitler, keineswegs ein »schwacher Diktator«, um 1935 in seinem Reich als starker Mann gegolten, der die Wirtschaft wieder in Schwung und die unbeherrschte SA unter Kontrolle gebracht, die geheiligten Traditionen der beiden christlichen Kirchen geschützt, in der Außenpolitik deutsche Rechte verteidigt, militärische Führungskraft gezeigt und sich nicht zuletzt gegen die vermeintliche Bedrohung durch Juden und Kommunisten behauptet habe. Korruption und Amtsvergehen in der Staats- und Parteibürokratie seien in der Bevölkerung als etwas betrachtet worden, das Hitler, hätte er davon gewusst, unterbunden hätte. Hitlers mutmaßliche Stärke, argumentierte Kershaw, wurde angesichts der relativen Schwäche seiner Untergebenen von den gewöhnlichen Deutschen akzeptiert, da viele noch glaubten, dass rein theoretisch ein persönlicher Appell an den Führer außerhalb der vorgeschriebenen Dienstwege möglich wäre. Eine solche Interpretation der NS-Herrschaft zeichnete also das Bild eines starken Diktators, der zumindest bei jener Mehrheit als stark galt, die Goebbels zum Glauben an den »Hitlermythos« hatte bewegen können. Zusätzliche Stärke gewann Hitler, indem er am Mythenbau mitwirkte. »In dem von ihm gezeichneten öffentlichen Bild konnte sich Hitler im Dritten Reich in einer positiven Rolle darstellen, indem er beschränkte Interessen und Beschwerden durch das alles überwölbende Ideal nationaler Einheit transzendierte. Ermöglicht wurde dies durch die notwendige Distanz zum ›Konfliktbereich‹ der Tagespolitik, so dass er von den unpopuläreren Aspekten des Nationalsozialismus unberührt blieb.«6

      In seiner beeindruckenden zweibändigen Hitler-Biographie arbeitete Kershaw Ende der neunziger Jahre den »Führermythos« und seine Funktionen noch weiter aus. Die Choreographie in Hitlers Führerstaat sah vor, dass die Akteure, die schon Mommsen und seine Vorgänger erkannt hatten – Regierungsbeamte, Parteifunktionäre und Hitler selbst – nach einem einmal erprobten und dann beliebig oft wiederholten Muster zusammenwirkten. Kershaw erklärt: »Hitlers personalisierte Herrschaftsform ermutigte seine Anhänger zu radikalen Initiativen von unten und bot solchen Initiativen Rückendeckung, solange sie mit seinen grob definierten Zielen auf einer Linie lagen. Dadurch wurde auf allen Ebenen des Regimes eine scharfe Konkurrenz gefördert – zwischen verschiedenen Ämtern ebenso wie zwischen einzelnen Beamten oder Funktionären innerhalb dieser Ämter. Wer im darwinistischen Dschungel des Dritten Reiches befördert werden und zu einer Machtposition gelangen wollte, mußte den ›Führerwillen‹ erahnen und, ohne auf Anweisungen zu warten, die Initiative ergreifen, um das voranzutreiben, was den Zielen und Wünschen Hitlers dienlich erschien.« In einem derart personalisierten, auf Hitler zugeschnittenen Herrschaftssystem, erreichte derjenige am ehesten sein Ziel, der den sichersten und direktesten Zugang zum »Führer« hatte.7 So ließ sich auch ein privates Vorgehen gewöhnlicher »Volksgenossen«, etwa eine Denunziation bei der Gestapo, ungeachtet der Motive der Denunzianten als vorauseilender Gehorsam verstehen.8 »Sie halfen dadurch, eine unaufhaltbare Radikalisierung voranzutreiben, die zur allmählichen Herausbildung konkreter, in der ›Mission‹ des Führers verkörperter, politischer Ziele führte.«9 (Diese Radikalisierung zeigte sich im Krieg in verschiedenen Extremen: in den frühen Blitzsiegen, der von den Nazis gewollten Grausamkeit des Ostfeldzugs, Hitlers erratischen Entscheidungen als oberster Befehlshaber, der widerwärtigen Brutalität im Umgang mit sowjetischen Kriegsgefangenen, dem zunehmenden Terror im Justiz- und KZ-System und vor allem in der Verfolgung der Juden.) Kershaw gelang die Synthese: Er berücksichtigte das Umfeld und die Akteure unterhalb der Führungsspitze, setzte aber Hitler erneut in den Mittelpunkt des Narrativs über das politische Handeln im Dritten Reich. In letzter Instanz, so bekräftigte auch Volker Ullrich in seiner Hitler-Biographie, beanspruchte der Führer das »alleinige Recht« der Entscheidung bei »grundlegenden Problemen«.10

      Anhand von Kershaws Modell kann die Frage nach Hitlers Rolle dort, wo die Kultur betroffen war, neu gestellt werden. Vor ihrer Beantwortung gilt es jedoch zuerst festzulegen, nach welchen Kriterien Hitler als Kulturmensch beurteilt werden soll. Ferner wollen wir uns vergewissern, welche kulturellen Leistungen das NS-Regime wenigstens in der Zeit vor dem Krieg aus eigener Kraft zu vollbringen imstande war. Von getreuen Anhängern, aber auch von einigen Historikern ist Hitler als Genie bezeichnet worden. Wir müssen fragen, ob sich das auf seine frühe Rolle als Künstler und seine spätere Beschäftigung mit Kunst und Kultur, wie sie im Dritten Reich beobachtet werden konnte, beziehen lässt.

