Die tödlichen Gedanken. Stefan Bouxsein

Die tödlichen Gedanken - Stefan Bouxsein


Скачать книгу
Jäger starrte ausdruckslos vor sich hin. »Probleme gibt es immer. Aber nichts Gravierendes. Schon gar nicht so kurz vor den Sommerferien.« Sie drehte sich abrupt zu Siebels. »Sie glauben doch nicht etwa, dass das ein Schüler von ihr gewesen ist?«

      Siebels zuckte mit den Schultern. »Der Zettel auf ihrem Schoß gibt mir zu denken. Sitzen geblieben. Das klingt nach der Rache eines Schülers.«

      »Nein, auf keinen Fall«, wehrte Sybille Jäger ab. »Verena war beliebt bei ihren Schülern.«

      »Die Ferien stehen vor der Tür. Ein Schuljahr ist also beendet. Gibt es denn Schüler, die die Versetzung nicht geschafft haben und bei Frau Jürgens in den Unterricht gegangen sind?«

      Sybille Jäger nickte zaghaft. »Ja, es gibt zwei Schüler. Aber die haben damit ganz sicher nichts zu tun.«

      »Das wird sich herausstellen«, sagte Siebels und legte sachte seine Hand auf den Arm der Lehrerin. »Ich muss auf jeden Fall in die Schule fahren und mit den beiden sprechen. Wie sind ihre Namen?«

      »Muss das sein?«

      »Leider ja. Wir müssen einen Mord aufklären. Einen grausamen Mord, der im Vorfeld gut geplant wurde. Wenn diese zwei Schüler damit nichts zu tun haben, finden wir das schnell heraus.«

      »Daniel Bach und Lukas Batton«, flüsterte die Lehrerin und schloss dann die Augen. Der Notarzt gab Siebels zu verstehen, dass die Befragung nun beendet sei.

      2

       Mein Lehrerinnenbuch

       Ich war enttäuscht. Ich dachte, ich würde sitzen bleiben und das Schuljahr wiederholen müssen. Dann würde sie mich nicht mehr unterrichten, meine Lehrerin. Dann würde sie sich weiter um die anderen Schüler kümmern, aber nicht mehr um mich. Mich würde sie ganz schnell vergessen. Aber ich würde immer an sie denken.

       Ich war an den See gefahren, an die Kiesgrube, und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen. Ich saß am Ufer auf meinem Handtuch und starrte auf das Wasser. Einige Leute schwammen, andere standen bis zu den Knien im Wasser und warfen sich einen Plastikball zu. Ich saß wie festgeklebt auf meinem Handtuch. Ich fühlte mich völlig erschöpft und ausgelaugt, obwohl ich noch nichts weiter unternommen hatte. Außer dazusitzen und auf den See zu starren.

       »Darf ich mich zu dir gesellen?«

       Erstaunt blickte ich nach oben. Da stand sie vor mir, meine Lehrerin, und lächelte mich an. Sie trug schwarze Hot Pants und ein weißes Top. In der Hand hielt sie eine Stofftasche. Sie stellte die Stofftasche neben mir ab, kniete sich hin und holte ein Badetuch aus der Tasche. Sie breitete ihr Handtuch neben mir aus. Ich musste schlucken. Sie schlüpfte aus ihrem Top und ihrer kurzen Hose. Darunter kam ein blütenweißer Bikini zum Vorschein. Sie legte sich bäuchlings auf das Handtuch. »Bald sind Ferien, dann komme ich öfter hierher«, sagte sie. »Du solltest aber bis dahin besser noch etwas lernen. Noch zwei Prüfungen, das kannst du noch schaffen. Du glaubst doch an dich, oder?«

       Mir waren die Prüfungen eigentlich ziemlich egal. Ich wollte nur in ihrer Nähe sein. Wollte sie anschauen. Ihr zuhören. Und jetzt lag sie tatsächlich neben mir. Nur mit einem knappen Bikini bekleidet. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

       Sie richtete sich wieder auf. »Ich gehe schwimmen. Kommst du mit?«

       Ich schüttelte den Kopf. »Das Wasser ist noch so kalt«, stammelte ich hilflos.

