Die tödlichen Gedanken. Stefan Bouxsein

Die tödlichen Gedanken - Stefan Bouxsein


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Wohnung umgebracht?«, wollte sie wissen.

      Till bestätigte das.

      »Wie?«, fragte Monika Batton leise.

      »Dazu kann ich noch keine Auskunft geben.«

      »Wie alt war sie?«, wollte Robert Batton wissen und gab Till das Smartphone zurück.

      »Anfang dreißig.«

      Lukas‹ Vater nickte anerkennend. »Sah sie gut aus?«

      »Unser Sohn steht scheinbar unter Mordverdacht«, fauchte Monika Batton und schlug ihrem Mann wütend gegen die Brust.

      »Mein Sohn ist mit Sicherheit kein Mörder. Er kann nicht mal einer Fliege etwas zuleide tun. Sehen Sie sich doch das Foto an. Das ist gut getroffen. Er ist ein Träumer.«

      »Er hat die Versetzung ins nächste Schuljahr nicht geschafft«, merkte Till an.

      »Ja, ja, ich weiß«, winkte Robert Batton ab. »Dafür war sein Auszug hier wohl zu spät. Meine Frau und ich streiten uns schon seit einiger Zeit. Das war für Lukas leider nicht einfach.«

      »Wir streiten wegen der Scheidung«, ergänzte Monika Batton.

      »Wir arbeiten nämlich auch zusammen. Unten, in meiner Zahnarztpraxis«, erklärte Robert Batton.

      »In unserer Zahnarztpraxis«, stellte Monika Batton klar.

      »Es ist meine Praxis«, zischte Robert Batton wütend.

      »Die Hälfte davon, wenn überhaupt«, kam sofort Widerspruch.

      Till konnte sich vorstellen, was Lukas hier durchgemacht hatte. »Sie sollten sich jetzt um Ihren Sohn kümmern. Er hat jetzt keine Bleibe mehr. Außerdem ist er vielleicht in einen Mordfall verwickelt. Ich werde versuchen, ihn morgen in der Schule zu befragen. Wenn er keinen festen Wohnsitz hat, müssen wir ihn vielleicht in Untersuchungshaft stecken.«

      »Ich ziehe vorübergehend in ein Hotel. Sagen Sie ihm das bitte. Er kann dann hier in aller Ruhe mit seiner Mutter wohnen, bis wir eine andere Lösung gefunden haben.«

      »Ich werde es ihm ausrichten«, versprach Till.

      »Stecken Sie ihn ja nicht in den Knast«, schluchzte Monika Batton.

      Till nickte. Er wollte keine falschen Versprechungen machen.

      Siebels war wie gewöhnlich vor Till im Büro. Um kurz nach sieben saß er an seinem Schreibtisch und fuhr den Rechner hoch. Während die Kaffeemaschine ihre Arbeit verrichtete, prüfte Siebels den Posteingang seiner E-Mails. Der Fotograf hatte ihm gestern Abend noch einen Link gesendet, auf dem die Fotos vom Tatort im internen System hinterlegt waren. Siebels klickte sich in das Verzeichnis. 49 Bilder gab es dort. Siebels öffnete eines nach dem anderen. Auf den meisten Bildern war die auf dem Stuhl festgeklebte Leiche von Verena Jürgens zu sehen. Von hinten, von vorne, von der Seite und aus allen möglichen Blickwinkeln. Dazu gab es Nahaufnahmen von den am Stuhl mit Paketklebeband fixierten Armen und Beinen des Opfers sowie von der verstopften Nase. Mehrere Fotos dokumentierten den handgeschriebenen Zettel auf dem Schoß der Toten. Sitzen geblieben. Außerdem gab es noch Fotos von den anderen Zimmern, vom Treppenhaus und von der Außenfassade des Hauses in der Diesterwegstraße. Siebels druckte drei Fotos aus. Zwei Fotos, die Verena Jürgens aus verschiedenen Blickwinkeln auf dem Stuhl zeigten und eine Nahaufnahme von dem Papier auf ihrem Schoß. Während der Drucker druckte, goss sich Siebels den ersten Kaffee des Tages ein. Dann heftete er die ausgedruckten Fotos an die bis dahin leere Pinnwand. Mit der Kaffeetasse in der Hand setzte er sich vor den Fotos auf seinen Stuhl, trank bedächtig seinen Kaffee und ließ die Bilder auf sich einwirken.

