Im wilden Balkan. David Urquhart

Im wilden Balkan - David Urquhart


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der Arbeit, die jede Familie leisten konnte, unter die Bauern verteilt. Die Art der Verteilung ist folgende: Der Ertrag wird in Einheiten von 110 Maß geteilt, wovon die überzähligen zehn Maß als Saatkorn für das nächste Jahr abgesondert werden; zehn werden abgesondert zum sogenannten Spahilik, dem Zehnten für den Kriegsdienst, im vorliegenden Falle war Achmet Bey selbst der Spahi; zehn für Zabitlik oder Agalik, also die Ausgaben der lokalen Verwaltung; zweiundzwanzig für die Arbeit, so bleiben 58 Teile von 110 als Gewinn übrig. Hätte das Kapital den Pächtern gehört, so wären noch 35 mehr für sie abgegangen, was 23 Prozent vom Ertrag als Pachtzins übrig gelassen hätte. Der Aufseher erzählte mir, dass nach Abzug aller Unkosten der Eigentümer bis zum Betrag von zehn Pfund für jedes Paar Ochsen gewinne.

      Überall, wo man im Morgenland einen Blick auf die Fundamente wirft, wird man auf die Festigkeit und Dauerhaftigkeit des Materials gestoßen, aus dem sie verfertigt sind. Wie groß auch die vorherrschende Unwissenheit sein mag, wie sehr zurück auch die so wichtige Wissenschaft und Praxis des Landbaues, wie sehr die Rohheit des Ackergerätes zu beklagen ist und der Mangel an verbesserten Transportmitteln, wie viel besitzen diese Menschen nicht doch an der beständigen Verbindung des gegenseitigen Interesses; nirgends ist Arbeit vom Tagelohn abhängig und nirgends ist das Wohlbefinden der Gemeinde von dem der einzelnen Mitglieder unabhängig. Glücklicherweise gibt es hier keine Gesetze, die sich in menschliche Interessen und das Gewerbe mischen, und deshalb haben die Orientalen keine Philosophen, die über die moralischen, gesellschaftlichen und politischen Übel schwatzen, die aus solchen Gesetzen entstanden sind.

      Der Kiaja1 des Pachthofes erkundigte sich sehr gründlich nach unserer Art und Weise, Butter und Käse zu bereiten, und ich gab mir beträchtliche Mühe, ihm dieselben begreiflich zu machen. Er drang in mich, nächstes Jahr wieder zu kommen, um zu sehen, welche Fortschritte er gemacht haben würde.

      Butter und Käse sind fast im ganzen Orient in Folge des Gebrauchs von Schafs- und Ziegenmilch schlecht, die man erwärmen oder kochen muss, um den Rahm zum Steigen zu bringen. Zuweilen machen sie sogar die Milch sauer, um Butter zu gewinnen, und in der Regel wird von der so behandelten Milch Käse gemacht. Unsere Art, Butter aus Rahm von kalter Milch zu machen, kommt von der frühen Verwendung der Kuhmilch, die die Orientalen nicht hatten – meiner Meinung nach wegen eines den orientalischen Rindern eigentümlichen Grundes, den Leute verstehen werden, die sich in Indien aufhielten. Diesem Gebrauch der Kuhmilch muss man jedoch die Vortrefflichkeit unserer Butter zuschreiben – und letzterer womöglich die besondere Betonung des Frühstücks und Abendbrotes in England, die sich mit dem Gebrauch der Butter auch auf andere Länder erstreckte.

      Es war ein Festtag – das Fest der Hagia Lechousa2, und obwohl nicht genügend Leute vorhanden waren, um lustig und lärmend zu sein, so waren sie doch alle dazu angekleidet und bedauerten sehr, dass sie nicht in Salonika wären, wo sich an diesem Tag alle Bauern aus der Umgegend versammeln, in ihren bunten und lebhaften Trachten umherziehen und tanzen und singen – wie ihre Genossen in England am Maitag. Aber keine ländliche Luft oder einfache Freude kann die allmähliche Verwischung der Nationaltracht eines Bauernvolkes überleben, und wenn jemals die Bauern in Kardiá Tuchhosen und Gingham-Unterröcke1 anziehen, so werden sie das Tanzen und die Lechousa-Tage den Schornsteinfegern überlassen (jetzt in England die einzigen Leute mit originellem Kostüm), oder denjenigen, die Schornsteinfeger wären, gäbe es Kohleflöze in Rumili.

      Die weibliche Tracht ist überall verschieden. Hier trugen sie kleine Zylinder auf den Köpfen, eine Form aus Pappe, deren oberer Teil mit Teig und der untere mit Baumwolle gefüllt war; darüber ist ein weißes Tuch gebunden, das über die Schultern fällt, für ein hübsches Gesicht ein keineswegs unpassender Putz.

