Euroskeptizismus auf dem Vormarsch. Julian Wessendorf
einbezogen (vgl. Vasilopoulou 2018: 27). Da lediglich 20 Artikel diese Vorgabe erfüllten, fügte Vasilopoulou der Liste weitere Artikel hinzu, die ihrerseits mindestens 15 Mal zitiert worden waren. Beide Kategorien verglich sie unter dem Gesichtspunkt des Fokus der Analyse. Abbildung 1 zeigt eine vereinfachte Darstellung der Ergebnisse:
meistzitiert | Veröffentlichungen 2014 | ||||
Fokus der Analyse | Öffentlichkeit | 17 | 8 | ||
Parteien/ Eliten | 6 | 12 | |||
Beides (Öffentlichkeit und Parteien) | 4 | 2 | |||
Sonstiges | 1 | 4 |
Abb. 1: Schwerpunkte der Untersuchung des Euroskeptizismus nach Vasilopoulou (2018).
Aus den Ergebnissen geht hervor, dass hinsichtlich der meistzitierten Artikel vor allem die öffentliche Meinung im Fokus der Forschung stand und eher seltener parteipolitische Aspekte. Beachtenswert ist jedoch, dass insbesondere in Bezug auf die Parteien- und Elitenforschung in Zusammenhang mit Euroskeptizismus 2014 eine deutliche Steigerung der Veröffentlichungen festzustellen ist. Aufgrund der augenscheinlichen Bedeutung der öffentlichen Meinung für die Euroskeptizismusforschung sollen in der Folge zusätzlich zu den bereits erwähnten Euroskeptizismusmodellen aus parteipolitischer Sicht auch ausgewählte Modelle zur Bestimmung des Euroskeptizismus vorgestellt werden, die sowohl die öffentliche Meinung als auch die Einstellung der Bevölkerung zur EU und ihren Institutionen erfassen.
Krouwel und Abts (2007) berufen sich bei ihrer Typologisierung ebenso wie Kopecký und Mudde (2002) auf Eastons Modell der politischen Unterstützung. Sie unterscheiden jedoch nicht nur zwischen diffuser und spezifischer Unterstützung, sondern beziehen auch die drei von Easton (1965: 157) als „political objects“ benannten Ebenen der Autoritäten, des Regimes und der politischen Gemeinschaft mit ein. Als Autoritäten bezeichnet er konkret die Inhaber von Herrschaftspositionen und damit die politische Führung. Dies kann sich gleichermaßen auf ein Individuum, wie bspw. ein Staatsoberhaupt oder ein Parlamentsmitglied, wie auch auf ein Kollektiv, respektive ein Parlament oder ein Gericht, beziehen (ebd. 205f.). Das Regime ist gekennzeichnet durch seine politischen Werte, Normen und institutionellen Strukturen und nimmt somit Bezug auf die konstitutionelle Ordnung (Easton 1965: 193). Die politische Gemeinschaft nimmt eine spezifische Rolle ein, da sie die Beziehung individueller Mitglieder des Systems untereinander beschreibt und die Unterstützung einer politischen Gemeinschaft ein Zusammengehörigkeitsgefühl hervorrufen kann (ebd. 177). Auf dieser Grundlage erstellen Krouwel und Abts (2007: 254, Hervorheb. im Original) zunächst zwei unterschiedliche Achsen. Die erste Achse beinhaltet die „targets of supportive or rejective attitudes“, während sich die zweite Achse auf den „degree of reflexivity“ bezieht. Um die Ziele der Unzufriedenheit bestimmen zu können, gehen sie auf die Bewertung der drei politischen Objekte ein. Die europäischen Autoritäten werden aufgrund der Integrität und der Kompetenz der politischen Handelnden beurteilt. In Bezug auf das europäische Regime stehen sein Auftreten sowie die Reaktivität auf die Bedürfnisse der BürgerInnen und bei der europäischen Gemeinschaft der Grad der Verbundenheit zum Gedanken einer EU, die den Frieden und das Volk sichert, im Vordergrund (ebd. 256f.).
