Die tödlichen Gedanken. Stefan Bouxsein

Die tödlichen Gedanken - Stefan Bouxsein


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einer Bank Platz und warfen einen Blick auf die ausgehändigten Daten. Daniel Bach wohnte in der Robert-Mayer-Straße in Bockenheim. Sein Vater war Programmierer bei einer Versicherung, die Mutter arbeitete als Kindergärtnerin. Lukas Batton war in der Feuerbachstraße im südlichen Westend zuhause. Lukas‹ Vater betrieb eine Zahnarztpraxis im gleichen Haus, die Mutter war dort als Zahnarzthelferin tätig.

      »Teilen wir uns auf?«, schlug Till vor. »Ich übernehme Daniel, du besuchst Lukas.«

      »Okay, aber vorher sollten wir uns gemeinsam die Wohnung der ermordeten Lehrerin genauer anschauen. Die Spurensicherung dürfte mittlerweile mit allem durch sein. Ich habe den Wohnungsschlüssel von der Kollegin des Opfers bekommen.« Siebels schaute in seinem Notizblock nach dem Namen der Frau. »Sybille Jäger heißt sie. Sie unterrichtet Biologie und Chemie.«

      Zurück in der Wohnung des Opfers durchsuchten Siebels und Till die Schränke und Schubladen nach Hinweisen auf den Täter. Auf der Fahrt dorthin war Siebels der Gedanke gekommen, dass der Täter im Vorfeld vielleicht Drohbriefe oder Schmähbriefe an sein Opfer geschickt hat. Oder es gab Notizen von Frau Jürgens, die auf einen entsprechenden Schüler hindeuteten. Die Wohnung war eindeutig nur von einer Person bewohnt. Die Altbauwohnung hatte neben Küche und Bad drei geräumige Zimmer. Eines diente als Schlafzimmer, eines als Wohnzimmer und eines als Arbeitszimmer. Siebels nahm sich die Schränke im Wohnzimmer vor, Till das Mobiliar im Arbeitszimmer. Die Ausbeute für Siebels beschränkte sich auf einen Stapel Frauenzeitschriften, Urlaubspostkarten von Freundinnen der Ermordeten, Unterlagen über eine abgeschlossene Lebensversicherung zugunsten der Eltern, Urlaubskataloge von den Kanaren und Balearen und viel bedeutungslosen Krimskrams. »Die Eltern wohnen in Gießen«, fasste Siebels seine Erkenntnisse zusammen. »Die muss wohl auch noch jemand informieren.«

      »Hier gibt es hauptsächlich Deutsch und Geschichte«, gab Till seine Ausbeute preis. »Bücher, Lehrpläne, Kommentare zu Referaten, Vorbereitungen für den Unterricht und so weiter. Der Computer ist passwortgeschützt. Ich baue die Festplatte aus, da soll Charly mal einen Blick drauf werfen.«

      »Du kannst Festplatten ausbauen?«, staunte Siebels.

      »Wenn ich einen Schraubenzieher finde. Wo könnte eine Deutschlehrerin einen Schraubenzieher aufbewahren?«, überlegte Till laut und sah sich um.

      »Im Flur, in der Kommode«, riet Siebels und überprüfte das auch gleich. »Volltreffer«, freute er sich und reichte Till einen Satz Schraubenzieher. »Hier liegt auch ihr Handy.« Siebels nahm das angeschaltete Mobiltelefon zur Hand und betrachtete sich Nachrichten und Bilder, während Till den Rechner im Arbeitszimmer auseinanderschraubte. »Hier habe ich doch noch etwas gefunden«, sagte Siebels und zeigte Till ein Foto auf dem Handy.

      »Sieht noch ziemlich jung aus«, murmelte Till. »Ein Schüler?«

      Das Foto zeigte einen schlafenden jungen Mann mit nacktem Oberkörper in einem Bett. Der Unterkörper war von einer Bettdecke verdeckt.

      »Das werden wir hoffentlich bald wissen.«

      »Das Foto wurde bei Tageslicht gemacht. Sieht aber eher aus wie ein Liegenbleiber als wie ein Sitzenbleiber«, witzelte Till.

      »Vielleicht hat er im falschen Fach die Nachhilfe bekommen und in Geschichte hat es dann nicht mehr gereicht. Werfen wir doch mal einen Blick ins Schlafzimmer.«

      »Passt«, befand Till, als er das Bett auf dem Foto mit dem Bett im Schlafzimmer der Lehrerin verglich.

