Kultur unterm Hakenkreuz. Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz - Michael Kater


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1938 Musiker aller Couleur doch inspiriert genug, um für das Folgejahr Vorschläge einzusenden. 1121 Partituren gingen bei den Organisatoren ein, darunter 36 Opern, 431 Sinfonien, Werke für Chor und instrumentelle Begleitung, außerdem eine erkleckliche Anzahl von Kammermusikstücken.208 Waren die Bewerber alle mittelmäßig? Natürlich gab es unter ihnen keine Juden, und niemand hatte Werke im Zwölfton- oder Jazz-Stil vorgeschlagen. So gesehen, dürfte die Ausstellung »Entartete Musik« Früchte getragen haben. Aber abgesehen von derart begrenzten Zwecken ist sie deshalb in die Geschichte eingegangen, weil sie jeglicher Debatte über Moderne in der Kunst im Reich ein Ende bereitete.

      Die Kunst- wie die Musik-Ausstellung stehen für Versuche der NS-Institutionen, die Moderne auszuradieren, sofern es ihren Vertretern nicht gelungen war, sich in das Dritte Reich zu integrieren. Mit Hitlers Rede, in der er im Juli 1937, dem Eröffnungsmonat der Ausstellung »Entartete Kunst«, allen seiner Ansicht nach ästhetischen Verirrungen endgültig eine Absage erteilt hatte, war die Moderne ganz offiziell beendet. Die Musik-Ausstellung diente der Bestätigung dieser Entscheidung, auch wenn die Bewegung in bestimmten Ausprägungen isoliert und häufig unter der Hand trotzdem weitergehen sollte – denn kein von menschlicher Regung motivierter Trend lässt sich einfach auslöschen, nicht einmal in einer höchst repressiven Diktatur.209

      Die Beseitigung jener ästhetischen Wertesysteme, die als Kennzeichen der Weimarer Republik galten, betraf Formen und Gestalten, Farben und Klänge, Experimente, Freiheit und Toleranz – alles Merkmale einer offenen, auf Inklusion bedachten Gesellschaft im Gegensatz zu den Beschränkungen der auf Ausschluss gerichteten faschistischen Gemeinschaft mit ihren kleinkarierten, vorurteilsbeladenen Vorstellungen. Es gibt eindeutige Parallelen zwischen dem politischen Aufstieg der Nationalsozialisten und der Zunahme ihrer modernefeindlichen Gesinnung: Mit ihrem Stimmenzuwachs bei den Reichstagswahlen vom September 1930 nahm ihre Kampagne gegen republikanische moderne Künstler an Fahrt auf – zu deren Schaden. Nach der Machtergreifung fielen alle Schranken. Die Gewalt, die die SA auf der Straße entfachte, wurde mit fragwürdigen Gesetzeswerken verschränkt, was die zerstörerische Dynamik beschleunigte. Und so wurde das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 schon früh auch gegen Künstler der Moderne in Anschlag gebracht, sei es, um sie mundtot zu machen, sei es, um sie und ihre Werke gänzlich aus Meisterklassen und Kunstakademien zu verbannen. Ergänzend sorgten neue Statuten für die Einführung von Zensur (mit Selbstzensur im Gefolge), etwa Goebbels’ Verbot der Kunstkritik im November 1936. Zwei Jahre später ließ er das Gesetz zur entschädigungslosen Beschlagnahmung von Kunstwerken aus privatem wie staatlichem Besitz folgen. In eben diesem Jahr starb Barlach an gebrochenem Herzen. Zu dieser Zeit hatte das sogenannte Dritte Reich als politisches Konstrukt den Zenit seines Erfolgs erreicht. Es verfügte über die uneingeschränkte Macht, jedes Hindernis auf dem Weg zu »rassischer« Konsolidierung und kriegerischer Aggression zu beseitigen. In diesem Jahr – 1938 – zeigte das Regime, wozu es fähig war, als es, genau zwei Wochen nach Barlachs Tod, Synagogen niederbrannte, jüdische Männer und Frauen gnadenlos verfolgte und zu Tausenden in die KZs schickte, Hunderte von ihnen tötete. Saßen 1933 etwa 4000 Personen – Juden und Nicht-Juden – in deutschen Lagern, waren es Ende 1938 bereits 54 000.210 Es dürfte kein Zufall sein, dass Juden in der Zeit vor der Machtergreifung großen Anteil am Aufstieg der Moderne gehabt hatten.

      Bei der Zerschlagung des Bestehenden und der folgenden Einführung von Ersatzkonstruktionen sind die nationalsozialistischen Führer häufig scheinbar widersprüchlichen Impulsen gefolgt, die heute Fragen aufwerfen. Wie lässt sich beispielsweise die Sympathie verstehen, die 1933 Ernst Barlach von NSDStB-Studenten entgegengebracht wurde, wenn im selben Jahr Studenten einer anderen Gruppierung die landesweite Bücherverbrennung organisierten?211 Beide Gruppen waren durch und durch nazifiziert, und doch begegnete die eine der Moderne mit Wohlwollen, die andere mit Feindschaft. Und in beiden Gruppen gab es Mitglieder, die zu einer Zeit Verständnis für die Moderne zeigten und sie zu einer anderen verdammten. Rätsel geben auch die Beziehungen zwischen NS-Größen in ihrer Einstellung zur Moderne – pro oder contra – auf, wobei eine Fraktion den Sieg davontrug: die Rosenberg’sche über die Goebbels’sche. Obwohl ursprünglich ein Sympathisant des Expressionismus, musste Goebbels im Streit um Hindemith und schließlich 1937 bei der Entscheidung über die Zukunft der Moderne im Dritten Reich zurückstecken. Hatte sich der geistreiche Propagandaminister im alltäglichen Umgang mit dem geistlosen Parteiphilosophen Rosenberg zwischen 1925 und 1938 nicht immer als deutlich überlegen erwiesen? Bei näherer Betrachtung entdeckt man, dass in beiden Fällen Hitler selbst den Ausschlag gab – zugunsten Rosenbergs. Das verweist auf Besonderheiten in den Führungsmustern des Regimes, die der genaueren Untersuchung bedürfen.

