Euroskeptizismus auf dem Vormarsch. Julian Wessendorf
als „Erosion der Abgrenzung“. Wolfgang Gessenharter (1989: 426) sprach davon, dass sich die intellektuelle neue Rechte „sowohl vom Ideenpotential als auch organisatorisch [als] eine Gruppierung zwischen dem deutschen Konservatismus und dem deutschen Rechtsextremismus konstituiert hat, die eine Scharnierfunktion, also Verbindung und Begrenzung gleichermaßen, zwischen beiden bildet“. Demnach steht die Neue Rechte zwischen dem demokratischen Konservatismus und dem Rechtsextremismus, verbindet diese dynamisch miteinander, trennt sie von einander ab und lässt sich aber keiner der beiden Kategorien eindeutig zuordnen. Ignazi (1992: 16) beschreibt die „new right-wing parties“ wie folgt:
„They refuse any relationship with traditional conservative parties, they define themself [sic!] outside the party system, they are constantly in fight against all the other parties, they accuse the ‘ruling class’ of misconsideration [sic!] of the ‘real’ problems of the people, they blame the incapacity of the system to deal with the most salient issues, law and order and immigration. Finally, they deny any reference to fascism.“
Die Neue Rechte grenzte sich demnach bewusst vom rechtsextremen Lager ab, während sie sich gleichzeitig gegen alle anderen bereits existierenden und im System etablierten Parteien stellte. In kürzester Zeit wurde nahezu jede Erscheinungsform rechter Einstellung, die sich vom (neo-)faschistischen Rechtsextremismus unterschied oder unterscheiden sollte, unter dem Label der Neuen Rechten zusammengefasst (vgl. Stöss 2013: 569). Vor allem wegen der „Scharnierfunktion“, die die Neue Rechte einnahm, fiel und fällt es der Wissenschaft schwer, ihre genaue Position auf dem Spektrum zwischen Konservatismus und Rechtsextremismus zu verorten. Bezeichnend für die Schwierigkeit der eindeutigen Positionierung und Spezifizierung der Neuen Rechten im rechten Spektrum ist der Ansatz von Brodkorb und Bruhn (2010). In diesem erklärten die Autoren, eine Einordnung der Neuen Rechten in das bekannte Spektrum wäre wenig sinnvoll, da in der wissenschaftlichen Diskussion dieselben Begriffe unterschiedlich verwendet würden. Vielmehr grenzten sie die demokratische Rechte von der antidemokratischen Rechten ab (Brodkorb & Bruhn 2010: 152f.). Nach dieser Einteilung bezeichnet die demokratische Rechte den (Rechts-)Konservatismus und den Rechtsradikalismus und die antidemokratische Rechte den Rechtsextremismus. Die Neue Rechte hingegen wird als Oberbegriff für alle neuauftretenden rechten Strömungen unabhängig der ideologischen Ausprägung verstanden (ebd. 160). Während einige Autoren die Neue Rechte explizit nicht dem Rechtsextremismus zurechnen (vgl. Minkenberg 1998: 141; Gessenharter 2010: 29), siedeln u. a. Pfahl-Traughber (1994b: 168) und Pfeiffer (2004: 53f.) die Neue Rechte im Rechtsextremismus an und sehen sie als Brücke zwischen demokratischen und antidemokratischen Kräften, die von Intellektuellen genutzt wird, um rechtsextreme Ideen zu transportieren, zu verbreiten und zu veröffentlichen. Stöss (2016) hingegen bezeichnet die „intellektuellen Vordenker des Rechtsaußenlagers“, die sich politisch-ideologisch zwischen dem Konservatismus und dem Rechtsextremismus befinden, als die Neue Rechte und weniger die Parteien und ihre AnhängerInnen.
Nicht zuletzt, weil sich die Bezeichnung als Neue Rechte „für die Analyse als wenig hilfreich erwiesen [hat]“ (Decker 2000: 55), fand sowohl in der Wissenschaft als auch im journalistischen Diskurs der Begriff ‚Rechtspopulismus‘ immer größeren Zuspruch (vgl. Decker 2006: 9; Stöss 2013: 574). Alltagssprachlich versteht man unter Populismus eine grundsätzlich negativ konnotierte Politik der Stimmungsmache, die mit bestimmten sprachlichen Mitteln versucht, die Gunst des Publikums zu gewinnen. In der Wissenschaft wird der Populismus als eine Haltung umschrieben, die für das einfache Volk kämpft und sich gegen die politischen Eliten stellt (vgl. Decker & Lewandowsky 2009). Ob der (Rechts-)Populismus jedoch als eigenständige Ideologie angesehen werden kann, ist nach wie vor umstritten. Pfahl-Traughber (1994a: 17) merkt hierzu an, der Begriff ‚Populismus‘ würde nur dann analytisch nutzbar werden, wenn man ihn eben nicht als politische Ideologie, sondern als Politikform verstehe. Auch Dubiel (1986: 7) vertritt die Auffassung, der Populismus bezeichne keine neue politische Strömung, sondern beschreibe lediglich, wie das öffentliche Bewusstsein durch einen bestimmten Politikstil gebildet und beeinflusst wird. Mudde (2007: 23) beschreibt den Populismus als „ideological feature“ innerhalb des Rechtsradikalismus („Populist Radical Right Parties“) und hebt ihn dadurch zumindest einmal von der Einstufung als reines Stilmittel ab.