      »Guten Morgen«, grüßte Till und stellte sich neben Siebels vor die Fotowand. »Und, was sagt dein Bauchgefühl zum neuen Fall?«

      »Guten Morgen. Mein Bauchgefühl sagt: Hunger. Sonst nix.«

      Till legte seinen Motorradhelm ab und verstaute seine Jacke im Schrank. Anschließend kramte er Handy und Festplatte von Frau Jürgens aus seinem Rucksack. »Ich bringe den Kram erst mal zu Charly und gehe auf dem Rückweg in die Kantine. Wonach verlangt dein Bauch?«

      »Frikadellenbrötchen mit Senf. Zwei Stück.«

      Nachdem Till sich auf den Weg gemacht hatte, setzte Siebels sich an seinen Schreibtisch und beschrieb ein Blatt Papier mit den ersten Informationen zum Opfer. Verena Jürgens, 32 Jahre, Lehrerin für Deutsch und Geschichte in der Oberstufe am Sigmund-Freud-Gymnasium. Wohnhaft in der Diesterwegstraße in Sachsenhausen. Ledig. Aktuell zwei Schüler, die sitzen geblieben sind: Daniel Bach, 17 Jahre, Alibi: Befand sich zur Tatzeit in elterlicher Wohnung in Anwesenheit der Eltern. Lukas Batton, 17 Jahre. Alibi:?

      Siebels nahm den Zettel, heftete ihn zu den Fotos an der Pinnwand und war gespannt, was Till von seinem Besuch bei Familie Batton berichten würde.

      Charly Hofmeier war der IT-Experte im Frankfurter Polizeipräsidium und unterstützte Siebels und Till bei deren Arbeit mit seinen Fachkenntnissen. Als Till sein Büro betrat, warf Charly gerade einen Pfeil auf seine Dartscheibe.

      »Hi, Charly.«

      »Ach, der Till. Hab gehört, ihr habt eine tote Lehrerin und macht jetzt Jagd auf fiese Schüler.«

      »Du bist ja bestens informiert. Wer ist der Maulwurf?«

      »Deine Herzallerliebste. Ich habe Anna gestern in der Gerichtsmedizin getroffen.«

      Till setzte sich auf den Stuhl von Charly und beobachtete ihn bei seinen Pfeilwürfen auf die Dartscheibe. »Was treibt dich denn in die Gerichtsmedizin?«

      »Die Leichenfledderer hatten einen Systemabsturz. Annas Computer hatte schon Verwesungserscheinungen. Ich konnte Anna gerade noch daran hindern, den Rechner mit einem Y-Schnitt zu öffnen und die Innereien herauszuholen. Sie war schon ganz gierig auf eine blutige Grafikkarte.« Charly lachte über seinen Witz und warf den nächsten Pfeil.

      »Ich habe dir die Innereien vom Computer der Lehrerin mitgebracht. Und ihr Handy. Wir sind besonders an Informationen über fiese Schüler interessiert.« Till zeigte Charly das Foto auf dem Handy. »Das ist einer der Schüler. Kannst du mir das Bild noch schnell ausdrucken?«

      Charly nickte und betrachtete sich das Foto. »Schaut aber gar nicht fies aus, der Knabe. Eher unschuldig.«

      »Liegt aber im Bett seiner Lehrerin, der unschuldige Knabe.«

      »Ts, ts, ts. Davon habe ich früher auch immer geträumt.«

      »Sie hat Informatik unterrichtet, stimmt’s?«

      »Quatsch. Das gab es zu meiner Schulzeit doch noch gar nicht. Es war die Kunstlehrerin.« Charly seufzte theatralisch, setzte sich mit dem Handy an seinen Computer, lud das Bild herunter und druckte es aus.

      »Tut mir leid, wenn ich jetzt alte Wunden aufgerissen habe«, sagte Till mitfühlend und tätschelte Charly an der Schulter.

      »Alle Jungs haben von ihr geträumt«, sinnierte Charly.

      »Was für eine Note hattest du denn in Kunst?«

      »Eine fünf. Aber die habe ich gerne von ihr genommen. Und jetzt nimm deinen Ausdruck und hau ab. Ich muss was arbeiten.«

      »Darf ich noch einen Pfeil auf die Scheibe werfen?«

      »Nein!«

      »Dann halt nicht. So winzige Einwurflöcher sind eh nur was für Weicheier.«

      Charly nahm einen Pfeil und zielte damit auf Till. »Man würde es kaum sehen, so ein winziges Einwurfloch in deiner Stirn.«

      Till schnappte sich den Fotoausdruck und verließ ohne weitere Widerworte Charlys Büro. Nachdem er vor einiger Zeit sämtliche Pfeile an der Scheibe vorbei gegen die Wand geworfen hatte, hatte Charly dermaßen über ihn gelästert, dass er mit seiner Dienstwaffe auf die Scheibe gezielt hatte. Sein ernster Gesichtsausdruck bei dieser Aktion hatte Charly tatsächlich eingeschüchtert. Seitdem war die Dartscheibe ein Tabu


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