Kunst, Bildung und Bewältigung. Lisa Niederreiter

Kunst, Bildung und Bewältigung - Lisa Niederreiter


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Gunter Otto hat sich in einem Beitrag »Therapie als Problem der (Kunst-)Pädagogik« so dazu geäußert:

      »Die Diskussion therapeutischer Absichten hat Folgen im erweiterten Bereich, in der allgemeinen Pädagogik als kritisch-diagnostisches Moment, in der allgemeinen Didaktik und Schulpädagogik als Impuls für eine grundlegende Veränderung des Lernens, in der ästhetischen Erziehung als Dynamisierung bestehender Praxis im Blick auf lernende Subjekte. Ist das ein Nachteil?« (Otto, 1993, 92).

      Das Spannungsfeld Bildung/Bewältigung in wechselseitiger Bedingtheit und Verflechtung kann prominent mit dem seit den 1980er Jahren durch Böhnisch und Schröer geprägten Theoriemodell der Lebensbewältigung (vgl. Stecklin & Wienforth, 2020, 20) bestimmt werden, welches in der Sozialen Arbeit eine bedeutende Rolle spielt und permanent aktualisiert wird. Für den vorliegenden Diskurs relevant ist m. E. die Integration psychodynamischer, soziodynamischer und gesellschaftlicher Dimensionen von Problemlagen und entsprechend davon abgeleitete Handlungsaufforderungen (Böhnisch, 2019, 11 f). Das kommt einem von vorn herein umfassenden Verständnis von Störungen bzgl. gelingendem Leben gleich, das per se nicht zwischen klinisch oder erzieherisch relevant unterscheidet:

      »Unter (Lebens) bewältigung verstehe ich das Streben nach psychosozialer Handlungsfähigkeit in kritischen Lebenskonstellationen. Lebenssituationen und -konstellationen werden dann als kritisch bezeichnet, wenn die bisherigen eigenen Ressourcen der Problemlösung versagen oder nicht mehr ausreichen und damit die psychosoziale Handlungsfähigkeit beeinträchtigt ist« (ebd., 20).

      Zudem gilt das Konzept für alle Lebensalter, Lebenslagen und Querschnitthemen (vgl. Stecklin & Wienforth, a. a. O.) von Problemlagen einer globalisierten, nachmodern entgrenzten, interkulturellen, turbokapitalistischen Gesellschaft, die große Ungleichheiten und Risiken gelingenden Lebens produziert (image Kap. 5). Als interessant und für unseren jeweils therapeutisch bzw. pädagogisch codierten Auftrag bereichernd stellt sich die durchgehend »sinnverstehende« Haltung im Bewältigungskonzept dar, d. h. es wird davon ausgegangen, dass auch (selbst)schädigende, störende, unterlassende Verhaltensstrategien für die jeweiligen Subjekte erworbenes Bewältigungshandeln darstellen und diese eben (noch) kein besseres oder adäquateres oder solches, das ihnen keine zusätzlichen Probleme einbringt, zur Verfügung haben. Auch hier wird im sozialarbeiterischen Fallverstehen mit psychologischen Modellen wie dem des Selbst(werts), mit Mechanismen wie inneren und äußeren Abspaltungen und Delegationen gearbeitet (vgl. Böhnisch, a. a. O., 21 ff), welche Menschen aus Hilflosigkeit und Unfähigkeit, sich und ihre Hilfebedarfe mitzuteilen, heraus anwenden. Das exemplifiziert und differenziert Böhnisch an Gewaltproblematiken der Betroffenen sich selbst oder anderen gegenüber, die affektorientiert geschehen würden, wenn Hilflosigkeit überhandnehme. Damit ist die Theorie anschlussfähig an das in Kapitel 2.4.1 (image Kap. 2.4.1) vorgestellte Mentalisierungskonzept als Baustein pädagogischen wie therapeutischen Handelns. Beispielhaft erklärt Böhnisch eine Form äußerer, delegierender Abspaltung so:

      »Rechtsextremistische Programme bieten eine Projektionsfläche für die Abspaltung von biographisch verfestigten Selbstwert- und Anerkennungsstörungen. Ihre ethnozentristische bis rassistische Programmatik bietet nicht nur die Möglichkeiten der Abwertung anderer und damit der Selbsterhöhung der eignen Person, sondern offeriert auch ihre kollektive Einbindung und Bestätigung in gleichgesinnten sozialen Gruppen« (ebd., 27).

      Für die hier geführte Debatte ist zudem die enge Verschränkung von Bildung und Bewältigung in dem vorliegenden Modell relevant: »In der Bewältigungsdimension entscheidet sich der Lern- und Bildungserfolg« (ebd., 146). Spies und Steinbach dividieren die komplexe Verwobenheit beider Bereiche auseinander:

      »Jede Bildungsbiografie und jedes pädagogische Handeln mit Anspruch bildender Anregung ist demnach ein Prozess, der an soziale Bedingungen, wahrgenommene Möglichkeiten oder Einschränkungen, Entwicklungen und Widerfahrnisse, repräsentierte Wissensordnungen sowie gesellschaftliche Machtkonstellationen anschließt, die zu einem bestimmten Verlauf des Werdens, der Suche und Auseinandersetzung mit Gegebenheiten, Anforderungen und Bewältigungsstrategien führen und an Biografizität gebunden sind« (Spies & Steinbach, 2020, 417).