Demgegenüber stehen auf der zweiten Achse drei Elemente, die die Einstellung des Volkes und die jeweiligen Gefühle gegenüber bestimmter Handlungsweisen der politischen Objekte widerspiegeln. Auf dieser Achse untersuchen Krouwel und Abts (2007: 258) den Grad der Kontrolle der politischen Umgebung, den Grad der Unterscheidung zwischen bestimmten Zielen und den Grad der Offenheit zur Evaluierung relevanter Daten. Auf einer Skala von Vertrauen bis Entfremdung evaluierten sie beide Achsen und arbeiteten fünf Abstufungen der Einstellung zu den politischen Objekten heraus. Ob und inwiefern die Haltung nun positiv oder negativ ist, hängt hierbei vom Grad des Vertrauens bzw. der Entfremdung ab. Die erste Stufe bezeichnen Krouwel und Abts (2007: 261f., Hervorheb. im Original) als „Euroconfidence“ und beschreiben damit eine Einstellung zur EU, die sich durch blinde Zustimmung zu den Entscheidungen der EU aufgrund des hohen Vertrauens in die EU und ihre AkteurInnen auszeichnet. Auf zweiter Stufe steht der „Euroscepticism“, der eine Mischung aus Unzufriedenheit mit dem aktuellen Auftreten der EU auf der einen und Vertrauen in das europäische Projekt im Allgemeinen auf der anderen Seite verbindet. An dritter Stelle folgt der „Eurodistrust“, der die Frustration über das Versagen der EU in Bezug auf die Erwartungen und Begehren der BürgerInnen ausdrückt. Der „Eurocynicism“ an vierter Stelle repräsentiert eine Geringschätzung der europäischen Autoritäten und ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Funktionieren der europäischen Institutionen. Abschließend bezeichnen Krouwel und Abts (2007: 263, Hervorheb. im Original) die tiefe Abneigung und Ablehnung der EU als „Euroalienation“. Abbildung 2 zeigt eine vereinfachte Darstellung der Kategorien basierend auf der graduellen Entwicklung von Vertrauen hin zur Entfremdung gegenüber den politischen Objekten.
Vertrauen Entfremdung | Euroconfidence |
Euroscepticism | |
Eurodistrust | |
Eurocynicism | |
Euroalienation |
Abb. 2: Einstellung zu den politischen Objekten nach Krouwel & Abts (2007).
Weßels (2009: 54) hebt zwar hervor, dass „die von Krouwel und Abts vorgelegte Typologie in der Systematik, Komplexität und Reichweite über andere Typologien deutlich hinaus[geht]“, kritisiert an diesem Ansatz jedoch, dass er vor allem in der Operationalisierung Schwächen aufweise. Er bemerkt, dass die Orientierung gegenüber der Gemeinschaft gefühlsbasiert sei, da sie einer Identifizierung des Individuums innerhalb der Gemeinschaft gleichkäme, während die Orientierung gegenüber dem Regime und den Autoritäten in erster Linie eine Bewertung darstelle (ebd. 55). Gleichzeitig konstatiert er auch, dass sich eine umfassende Typologie des Euroskeptizismus auf alle Einstellungsobjekte und Orientierungsmodi beziehen müsse, das letztliche Erscheinungsbild dieser Typologie aber immer davon abhinge, „welche Aspekte des Skeptizismus als relevant erachtet werden und in welcher Form bzw. Kombination [diese] zusammenwirken“ (Weßels 2009: 55). Dies bedeutet, dass es aufgrund der unterschiedlichen Motive und Aspekte des Euroskeptizismus keine allgemeingültige Typologie für das Phänomen geben kann, da diese weder miteinander vergleichbar sind, noch grundsätzlich ähnlichen Kategorien zugeordnet werden können. Usherwood (2016a: 15) merkt hierzu an, dass ein eindeutiges Modell zur Definition von Euroskeptizismus vor allem aufgrund der populären Verwendung des Begriffs ‚Euroskeptizismus‘ für sämtliche Formen der Kritik oder der Ablehnung vereinzelter Aspekte unmöglich erscheint. Dennoch versucht sich auch Weßels (2009: 56) an einem Konzept des politischen Euroskeptizismus und untersucht – ebenfalls nach Eastons Modell – die Einstellungen der Bevölkerung gegenüber der Funktionsweise und Leistung sowie den Normen und Werten des politischen Systems. Er stellt fest, dass politische Skepsis nicht per se negativ zu verstehen sei, da die Demokratie von konstruktiver Kritik und der Pluralität verschiedener Meinungen lebe (Weßels 2009: 66). Dementsprechend ist es für die Euroskeptizismusforschung nach Weßels‘ Ansatz lediglich wichtig, ob man die politische Ordnung selbst hinterfragt oder nur einige Aspekte innerhalb der Ordnung. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen zwei Grundspielarten – fundamental und konstruktiv – und orientiert sich sowohl an Taggert und Szczerbiaks (2001) Konzept des harten und weichen Euroskeptizismus als auch an Hirschmans (1978) Termini zur Äußerung von Unzufriedenheit gegenüber Systemen. Hirschman (1978: 90) spricht davon, dass ein unzufriedenes Individuum innerhalb eines Systems