Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter

Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter


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codierte Symbolverständnis als »Repräsentanz« (Wilson, 1991, 64) von etwas und nicht als deren Ersatz (vgl. ebd.). »Die Fähigkeit, ein abwesendes Objekt zu evozieren, setzt eine Qualität des kognitiven Funktionierens voraus, die es dem Schöpfer eines Symbols erlaubt, ein Bild in seinem Geist wahrzunehmen und festzuhalten« (ebd.). Diese Fähigkeit zu psychischer Repräsentanz (beispielsweise nach Nähe zu einem Objekt) ist nicht angeboren und wie die Mentalisierung Teil einer bedeutsamen Reifung im Kleinkindalter. Sie steht als dritte Stufe der frühen sensorischen Ebene als neurophysiologisches, prärezeptives Phänomen (Stufe eins), auf die sodann die Koppelung von sensorischen Reizen mit Inhalten (Stufe zwei) folgt, welche an Reaktionen ablesbar werden (vgl. ebd., 65). Die Herausbildung zu psychischen Repräsentanzen braucht dagegen keinen direkten Reiz von außen mehr, insofern ist sie »reifer«. Sie braucht vielleicht einen Anlass, aber keinen Wahrnehmungsreiz, und stellt »die Bausteine für andere komplexere psychische Repräsentanzen: für Bilder, Phantasien, Gedanken, Begriffe, Träume, Halluzinationen, Symptome und Sprache« (ebd., 65) zur Verfügung. Es sind empfundene Impulse, Bedürfnisse, Wünsche, die in der Repräsentanz/Symbolisierung mental vorstellbar werden, vielschichtiger, vieldeutiger, auch verunklärter als der in Worte fassbare Gedanke dazu. Darin birgt die Symbolisierung im Gegensatz zum Wort ihr herausragendes Potential. Rubin zitiert für diesen Weg des Affekts zur symbolisierenden Repräsentanz Gendlin: »Gefühl ohne Symbolisierung ist blind; Symbolisierung ohne Gefühl ist leer« (Gendlin zit. in Rubin, 1993, 331). Und weiter mit Rubin meint die symbolisierte oder auch mentalisierte Affekt- und Gefühlsrepräsentanz die prominenteste Form wirklichen Wissens als »perzeptuell-emotionale Erkenntnis« (ebd.), die selbst das denkbar macht, was noch vage oder unbeschreiblich erfahren wird und mehrdeutig, eventuell auch widersprüchlich oder paradox erlebt wird. So viel zum Vorgang des Symbolisierens in seiner Bedeutung für die psychische und geistige Entwicklung des Kindes in seiner Nähe zum Konzept des Mentalisierens. Ein weiterführendes Nachdenken über die Aufgabe des Symbols in der Kunst bzw. im künstlerischen Tun erfolgt im nächsten Kapitel. Um die allgemeinen Überlegungen zu den Grundlagen erzieherischen versus therapeutischen Handelns abzuschließen, kann ergänzt werden, dass selbst für den schulischen Unterricht und die Rolle der*des Lehrenden umfängliche Konzepte für einen mentalisierungsbasierten Unterricht zur Eröffnung von Räumen für Gefühls-Symbolisierungen auch in der Gruppe vorliegen (vgl. Hirblinger, 2011). Insofern erfolgt hier nochmals ein Plädoyer dafür, Theoriebildungen aus der Psychoanalyse nicht als spekulative und oder unverhältnismäßige Therapeutisierung von Bildungsprozessen abzutun, sondern sie in ihrem Potential eines Verstehenszuwaches menschlicher Verhaltens- und Ausdrucksweisen aufzunehmen. Im Folgenden wird dies in Bezug auf die Ebene der Interventionen noch um weitere Aspekte aus der psychoanalytischen Pädagogik ergänzt.

      2.4.3 Ausgewählte Aspekte psychoanalytischer Pädagogik für therapeutisches wie pädagogisches Handeln

      Wie in den Erläuterungen zur Entstehung mentalisierender Kompetenzen in Abhängigkeit von gelingenden Bindungserfahrungen angeklungen, geht es in pädagogischen wie psychosozialen Settings häufig um ein Nachholen solcher (mangelnden) Erfahrungen in aktuellen (Arbeits-)Beziehungen bzw. um deren Korrektur. Ein entsprechend definierter geschützter Rahmen, wie ihn die Kunsttherapie vorsieht, ist im Kontext aufdeckender und korrigierender bzw. mit der Übertragung/Gegenübertragung operierender Verfahren, die ein Nacherleben und Aufarbeiten einer früheren konflikthaften und seelisch beeinträchtigenden (Bindungs-)Erfahrung ermöglichen, sinnvoll und notwendig. Doch geschehen Übertragungsprozesse bzw. die oben angeschnittenen »Inszenierungen« von zu wenig mentalisierbaren Affekten und Wünschen auch im pädagogischen Alltag, wobei als Vereinfachung der*die therapeutisch tätige Professionelle eher an der Übertragung, der*die Pädagog*in mit der Übertragung arbeitet (vgl. Naumann, 2010, 118). Das heißt, ein*e Adressat*in unserer Arbeit reaktiviert beispielsweise frühere Beziehungserfahrungen mit primären Bezugspersonen und überträgt diese auf uns: der*die Therapeut*in lässt sich intensiver auf diese Rollenzuschreibung ein, um dem Klientel eine alternative und bessere Bindungserfahrung erlebbar zu machen und der*die Pädgog*in nutzt die Analyse des Übertragungsgeschehens zum Verstehen der Adressat*innen in ihrem Verhalten und ihren Anliegen. Korrigierende Beziehungserfahrungen zur Verfügung zu stellen und mentalisierende Fähigkeiten auszubauen, ist auch in heil- und sozialpädagogischen Kontexten beispielsweise in der stationären Unterbringung von Kindern und Jugendlichen, in der Familienhilfe unabdingbar, so dass entsprechende Kompetenzen im Bildungs- und Erziehungsfeld ebenso fruchtbar sind.