       »Eine kleine Abkühlung tut bestimmt richtig gut bei dem warmen Wetter«, sagte sie und lief auch schon los. Ich schaute ihr nach. Vorsichtig setzte sie einen Fuß nach dem anderen ins kalte Nass. Dann machte sie ein paar schnelle Schritte, bis ihr das Wasser bis zur Hüfte reichte. Schließlich verschwand ihr ganzer Körper unter der Wasseroberfläche, nur ihr hellblondes Haar war noch zu sehen. Sie schwamm einige Meter, drehte sich im Wasser, blieb flach mit dem Rücken auf dem Wasser liegen und winkte mir zu. Wie gerne wäre ich zu ihr ins Wasser gesprungen. Aber mir fehlte die Kraft. Ich konnte mich einfach nicht aufraffen, es war wie verhext. Ich blieb sitzen und winkte ihr scheu zurück. Wenigstens das schaffte ich. Kurz darauf kam sie wieder zurück. »Wirklich schade, dass du nicht mitgekommen bist«, bedauerte sie. »Es war wirklich herrlich erfrischend.«

       »Vielleicht später«, wiegelte ich mit leiser Stimme ab.

       »Vielleicht später«, äffte sie mich nach. »Du bist doch ein attraktiver junger Mann. Du solltest überschäumen vor Lebensfreude. Die Chancen nutzen, die sich dir bieten. Keine Gelegenheit auslassen. Wer weiß, ob ich später noch mit dir ins Wasser gehen will.«

       Ich bewunderte sie. Sie war so offen und direkt. Und so voller Lebensfreude. Ich schämte mich für meine Zurückhaltung und fragte mich, wie sie es wohl gemeint hatte, als sie sagte, ich wäre ein attraktiver Mann.

       »Es stört dich doch hoffentlich nicht, wenn ich die nassen Sachen ausziehe?«, fragte sie mich, ohne meine Antwort abzuwarten. Vor meinen Augen legte sie erst ihr Oberteil ab und schlüpfte dann aus ihrem Bikinihöschen. Beide Teile legte sie sorgfältig zum Trocknen auf ihrer Stofftasche ab. Meine Augen wanderten ungläubig über ihren nackten Körper. Die Sonnenstrahlen tauchten ihre Silhouette in helles Licht. Ich musste die Augen zusammenkneifen, um sie betrachten zu können. Plötzlich drehte sie ihren Kopf zu mir und zwinkerte mir zu. »Gefalle ich dir?«, fragte mich meine Lehrerin.

       »Sehr sogar«, gestand ich mit rotem Kopf.

      Siebels plauderte vor dem Hauseingang noch einen Moment mit Polizeiobermeister Meier. Der Leichenwagen kam vorgefahren und ein Journalist von der lokalen Presse hatte sich unter dem Absperrband durchgemogelt. Zwei Männer hievten einen Blechsarg aus dem Fond des schwarzen Wagens und der Journalist fragte Siebels nach Details zu dem Mord.

      »Die Absperrung gilt auch für Sie«, ereiferte sich Meier.

      »Die Leiche bitte in die Gerichtsmedizin zu Frau Lehmkuhl«, wies Siebels die Männer in den schwarzen Anzügen an.

      »Nur ein kurzes Statement von der Mordkommission«, bat der Journalist und schaute Siebels fragend an.

      Till kam gerade aus dem Hauseingang heraus. Er setzte seine Sonnenbrille auf und schlenderte zu Siebels und Meier.

      »Fragen Sie ihn«, beschied Siebels und zeigte auf Till.

      »War es ein Raubmord?«, fragte der Journalist und ging zwei Schritte auf Till zu.

      Till blickte argwöhnisch zu Siebels. Dass der einen Journalisten an ihn verwies, war eher ungewöhnlich. Siebels stand lächelnd und mit verschränkten Armen da und beobachtete die Szene.

      »Wir ermitteln in alle Richtungen«, sagte Till und täuschte vor, einen Kaugummi zu kauen.

      Der Journalist zog eine Grimasse. »Wurde das Opfer sexuell missbraucht?«, stocherte er weiter im Trüben.

      Till verstärkte seine imaginären Kaubewegungen. Durch seine dunkle Sonnenbrille war sein Blick nicht zu deuten. »Wir werten alle Spuren aus und erwarten in den nächsten Tagen einen ausführlichen Obduktionsbericht. Dann können wir mehr dazu sagen.«

      »Ist viel Blut geflossen?«, versuchte der Journalist es erneut mit deutlich weniger Euphorie in der Stimme.

      Till winkte den Journalisten mit einer verschwörerischen Geste näher zu sich heran. Ein Hoffnungsschimmer erschien auf dessen Gesicht. Till beugte sich zu ihm und flüsterte ihm ins Ohr. »Nein.«

      Der Journalist war etwas verwirrt, als sonst nichts weiter kam. Zu allem Überfluss legte Till einen Finger auf seine Lippen. »Das bleibt aber noch unter uns.«

      Der Journalist drückte Till seine Visitenkarte in die Hand. »Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas Neues haben.«

      »Aber klar doch«, sagte Till und nahm die Karte entgegen. Der Journalist suchte nach


Скачать книгу