Auf der anderen Seite wurde schon Mitte der 1980er und Anfang der 1990er Jahre über die Aufnahme „rechts-populistische[r] Protestparteien […] als eigene ideologische Parteifamilie“ (Niedermeyer 1990: 564) innerhalb des Parteienspektrums oder die Ausbreitung des Rechtspopulismus als neuartigen Parteityp diskutiert (vgl. Decker 2005: 45). Häusler (2016: 137) stellt fest, dass der Rechtspopulismus prinzipiell ähnliche Themen verfolgt wie der Rechtsextremismus und ordnet ihn somit aus ideologischer Sicht dem Rechtsextremismus unter. Er gibt jedoch zu bedenken, dass dies nicht zutreffen kann, wenn man den Populismus als reines stilistisches Mittel politischer Inszenierung untersucht. In diesem Falle könne der Populismus nicht nur auf die extreme Rechte beschränkt, sondern auf das gesamte politische Spektrum ausgedehnt werden.
Ähnlich wie bei der Unterscheidung zwischen Extremismus und Rechtsextremismus lässt sich auch bei der Differenzierung von Populismus und Rechtspopulismus nur dann eine geeignete Arbeitsdefinition herausdestillieren, wenn man den Begriff nicht allgemein, sondern in seinen unterschiedlichen Ausprägungsformen betrachtet. Im Sinne des Wortes beansprucht der Populismus für sich, den Willen des Volkes8 zu vertreten. Hierbei zeichnet er sich durch besondere agitatorische Stilmittel aus: Die Übertragung von Strategien aus dem privaten auf den öffentlichen Bereich, das Aufzeigen radikaler Lösungen im Sinne einer Fundamentalopposition, die Identifikation mit den ‚kleinen‘ Leuten, das Verbreiten von Verschwörungstheorien und Feindbildern, Provokationen und Tabubrüche, die Verwendung von Gewaltmetaphern sowie Emotionalisierung und Angstmache (vgl. Decker 2004: 35f.). Vereinfacht beschreibt Priester (2007: 12) den Populismus als sprachliches Mittel, das einen marktschreierischen Stil, eine volkstümliche und deftige Sprache sowie eine simplifizierende und emotionale Diskursführung verwendet, um seine ZuhörerInnen zu erreichen und zu beeinflussen. Diese stilistischen Merkmale alleine lassen darauf schließen, dass der Populismus tatsächlich mehr Politikform als politische Ideologie ist. In der Regel ruft der Populismus im Stile einer „wir hier unten gegen die dort oben“-Dichotomie zum Kampf gegen das Establishment, gegen die Eliten und gegen die dominierenden Parteien auf, während man sich selbst als Teil des Volkes in der Opferrolle sieht (vgl. Decker 2004: 22; Rensmann 2006: 63). Somit wird ein Idealbild eines Volkes – nicht unbedingt der tatsächlichen Bevölkerung – kreiert, welches Identität und Zugehörigkeit schaffen soll, während das „Establishment“ angeprangert wird, gegen den Willen des Volkes zu handeln. Daher propagieren PopulistInnen den „verstärkten Einsatz direktdemokratischer Elemente als unmittelbaren Ausdruck des homogenen Volkswillens“ (Decker & Lewandowsky 2009: XX), was zu vermehrten Forderungen nach Volksentscheidungen führt. Sobald sich der populistische Stil mit rechten Ideologien vermischt, nimmt auch der Populismus „selbst ideologische Qualität“ (Decker 2004: 33) an. Im Sinne einer „wir hier drinnen gegen die dort draußen“-Dichotomie schafft der Rechtspopulismus bspw. Feindbilder gegen das Fremde, wobei sich die ablehnende Haltung sowohl gegen das Fremde selbst als auch gegen diejenigen richtet, die das Eindringen des Fremden ermöglicht. Im gleichen Sinne hat der Populismus auch immer einen antipluralistischen Wesenszug, der sich nicht nur auf ethnische, sondern auch auf religiöse oder sexuelle Minderheiten bezieht und sich bis hin zu einer offenen Fremdenfeindlichkeit entwickeln kann (vgl. Decker & Lewandowsky 2009). Rechtspopulistische Parteien zeichnen sich durch ihre antimigratorische, antieuropäische und antiamerikanische Einstellung aus, lehnen die Globalisierung ab und sehen sich selbst als Anti-Parteien-Partei, die plebiszitär und stark medienorientiert ausgerichtet ist (vgl. Hartleb 2004: 46).
Um die verschiedenen aufgeführten Ausprägungen und Ideologien der politischen Rechten im Verständnis dieser Untersuchung voneinander abzugrenzen, verdeutlicht Abbildung 4 noch einmal die Positionen der unterschiedlichen ideologischen Strömungen innerhalb des politischen Spektrums:9
Abb.