Annie Dunne. Sebastian Barry

Annie Dunne - Sebastian  Barry


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leuchten sie hell. Ihre große Faust schleudert Blitze aus Körnern. Ihre Beine, wohlgeformt wie die schlanken Säulen des Gerichtsgebäudes in Baltinglass, schreiten voran.

      »Wenn du fertig bist«, sage ich, »komm rein und wasch dir die Handgelenke wie eine anständige Frau.«

      Ich trete ins Haus, schließe die Halbtür hinter mir, falls die Hennen mir folgen wollen, und gehe durch die Küche in unser Schlafzimmer. Dort gieße ich das Regenwasser in die Waschschüssel.

      Dieses Wasser kann man nicht trinken. Aber wenn ich die hohlen Hände eintauche, eine Handvoll Wasser schöpfe und mir ins Gesicht klatsche, scheint es sogar unter meiner Haut zu prickeln. Dann sehe ich für einen winzigen Augenblick Dinge vor mir – sommerliche Dinge, Krähen, die krakeelend aus den Bäumen auffliegen, Blätter, die in der gleißenden Sonne aufflammen. Dann wieder das Zimmer, das schlichte Zimmer mit den Holzdielen, unser einziger Teppich die Kühle, die auf dem Boden liegt und durch die Sohlen in meine derben Schuhe zu dringen scheint.

      Die beiden Murmeltiere müssen geweckt werden. Ich stehle mich in ihr Zimmer, damit ich heimlich einen Blick auf sie werfen kann, solange sie noch schlafen.

      Das kleine Mädchen liegt jetzt ganz friedlich da. Liegt auf dem Bett, als gleite sie über irgendeine unsichtbare Oberfläche, als würde sie eislaufen, ein Bein vor das andere gesetzt, die Zehen gestreckt.

      Der Junge hat sich nicht gerippelt und gerührt, könnte man meinen, stocksteif liegt er zwischen den gestärkten Laken, alle noch ganz glatt. Sein kleiner Kopf ruht in der Kissenmulde wie ein Ei auf weichem Erdboden. Eigentlich brauche ich sein Bett heute Abend gar nicht zu machen, brauche nur die Laken nach hinten zu schlagen, um die tönerne Wärmflasche hervorzuholen. Bei dem Anblick muss ich fast lachen.

      »Hoch mit euch«, flüstere ich und trommele mit den Fingern gegen die kleinen Körper, nicht um sie zu kitzeln, sondern um sie zu wecken. »Zeit, aufzustehen. Die Hennen sind bereits gefüttert. Hoch mit euch«, sage ich, »es ist schon fast halb sieben.«

      Plötzlich schlägt das kleine Mädchen die Augen auf und schaut mich an. Vielleicht ist sie schon wach gewesen und hat die Augen geschlossen gehalten, um mich zu necken.

      »Halb sieben«, sagt sie. »Tante Anne, kein Mensch steht um halb sieben auf.«

      »Du hast wohl schon vergessen, wie’s auf dem Land zugeht«, sage ich. »Wenn unsere Arbeit nicht bis zehn getan ist, ist der Tag vergeudet.«

      »Haben wir denn so viel Arbeit?«

      »Nur, mir und Sarah zuzusehen und darauf zu achten, dass Shep nicht euern Toast frisst.«

      »Für Toast steh ich um halb sieben auf.«

      »Ich auch«, sagt der Junge und sieht mich an aus braunen Augen, rund wie Münzen.

      »Hast du schön geträumt?«, frage ich ihn.

      »Ja«, sagt er. »Ich habe wunderbar geträumt.«

      »Und wovon hast du in der Nacht geträumt?«

      »Ich hab geträumt, dass unser Daddy uns Huckepack nimmt, uns beide, und wir lachen wie die Affen.«

      »Wo hast du denn Affen jemals lachen sehen?«

      »Im Zoo«, sagt er ganz ernsthaft. Er balanciert schon auf der Bettkante und zittert ein wenig.

      Sie setzen sich an den provisorischen Tisch am Kamin; mit einer langen eisernen Gabel halte ich ihre Brotscheiben über das Torffeuer, und schon bald haben die Flammen sie zartbraun geröstet.

      »Na also«, sagt das Mädchen. »Hörst du das?«

      »Was?«, fragt der Junge.

      »Ich hab dir doch gesagt, dass die Grille immer noch in der Wand hockt.«

      Sie spitzen angestrengt die Ohren, um ihr zu lauschen, und natürlich singt ihnen die Grille ein Lied.

      »Ich hätte gedacht, dass sie lieber draußen in den Feldern singt und nicht hier drinnen bei uns«, sagt der Junge.

