Als Maria in Dublin die Liebe fand. Emma Donoghue

Als Maria in Dublin die Liebe fand - Emma Donoghue


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auf die kalte Fensterbank gestützt. Sie zählte die Lichter des kleinen Ortes, der sich um ihr Haus schmiegte, und stellte fest, dass alle Frauen, die sie kannte, Ehefrauen und Mütter waren. Außer den jungen Frauen, die auf die Uni zusteuerten, und der Bibliothekarin mit dem Heuschnupfen und einige von den Lehrerinnen. Und natürlich die verrückte Nelly, die auf den Stufen des Rathauses saß und sich die Knöchel kratzte. In der Nacht hatte Maria sich tief in ihr Bett gekuschelt und sich die Decke über den Kopf gezogen und nicht einschlafen können vor lauter Sorge, wie es ihr später einmal ergehen würde.

      Viel weiter war sie mit dieser Frage in der Zwischenzeit auch nicht gediehen, dachte sie, als sie sich einen Weg durch das Gedränge zu einem leeren Stuhl am Fenster bahnte. Mittlerweile wurden langsame Stücke gespielt, ohne dass es ihr besonders aufgefallen war. Bei der Coverversion eines melancholischen Stücks aus den Sechzigern schoben die Paare nur zentimeterweise über die Tanzfläche. Maria lehnte sich auf dem wackligen Plastikstuhl zurück und wandte den Kopf zum Fenster. Sie folgte den Kreisen, den die Lichter um die Campusgebäude zogen, bis die Musik und die Stimmen im Hintergrund verschwammen. Sie stellte sich vor, wie sie sich in die Lüfte erhob und flog, wie sie über den See glitt und an Höhe gewann, während sie auf die Stadt zusauste. Schwarze Nachtluft zwischen den Beinen, blinkende Bürofenster, an denen sie vorbeischoss.

      Yvonne ließ sich schwer auf den Stuhl neben ihr fallen. Dann schoss sie wieder hoch, fasste an ihre Hinterbacken und beroch ihre Finger. »Verdammt noch mal, ich hab mich in eine Ciderpfütze gesetzt!«

      Maria klopfte auf die Fensterbank neben sich, aber Yvonne ließ sich auf dem Fußboden nieder und stützte den Kopf auf ein rosafarbenes Satinknie. Ihre Locken fingen an sich aufzulösen.

      »Amüsierst du dich immer noch gut?«

      »Ja. Es sind nur Krämpfe.« Yvonnes Stimme klang hart.

      »Du Ärmste. Willst du ein Aspirin?«

      »Besser nicht, mit den drei Wodka zusammen würde mich das umhauen.«

      Maria überlegte, sich hinunterzubeugen und den gesenkten Kopf zu streicheln, aber dann ließ sie es lieber sein.

      Für die Dauer von zwei Songs saßen sie schweigend nebeneinander, dann fragte Yvonne: »Wo ist denn dieser magere Typ, mit dem du so nett in der Mensaschlange zusammengestanden hast?«

      »Galway ist nicht hier, und er ist nicht mein Typ.«

      »Grauenhafter Name – Gary – irgendwie dürftig.«

      Maria hob die Stimme über den Geräuschpegel der Musik. »Nein – Galway, wie die Grafschaft. Ami-Nostalgie.«

      »Noch schlimmer.«

      »Es ist nicht seine Schuld«, wandte Maria ein und legte die schmerzenden Füße auf eine Bank, die mit Zigarettenasche bestäubt war. »Offensichtlich war seine Großmutter die Leiterin des Postamtes in Oughterard, bis sie 1934 ausgewandert ist. Sie hat Galway zugesetzt, dass er sein drittes Studienjahr hier verbringt, anglo-irisches Drama studiert und zu seinem Ursprung zurückfindet.«

      »Vielleicht findet er deinen Ursprung, wenn er schon dabei ist«, antwortete Yvonne mechanisch. »Und wieso ist er heute Abend nicht hier?«

      »Er betrachtet das hier als infantile Paarungsrituale, und außerdem kann er es sich nicht leisten.«

      Yvonne reckte sich und stemmte sich auf die Stöckelschuhe hoch. »Das ist Madonna. Komm, lass uns weitermachen.«

      »Mir geht es hier prima.«

      Yvonnes Augen wurden hart. »Ich weiß, dass es nicht leicht ist, bei hundert Dezibel Freunde zu finden, aber wir müssen es versuchen.«

      »Ich rede doch nach den Seminaren mit den Leuten.«

      Yvonne wartete, die Hände stützend in den Rücken gestemmt. »Du machst es dir auf lange Sicht nur schwerer, Maria.«

      »Jaja, schon gut. Hör auf zu nörgeln.«

      Sie zwängten sich in die Menge.

      Das kleine »m« war noch da, ein schwacher Abdruck auf der Fensterscheibe.