      »Passt exakt«, bestätigte Siebels. »Pack das Handy zur Festplatte und ab damit zu Charly. Der findet bestimmt noch mehr.«

      3

       Mein Lehrerinnenbuch

       Ich war spazieren gewesen. Bin einfach ziellos zwischen den Häuserreihen umhergelaufen und habe versucht, klare Gedanken in meinen Kopf zu bekommen. Es war wieder ein heißer Sommertag. Die Sonne brannte auf den Asphalt der Straßen. Ich hatte das Gefühl, als würde die Sonneneinstrahlung giftige Dämpfe aus dem Straßenbelag lösen. Dämpfe, die ich einatmete. Mit jedem Atemzug drang eine neue Dosis Gift in meinen Körper. Gift, das mich lähmte. Es lähmte meine Schritte und es lähmte meine Gedanken. Und nirgendwo konnte ich Schatten entdecken. Die pralle Sonne hatte alle Schatten getilgt. Überall löste sich ungehindert das Gift aus dem Asphalt und breitete sich flächendeckend aus. Langsam stieg es höher. Unsichtbar, aber unaufhaltsam. Ich atmete tief ein. Füllte meine Lungen mit den giftigen Dämpfen. Sog sie in mich ein. Und spürte ihre lähmende Wirkung. Mir wurde schwindelig. Die Häuser um mich herum fingen an sich zu bewegen. Fast unmerklich, aber es entging mir trotzdem nicht. Wenn ich noch länger umherlief, würde ich bald tot umfallen. Ich musste zurück. Zurück in die Wohnung. Dort war es kühl. Die Jalousien waren heruntergelassen.

       Ich hatte einige Mühe, bis ich den richtigen Schlüssel für die Haustür an meinem Schlüsselbund gefunden hatte. Schnell drückte ich die Tür hinter mir wieder zu, damit die reine Luft im Treppenhaus nicht kontaminiert wurde. Schwerfällig stieg ich die Treppenstufen bis zur zweiten Etage hoch. Der Spaziergang hatte seine Spuren an mir hinterlassen. Vor meiner Wohnungstür verschnaufte ich einen Moment, bevor ich sie öffnete und die Wohnung betrat.

       »Du hast Besuch«, tönte die Stimme meiner Mutter aus der Küche.

       Etwas ratlos blieb ich im Flur stehen. Meine Zimmertür war angelehnt. Ich hatte sie bestimmt zugezogen, als ich mein Zimmer verlassen hatte. Mit kurzen Schritten näherte ich mich dem offenen Spalt meiner Zimmertür. Ich war viel zu erschöpft, um jetzt Besuch empfangen zu können. Vorsichtig drückte ich mit zwei Fingerspitzen meine Zimmertür auf. Da sah ich sie. Sie saß auf der Kante meines Bettes. Neugierig und erwartungsvoll blickte sie mich an. Ich wusste nicht, was sie nun von mir erwartete, meine Lehrerin.

       »Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, sagte sie und lächelte mich an. Ich versuchte zurückzulächeln, doch das misslang mir gründlich. Mein Gesichtsausdruck glich wohl eher einer säuerlichen Grimasse.

       »Deine Mutter hat gemeint, dass du nicht lange fort sein würdest und hat mir erlaubt, hier auf dich zu warten.«

       Ich blieb wie angewurzelt an der Schwelle meiner Zimmertür stehen. Sie war wieder sommerlich gekleidet, mit einem pastellfarbenen Kleid. Sie lehnte sich zurück und stützte sich mit nach hinten gestreckten Händen auf meinem Bett ab. Ich wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte und blieb vor ihr stehen.

       »Hast du ihr was zum Trinken angeboten?«, hörte ich meine Mutter aus der Küche fragen. »Bei der Hitze muss man viel trinken.«

       »Haben Sie Durst?«, fragte ich zaghaft.

       »Ein Glas Wasser nehme ich gerne.«

       Ich nickte, war aber nicht imstande, das Zimmer zu verlassen.

       »Ich dachte, wir nutzen die Ferien und holen gemeinsam deine Wissenslücken nach«, ließ sie mich dann wissen.

       »Ich hole das Wasser«, sagte ich schnell und schaffte es nun doch, mich wieder zu bewegen. Schnell ging ich in die Küche und füllte zwei Gläser. Ich fragte mich, von welchen Wissenslücken sie gesprochen hatte, als ich mit den gefüllten Gläsern wieder in mein Zimmer zurückkam. »Ziehen Sie sich auch wieder aus, so wie am Badesee?«, fragte ich sie und stellte die gefüllten Wassergläser auf meinem kleinen Nachttischchen ab.

      Es war bereits früher Abend, als sich die Kommissarenwege trennten. Siebels besuchte Familie Bach, Till machte sich auf den Weg zu Familie Batton.

      In der Robert-Mayer-Straße wurde Siebels von Frau Bach an der Haustür empfangen. Daniel saß mit seinem Vater im Wohnzimmer. Die beiden hingen ausgelassen über einer Spielekonsole. Weder Vater noch Sohn bemerkten den Besucher, der von der Mutter ins Wohnzimmer geführt wurde.

      »Wir haben Besuch«, unterbrach Frau Bach die Spielfreude ihrer Männer. »Das ist Herr Siebels von


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