      »Sollte man meinen«, sage ich. »Aber bei Grillen weiß man nie.«

      »Mag ich das Geräusch überhaupt? Ich weiß nicht«, sagt der Junge. »Ist eine Grille so was wie ’ne Schlange, oder wie sieht sie aus?«

      »Ein kleines Ding mit gefalteten Flügeln.«

      »Wie ein Engel«, sagt der Junge.

      »Nun ja, dann wohl wie ein Engel in der Wand.«

      Gleich darauf klappert der Riegel, und Billy Kerr steckt den Kopf zur Tür herein. Es ist sehr früh für ihn, außerdem haben wir ihm keine Nachricht zukommen lassen, dass er heraufkommen soll.

      »Ah, da bist du ja, Annie«, sagt er. »Wo steckt denn Sarah um diese Zeit?«

      Da bist du ja, Annie, wo steckt denn Sarah? Ich weiß nicht, warum, aber bei ihm bin ich immer misstrauisch. Er ist fünfundvierzig, und sein Äußeres geht mich eigentlich nichts an. Aber ich mag es nicht, wie er obenherum aussieht, das zottelige rote Haar und die schwarzen Stoppeln am Kinn. Ich mag seine kleine Statur nicht, und ein Kesselflicker würde sich zweimal überlegen, ob er die Sachen anziehen soll, die Billy trägt. Natürlich handelt es sich um Arbeitskleidung, und ich sollte nicht so streng sein. Aber es ist das ganze Auftreten dieses Mannes, dieses Selbstvertrauen, wo er doch kaum unter Beweis gestellt hat, dass ihm zu trauen ist. Auch wenn er seine Mütze abgenommen hat, ist es so, als hätte er sich die Mühe nicht gemacht. Jedenfalls winkt er mir mit seiner Mütze zu, als wolle er sie nach dem langen Marsch den Feldweg von Feddin herauf nur auslüften, als wolle er in unserer warmen Küche nur den Schweiß darin trocknen lassen.

      »Wenn du sie nicht im Hof getroffen hast, weiß ich auch nicht, wo sie steckt. Fang bloß nicht an, hier herumzuschleichen. Es ist noch früh am Morgen, sie hat sich nicht mal gewaschen.«

      »Ich seh sie nicht«, sagt er und schaut noch einmal hinter sich auf den Hof. »Nein, ich seh sie nicht.« Eine halbe Minute lang lungert er da herum und zeigt uns das struppige Haar auf seinem Hinterkopf.

      Die Kinder sind still geworden, wie immer, wenn sie einen Menschen nicht kennen, und blicken ihn unverwandt an, starr wie zwei Spatenblätter. Schließlich dreht er sich wieder um und scheint die Kinder zum ersten Mal wahrzunehmen.

      »Wer sind die Mädchen?«, fragt er.

      »Das sind nicht beides Mädchen. Es sind die Kinder meines Neffen.«

      »Ach ja. Der Junge ist aber noch nicht besonders kräftig! Wie alt ist er, vier?«

      Der kleine Junge hebt neugierig den Blick.

      »Er ist fast fünf«, sage ich, wie ein Verteidiger im Gerichtssaal.

      »Paar Tage auf Besuch?«, fragt er leichthin.

      Ich bin nicht geneigt, ihm irgendwelche Informationen zu geben, so harmlos sie sein mögen. In dieser Gegend weiß ohnehin bald jeder Bescheid. Aber Informationen sind eine Art großzügiger Geste, und ihm gegenüber bin ich knauserig. Also sage ich gar nichts, aber das ganz ungezwungen, um ihn nicht zu beleidigen, ihm allerdings auch keine Genugtuung zu verschaffen.

      »Na, wie auch immer«, sagt er. »Schön, euch kennenzulernen.«

      Er lungert weiter herum. Seine Fähigkeit, irgendwo herumzulungern, ist grenzenlos. Ich habe ihn mit einer Schaufel in der Hand herumlungern sehen, als er eigentlich einen Graben hätte ausheben sollen und das Feld hinter ihm schon meterweit unter Wasser stand.

      Plötzlich fällt mir auf, dass sein Blick zu dem schwarzen Kessel gewandert ist, der über der Hitze des Torffeuers klappert. Ich konzentriere mich darauf, nicht in dieselbe Richtung zu schauen, sonst könnte man mir später, unten im Dorf, wo er sich über mein Temperament zweifellos lustig machen wird, Unhöflichkeit nachsagen.

      Jeder weiß, dass mein Großvater dort einst der Gutsverwalter war, ein hochgewachsener und hochmütiger Mann, den Leute wie Billy Kerr nie direkt anzusprechen gewagt hätten, und wenn doch, hätte er sie keiner Antwort gewürdigt. Aber diese Tage sind vergangen


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