      »Ich überlasse dich jetzt – nun, zu was immer man Leute ihren Schlafzimmern überlässt.«

      Maria wandte sich vom Fenster ab und grinste breit. »Ich bin ohnehin reif fürs Bett. Meine ganzen weltlichen Besitztümer die Treppe hochzuwuchten hat mich geschafft.«

      Ruth blieb noch an der Tür stehen. »Bist du auch sicher, dass du nichts mehr brauchst … eine Nagelbürste vielleicht oder so?«

      »Da ist nichts zu bürsten«, sagte Maria und hielt ihr die kurzgeschnittenen Nägel zur Begutachtung hin. »Ich fühle mich super, mach dir wegen mir keine Sorgen.« Sie legte die letzten der ordentlich zusammengerollten Socken hinten in die Schublade, schob die Schublade ruckelnd zu und bückte sich, um den Koffer unters Bett zu schieben. Als sie sich aufrichtete, sah sie, dass Ruth immer noch dastand, die Hand auf dem Türgriff, ihre Miene beinahe ängstlich besorgt.

      »Ich bin wirklich froh, dass ihr mich genommen habt.« Behalt den zwanglosen Ton bei, setz dich auf den gewebten braunen Bettüberwurf. »Ich hatte es fast schon aufgegeben, auf euren Anruf zu warten.«

      »Ich weiß, es tut mir leid«, sagte Ruth schnell. »Es gab noch ein paar andere Interessentinnen, und wir fanden, wir sollten noch abwarten, bloß um sicherzugehen.«

      Wie – sichergehen?

      »Träum süß, Maria.« Ruths leichte Schritte verhallten im Flur.

      In der ersten Nacht an einem fremden Ort schlief sie nie. Die Wohnung war warm und roch immer noch ein bisschen nach Knoblauch. Sie streckte sich in dem knarrenden Bett aus und entdeckte Gesichter auf den Feuchtigkeitsflecken an der Decke. Dieses da war mit Sicherheit ihr Vater mit den buschigen Augenbrauen und dem spitzen Kinn. Die beiden formlosen Kleckse in der Ecke könnten ihre Brüder sein, ihre Gesichtszüge veränderten sich noch zu schnell, um schon fest ausgeprägt zu sein. Und wer war die Frau mit dem einen weitaufgerissenen Auge und den ins Gesicht hängenden Haaren?

      Ehe sie sich selbst Angst einjagen konnte, steckte Maria die Nase unter die Bettdecke. Die sanften Stoffrippen der Decke hatten nichts mit Einbildung zu tun. Sie strich mit den Fingern darüber, zählte die Rillen. Sie war eine Riesin und tastete über eine Landschaft voller Straßen.

      Dann fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, sich die Zähne zu putzen. Sie gähnte, kramte nach ihrem Toilettenbeutel auf der Kommode und ging in Richtung Badezimmer. Irgendwo auf dem Weg über den pechschwarzen Flur wanderte sie in die falsche Richtung. Ihre Hand berührte den Perlenvorhang. Sie wollte gerade den Rückzug antreten, als sie vom Kamin her leise Stimmen hörte. Sie zuckte zurück, aber ihre Füße weigerten sich kehrtzumachen.

      Als sie ungefähr sechs Jahre alt war, hatte Maria eine Phase der Unsicherheit durchlebt. Wenn sie jetzt die Augen schloss, sah sie sich als Kind in einem zerknitterten Baumwollschlafanzug die Treppe hinunterschleichen, bis vor die Tür des Wohnzimmers, an die sie das Ohr presste, während ihre Eltern beim Abendessen über irgendwelche Alltagsdinge sprachen. Sie wartete immer, ob sie über sie reden, sie heimlich loben oder rügen würden, aber das geschah nie. Dann wurde ihr kalt, und sie ging auf Zehenspitzen zurück ins Bett. Nach und nach hatte sie die Angewohnheit wieder aufgegeben. Aber gelegentlich, in Nächten wie dieser hier, ergriff die alte Neugier wieder von ihr Besitz. Ihre Füße wurden taub, wie sie da im Flur stand und mit der Nase beinahe an die Perlenschnüre stieß. Nur eine halbe Minute, schwor sie sich.

      Ruths Stimme war die weichere. »Ja, aber sie ist erst siebzehn.«

      Maria schloss die Augen.

      »Das sind Altersvorurteile«, kommentierte Jael zufrieden. »Sie hat Witz und ist mir tausendmal lieber als diese humorlose Sozialwissenschaftlerin.«

      »Darum geht es nicht. Ich glaube auch, dass es schön ist, sie hierzuhaben.«

      »Und wo liegt dann dein Problem?«

      »Es ist nicht mein Problem, es ist unser Problem.« Den Worten haftete ein verletzter Unterton an. »Heute Abend, als


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