      Neben dem Mentalisierungskonzept können Elemente psychoanalytischer Pädagogik zur Qualifizierung im Überschneidungsbereich pädagogischer/therapeutischer Aufgaben bzw. für die Begleitung von Adressat*innen mit entsprechenden Bedarfen beitragen. Diese sollen in ihren wichtigsten Bausteinen skizziert werden. Naumann betont die emanzipatorische Tradition der psychoanalytischen Pädagogik aus ihrer Gründerzeit Anfang des 20. Jahrhunderts: »Positiv formuliert wird deutlich, dass die frühe Psychoanalytische Pädagogik die Autonomie und Beziehungsfähigkeit des Kindes mit der Selbstreflexion des Erziehers und seiner sozialistisch orientierten Kritik an der Gesellschaft zu verbinden trachtete« (Naumann, 2010, 114), was hier betont wird, da landläufig Psychoanalyse klischeehaft verkürzt mit individual- und triebpsychologischen »Deutungen« in Verbindung gebracht wird. Großen Anteil hatte die psychoanalytische Pädagogik nach dem 2. Weltkrieg an der Kritik der autoritären Erziehung und in der Entstehung der Kinderläden (vgl. ebd.). Sie hat sich in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt, die Erkenntnisse der Bindungstheorie (Bowlby) und der neueren Säuglingsforschung eingebunden sowie die intersubjektive Wende der Psychoanalyse mitvollzogen. Zudem agiert sie »sinnverstehend«, das bedeutet von jedem – gerade auch scheinbar unangemessenen, destruktiven oder irritierenden – Verhalten, Wahrnehmen und Bewerten eines*einer Agierenden wird dessen Sinnhaftigkeit angenommen. Das heißt, es wird davon ausgegangen, dass der*die Betroffene teils unbewusste, in der eigenen Biographie, den eigenen Bindungserfahrungen und den erlernten Bewältigungsstrategien (image Kap. 2.3.2) liegende Gründe für ein bestimmtes Verhalten hat. »Für all dies steht mit dem ›szenischen Verstehen‹ (Lorenzer) ein Erkenntnisverfahren bereit, das die Reflexion pädagogischen Geschehens im Hinblick auf dessen subjektive, intersubjektive und institutionelle Aspekte erlaubt« (Naumann, ebd., 117). In eigenen oder interkollegialen Reflexionen wird so versucht, die Bedeutung bestimmter Situationen für den Einzelnen im Kontakt mit anderen zu entschlüsseln, gerade was das Aufscheinen von Affekten (Aggressionen, Ängste, Wut) und problematischen Reaktionen betrifft. Vorausgesetzt wird, dass bisher gemachte Bindungserfahrungen in das Erleben der aktuellen Situation einfließen:

      »Jeder Mensch entwickelt schon als Kind durch die Verinnerlichung von mehr oder minder glücklichen Interaktionsformen unbewusste, sinnlich symbolische und sprachsymbolische Interaktionsformen. Unweigerlich setzt das Kind in weiteren Beziehungen sein Unbewusstes, seine Fantasie und seine bewussten Bedürfnisse in Szene« (ebd.,130).

      Das gilt natürlich auch für Jugendliche und Erwachsene, und je nach Lebensalter ist es bedeutsam, ein mehr oder minder intensives »Entwicklungsbündnis« (ebd., 127) mit den Adressat*innen der eigenen Arbeit einzugehen und sich ihnen mittels des Bion’schen »Containings« und des »Holdings« nach Winnicott in seiner Professionalität als »Hilfs-Ich« (ebd., 129) anzubieten. Konkretisiert meint ersteres, schwierige Gefühls- und Affektlagen oder Verhaltensweisen zusammen mit dem*der Klient*in auszuhalten, ihre Bedeutung zu erkunden und sie nicht gleich unbesehen zu beseitigen. »Holding« meint Ähnliches, verbunden mit dem Anbieten einer Rahmung, evtl. eine Verbalisierung oder Markierung des wenig erträglichen Geschehens. Wie umfänglich hier sprachliche und reflektierende Interventionen eingebunden werden, hängt sehr vom Lebens- bzw. Entwicklungsalter des Gegenübers ab, nonverbale, ästhetische und performative Akte können bedeutsamer Teil dieses »Containings« sein.

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