      Kapitel 2

       Nationalsozialistische Vorkriegskultur

      B evor wir das Wesen der NS-Kultur vor dem Krieg bestimmen, müssen einige Fragen hinsichtlich der Natur des Dritten Reiches geklärt werden. Zum einen sollten die Regierungs- und Verwaltungsstrukturen klarer definiert werden, innerhalb derer die Nationalsozialisten in die Kultur eingriffen, indem sie entweder ästhetische Maßstäbe wiederbelebten oder neue einführten. Zum anderen wäre es von Nutzen, mehr über Hitlers eigene Rolle zu wissen: Wie interessiert war er an kulturellen Angelegenheiten, und wie groß war sein Einfluss auf Veränderungen?

      Die internationale Debatte um die Struktur des sogenannten Dritten Reichs und Hitlers Rolle darin begann vor gut 50 Jahren und ist als gedankliche Grundierung bis heute von Bedeutung. In den sechziger Jahren kennzeichnete Karl Dietrich Bracher den nationalsozialistischen Staat als autoritäres System; Partei und Staat seien Instrumente der »totalitären Herrschaft« gewesen, die Hitler aus einer Position der »Allmacht« heraus miteinander verbunden habe. »Die nationalsozialistische Doktrin«, schrieb Bracher, »bemächtigte sich der Kultur und der Werte der deutschen Gesellschaft.«1 Diese Theorie der Alleinherrschaft fand Unterstützung durch Eberhard Jäckel, der Hitler als die zentrale, treibende Kraft in der Diktatur ansah, deren Verwirklichung sich logisch aus zwei starken persönlichen Impulsen Hitlers im Gefolge des Jahres 1919 ergeben habe: dem Wunsch nach Eroberung von »Lebensraum« für die »Volksgenossen« (nach der notwendigen Revision des Versailler Vertrags) und nach physischer Vernichtung der Juden.2

      Gegen diese monolithischen Ansätze entwickelte Hans Mommsen in den siebziger Jahren eine differenziertere Interpretation, die soziale, wirtschaftliche und psychologische Faktoren, ja, sogar den Zufall für die Entstehung der Diktatur berücksichtigte. Bereits Mitte der sechziger Jahre hatte Mommsen Hitler als »schwachen Diktator« bezeichnet, was er in den frühen achtziger Jahren durch den Aufweis divergierender Strukturen ausführte: Es gab Rivalitäten zwischen Staatsapparat und Partei, bei denen Ämter einander auszustechen suchten und Beamte alle möglichen Anstrengungen unternahmen, um Konkurrenten aus dem Felde zu schlagen.3 Mommsen schilderte miteinander konkurrierende Führungsstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen ohne klare hierarchische Abgrenzungen, mangelhafte bis fehlende Koordination und Situationen der Entscheidungslosigkeit, in denen es Hitler nicht gelang, seine Machtbefugnisse als »Führer« durchzusetzen. Es gab, so Mommsen, eine »Polykratie der Ressorts«, die für ein regierungseigenes Chaos sorgte, verschärft noch durch Hitler, der gewöhnlich keine endgültigen Entscheidungen fällte. Dieses System reproduzierte sich, bis es einen Punkt kumulativer Radikalisierung überschritten hatte. Wenn Hitler überhaupt einmal in regierungs- oder verwaltungsbezogene Vorgänge eingriff, schrieb Mommsen, ging es ihm in der Regel darum, Einhalt zu gebieten. Allerdings konnte er auch Initiativen in Gang setzen, um dann zu beobachten, wie das Chaos sich entwickelte. Seine eigene Position indes durfte dadurch nicht gefährdet werden.4 Wie aber konnte, fragte der Bracher-Schüler Manfred Funke, in einem derart selbstzerstörerischen System die »politische Energie« gewonnen und bewahrt werden, die notwendig war, um die Nation voranzubringen?5

      In jüngerer Zeit hat Ian Kershaw eine Synthese zwischen dem »intentionalistischen« Ansatz von Bracher und Jäckel und der »funktionalistischen« Schule von Mommsen entwickelt. In seiner früheren Forschung hatte Kershaw sich auf den von ihm so genannten Hitler-Mythos konzentriert und war zu der Auffassung gelangt, dass die führenden Nationalsozialisten im Staats- und Parteiapparat ihre Arbeit so einrichteten, dass dem Anschein nach jeder, gleichgültig welcher Agenda er folgte, »dem Führer entgegen arbeitete«. In einem 1987 erschienenen Buch


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