      Wenn Hitler Genie besaß, dann nur in der Politik. Entscheidend dafür war sein intuitiver Umgang mit den Menschen, deren Gefühle er fast absolut zu beherrschen verstand. »Hitler war mit Instinkt gesegnet, er erschnüffelte die Menschen wie ein Hund.« So hörte ich es von Otto Strasser, dem Kampfgenossen Hitlers aus den späten zwanziger Jahren, im Frühjahr 1978, ein paar Monate vor seinem Tod.11 Goebbels, der damals mit Otto und dessen Bruder Georg eng zusammenarbeitete, ihnen sogar untergeordnet war, hat, wie seine Tagebücher verraten, offensichtlich ebenfalls an die intuitiven Fähigkeiten des Führers geglaubt. Hitlers »große Begabung war allein die Politik«, schreibt Ullrich. »In seiner Fähigkeit, Situationen blitzschnell zu analysieren und auszunutzen, war er nicht nur den Rivalen in der NSDAP, sondern auch den Politikern der deutschen Mainstream-Parteien überlegen. Nur so lässt sich erklären, warum er aus allen innerparteilichen Krisen, die es bis 1933 gab, als Sieger hervorgehen konnte.«12

      Abgesehen von diesem außerordentlichen Talent für Politik verfügte Hitler noch über andere Begabungen, wenn auch nicht im selben Ausmaß. Er war überdurchschnittlich intelligent und verfügte über ein beeindruckendes Gedächtnis, allerdings nur auf Gebieten, die er interessehalber pflegte (so wie er nur Gefolgsleute tolerierte, die erkennbar »dem Führer entgegen arbeiteten«). Im Frühsommer 1939 erinnerte sich der Musikliebhaber Hitler beispielsweise daran, wie er »am 29. Juni 1932 im Konzertsaal des Bayrischen Hofes« in München den Bass-Bariton Hans Hotter die beiden Arien des Hans Sachs aus Wagners Die Meistersinger von Nürnberg singen hörte.13 Zahllos sind die Gelegenheiten, bei denen Hitler winzige Details militärischer Ausrüstungsgegenstände oder Automobile memorierte; seit dem Ersten Weltkrieg erweiterte er seine militärischen Kenntnisse ständig. Zudem war er ein fanatischer Liebhaber von Autos, der Mercedes bevorzugte (und später alles, was Ferdinand Porsche vorschlug).14 Ganz so neu war das indes nicht, hatte doch Kaiser Wilhelm II. seine Zeitgenossen auf ähnliche Weise in Erstaunen versetzt, gleichfalls durch militärisches Wissen, insbesondere die Marine betreffend. Aber Hitler war auch mit den Grundlagen von Carl von Clausewitz’ philosophisch inspirierter Militärtheorie vertraut und kannte manches auswendig, wenngleich Clausewitz’ Einsichten für Strategien des 20. Jahrhunderts nicht mehr recht brauchbar waren.15

      Tiefere Einsichten in Bildung und Gelehrsamkeit blieben Hitler verschlossen; eingedenk seines fehlgeschlagenen Ausbildungsgangs hasste er Lehrer und Universitätsprofessoren (was erklären mag, weshalb er später, scheinbar paradoxerweise, viele Professoren selbst ernannte, nur um diese Lakaien später mit Verachtung zu strafen). Als Autodidakt konnte er sich seine Wissensgebiete selbst wählen, aber die Wirtschaft gehörte nicht dazu, auch wenn er während seiner gesamten politischen Laufbahn immer wieder Halbwahrheiten von sich gab.16 Der Harvard-Absolvent Ernst Hanfstaengl (seit 1919 mit Hitler befreundet, NSDAP-Mitglied, Geschäftsmann und Hobbypianist) entdeckte in Hitlers erster bescheidener Wohnung in München eine bemerkenswerte Bibliothek mit Büchern über Geschichte, Geographie, auch Philosophie, etwa Werke Schopenhauers. Vieles fand sich später in Form von Zweitexemplaren in Hitlers komfortabler Landsberger Gefängniszelle. Sein historisches Interesse bezog sich, was nicht überrascht, neben der griechischen und römischen Antike vor allem auf die deutsche Geschichte und hier besonders auf den Lebensweg des Preußenkönigs Friedrich II. Seine »rassenkundliche« Bildung fußte auf Houston Stewart Chamberlain, Paul de Lagarde und Hans F. K. Günther. Die Belletristik war in seinem Münchner Schlafzimmer nicht vertreten, aber er war mit einigen modernen Dramen, etwa von Wedekind und Ibsen, vertraut (Letzteres sicherlich, weil sein zeitweiliger Mentor, Dietrich Eckart, Peer Gynt übersetzt hatte). Ansonsten bevorzugte er Detektivgeschichten und leichtere Sachen, populäre und satirische Geschichten à la Ludwig Thoma und – seit seiner Jugend – die Wildwestromane von Karl May.17

      Hitler bewunderte Schauspieler und liebte es, sich Filme anzuschauen, vor allem die Höhepunkte aus Produktionen


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