      Den größten Teil des Tages brachten wir in Kardiá zu, so dass es Abend war, bevor wir nach Sufular, einem nur drei Meilen entfernten Dorf aufbrachen. Die Aussicht war nunmehr offen, fiel zur See hin ab und dehnte sich nordwärts zu den einst wegen ihrer reichen Metallvorkommen berühmten Hügeln, zwischen denen die 360 Dörfer liegen, die unter dem Namen der Mademo-Choria und Sidero Karpos bekannt sind. Noch aber traf das Auge nichts als gelbe Unfruchtbarkeit, und keine Spur, kein Baum, kein Felsstück unterbrach die sanft wogende Oberfläche, bis wir das Dorf Sufular zu Gesicht bekamen. Dort sahen wir drei große viereckige Türme, einen zertrümmerten; es waren Metochien, das heißt den Klöstern gehörige Pachthöfe, die in kleiner Entfernung voneinander auf der nackten Ebene zwischen uns und der See standen. Kein Gesträuch oder Mauer schien in der Nähe, sie standen einsam, Überresten aus einem früheren Zeitalter gleich. Die Landschaft war eine seltsame Zusammenstellung großer, ungemischter Farbflächen: der gelbe Boden, der sich unter und um uns erstreckte – jenseits lag die tiefblaue See – hinten erhoben sich braune Hügel und in der Nebelferne jenseits des Golfs graue Hügel. Keine Gegenstände füllten den Grund oder brachen die Umrisse, keine Tinten mischten oder verschönten die Farben; die Landschaft sah aus wie eine Tafel aus eingelegtem Marmor.

      Bald nachdem wir Kardiá verlassen hatten und wir auf den Kamm eines Hügels kamen, stießen wir plötzlich auf eine Gruppe von neun Bauern, die sich im Kreis Arm in Arm gefasst hatten und zusammen tanzten oder vielmehr sprangen zu dem Klang eines Dudelsacks, den der mitten im Kreise stehende Musikant spielte. In dieser Landschaft, die einer Studie der alten Florentiner Schule so ähnlich sah, schienen diese bunt angekleideten, am Hügelabhang tanzenden Bauern eine Gruppe von Peruginos Muse, die eben aus dem Rahmen gesprungen war. In Sufular hielten wir an, um unser Abendessen einzunehmen, was wir unter einem Maulbeerbaum taten, im Licht von Spänen harziger Pinien, die auf einem eisernen Dreifuß brannten, und während meine Gefährten sich niederlegten, um eine Stunde zu rasten bis der Mond aufginge, hatte ich ein Plauderstündchen mit meinem Tagebuch. Aber ich werde mich niemals wieder unter einem Maulbeerbaum in der Nähe eines Bauernhofs setzen. Es gibt ein kleines Insekt, das eine gleiche Vorliebe für zweifüßige Tiere hat, mögen sie befiedert sein oder ungefiedert, und das die Stelle, wo das Federvieh nistet, zu einer gefährlichen Nachbarschaft macht. Vier Stunden nach Sonnenuntergang waren wir wieder auf dem Marsch, bei hellem Vollmond, und in zwei Stunden befanden wir uns auf der Stelle von Potídaia1, das jetzt Porta heißt, dem Eingang auf einer schmalen Erdenge zur Halbinsel, die früher Pallenai hieß und jetzt Kassandra genannt wird.2 Ein Wall mit Türmen erstreckt sich von einer Küste zur anderen, und beim Mondlicht konnten wir die rechtwinkligen Meißelarbeiten der hellenischen Blöcke erkennen, die einstmals diese blühende und kriegerische Stadt verteidigten. Der Aga verließ sein Bett, um uns zu empfangen. Es wurde Kaffee bestellt und zuerst meinen Kavaschen angeboten, die ich mit meiner zunehmenden Kenntnis der Etikette bis dahin in ihrer gebührenden Stellung hatte halten können. Ich stand auf, verließ den Kiosk, und es wurde mir Kaffee im offenen Hof bereitet und dargeboten. Der Aga kam bald und setzte sich unter mich und wurde dort von meinem Diener bedient. Als nachher die Kavaschen ihr Bakschisch holen wollten, gab ich ihnen nichts.

      Nachdem wir die Halbinsel betreten hatten und drei Stunden lang durch Gebüsch und ein weitläufiges Holz junger Pinien gezogen waren, erreichten wir eine Anhöhe, wo bebautes Land und Felder sich vor uns ausdehnten und uns der toronaïsche Golf1 zu Gesicht kam. Der Morgenstern glänzte über dem hohen Land des Vorgebirges von Sithonía; der Kegel des Berges Athos konnte im Nebel unmittelbar unter dem Stern erkannt werden – zwischen dem dunklen Umriss von Sithonía und dem roten Streifen des östlichen Horizontes, dessen warme Tinten sich auf der glatten Oberfläche des dazwischen liegenden Meerbusens wiederholten. Der Vordergrund und die Wälder von Pallenai zur Rechten waren mit Silberglanz gefärbt von dem kalt strahlenden Mond hinter uns, der vor dem anbrechenden Tag erbleichte, aber noch mit seinen Purpurstrahlen kämpfte.

      1 Hier als Sammelbegriff für schwadronierende Gruppen verwendet, die unter Waffen stehen und die während des griechischen Unabhängigkeitskampfes auch als reguläre Truppen dienten [Red.].

      2 Gebirgsmassiv im Nordwesten des Olymp [Red.].

      3 Wasserpfeife [Red.].

      1 Ein Kavasch ist hier der Anführer einer militärischen Wacheinheit [Red.].

      2 Pluderhose [Red.].

      3 Türkisches Krummschwert [Red.].

      1 Eine wattierte Männerhose [Red.].

      2 Heute Bitola in der Republik Makedonien [Red.].

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