      Zudem enthält das Konzept der Lebensbewältigung mit dem Augenmerk auf krisenanfällige »Übergänge« (z. B. Adoleszenz) Elemente aus der Entwicklungspsychologie. Als »Bewältigungsfallen « bezeichnet Böhnisch diese (a. a. O., 176). Nicht zu vergessen sind die gesellschaftlichen Bedingungen, welche Bewältigungschancen unterschiedlich ausfallen lassen, indem sie ungleich ausgestattete Lebenslagen und Milieus produzieren und auf übergeordneter Ebene eines professionsethisch codierten Handelns als Kampf um soziale Gerechtigkeit bedarf. Böhnisch spricht in diesem Zusammenhang vom »Begriff der Befähigungsgerechtigkeit« (ebd., 210):

      »Dieser zielt darauf ab, dass ein Gerechtigkeitsdiskurs das Prinzip unterschiedlicher personaler und biografischer Befähigungen zu Lebenschancen aller Menschen – unabhängig von ihren körperlichen und geistigen Vermögen – in den Mittelpunkt stellen muss« (ebd.).

      2.4 Konzepte zur theoretischen Fundierung pädagogischer wie therapeutischer Prozesse

      Im Folgenden sollen nun ausgewählte zentrale Theoriebausteine pädagogischen und therapeutischen Handelns zusammengestellt werden, insofern sie für alle Anwendungsfelder dieser Publikation grundlegend sind und damit modellhaft als sicheres theoretisches Fundament für all jene dienen können, die ihre therapeutisch/psychosozial supportiv wirkenden Kompetenzen auch im Kontext von Bildung erweitern wollen. Sie entstammen überwiegend der psychoanalytisch orientierten Entwicklungspsychologie und Heilpädagogik, der psychoanalytischen Kreativitätsforschung, sind somit von der Objektbeziehungstheorie inspiriert und nehmen in diesem Kontext den für künstlerische Verfahren so bedeutsamen Symbolbegriff besonders in den Blick.

      Um diesen Überschneidungsbereich beispielhaft mit möglichen theoretischen Bausteinen auszustatten, wird nun das in Zusammenhang mit der Bindungstheorie stehende Mentalisierungskonzept in seinen Grundzügen vorgestellt, da es als tiefenpsychologischer Ansatz die »soziale, psychische Geburt« (Fonagy & Luyten, 2011, 905) des Menschen zu fassen vermag und eine fundierte Verstehensgrundlage für Pädagogik wie Psychologie und ästhetische Erkenntnis darstellt. Das Gesamtkonzept greift auf Erkenntnisse der Bindungstheorie, der Psychoanalyse, der Theory of Mind, der Psychotherapieforschung und Neurobiologie zurück (vgl. Gingelmaier et al., 2018). Für diese Publikation von besonderem Interesse ist der Zusammenhang der entwicklungspsychologischen Vorgänge im Mentalisieren mit der entstehenden Fähigkeit des Symbolisierens, d. h. emotionale, psychische, affektgeladene Inhalte denken und sich vorstellen zu können. Etwas mentalisieren bzw. symbolisieren zu können, stellt einen ersten Schritt zu mentaler Abstraktionsfähigkeit von Gefühltem/Empfundenem zum Denken und im Weiteren zum Verbalisieren dar. Mentalisierung und Symbolbildung sind zudem gleichermaßen auf der Ebene geistiger Entwicklung anzusiedeln. Mentalisieren meint dabei »die Fähigkeit, den Anderen und die eigene Person als Wesen mit geistig-seelischen Zuständen zu verstehen« (Gerspach, 2009, 93), d. h. sich selbst und den anderen denken zu können, sich in sich selbst hineinversetzen zu können und in den anderen Verhalten als intentionale Aktivität interpretieren zu können. Weiter erstreckt sich das auf die soziale Komponente, nämliche die »eigene mentale Verfassungen in ursächlichen Zusammenhang mit der mentalen Verfassung anderer Personen zu bringen« (ebd., 94). Staehle erklärt so: »Mentalisierung im engeren Sinne beinhaltet die Entstehung der Fähigkeit, sich selbst und andere als denkend zu erleben, über sich selbst zu reflektieren oder die Gedanken der Anderen wahrzunehmen und zu verstehen« (Staehle, 2008, 122). Das auf Fonagy und Target zurückgehende, um die Bindungsforschung erweiterte kognitionspsychologische Konzept der »Theorie of Mind« erlaubt die menschliche Entwicklung von


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