Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus. Maulana Dschelaluddin Rumi

Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus - Maulana Dschelaluddin Rumi


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Grammatik, Lexikographie, Grundlagendogmatik, Rechtslehre und anderes. Da bist du nicht in den Banden der Wollust, sondern in den Banden des Wunsches, möglichst viele Dinge in deinen Mund und Bauch zu stopfen. Sei lieber in den Banden der Wollust!« Ungläubige, die der Islam oft bekehrte und bekämpfte, wurden von al-Ghazzali und Baha’uddin Walad verteidigt: Wenn es keine Weltmenschen gäbe, wie würde dann das Diesseits bestellt? Genauer: »Wäre nicht die Gier der Papierhersteller, ihre Ware loszuwerden, wo sollten die Frommen den Koran hinschreiben?« Rumi spitzte das später zu: Ein Stoffweber und Wäscher dürfte nicht Vorbeter werden wollen, auf daß die Menschen nicht nackt beten müßten, also sei Gott darauf bedacht, daß gewisse Menschen dem Jenseits den Rücken kehrten. Baha’uddins Gott warnte, ermahnte, maßregelte, verfluchte praktisch nie als eifernder, zornmütiger, strafender, neuzeitlich gesagt: cholerischer Gott, drohte nie vorwurfsvoll haßglühend alle Übeltäter, Ruchlose, Munafikun (Heuchler), Verworfene, Eidverletzer, Gehorsamsverweigerer, Abtrünnige ins Höllenfeuer zu verweisen; kündigte Frevlern nie an, sie würden sich aus Angst in die Hände beißen; kreiste selten um Missetaten, Sündenreinigung, Strenge, Gerechtigkeit, jenseits legislatorisch-machtpolitischer Aspekte, meilenfern von Jahwes und Dantes Sadismus, sondern machte auf dem Weg vom Propheten bis zu fast allen Sufis, z. B. auch zu Baha’uddin, dieselbe Mäßigung und Wandlung durch wie Jahwe auf dem Weg von Abraham zu Jesus: Bahas Allah bewegte sich in all seinen Aus- und Durchsagen exakt auf dem drolligen Kuriositätsniveau Bahas, so sympathisch wie poetisch. Baha und Allah – vom Sprachcode her bestens kompatibel, zugunsten beider Beteiligter, auf Gegenseitigkeit. Baha ergötzte sich besonders an Redensarten wie »O Gott, schicke seinem Staub Freuden!«, und an anthropomorphen Suren wie 21,80, wo Allah die Berge und Vögel zwingt, mit David Bußlieder zu singen, oder Sure 17,44: »Und es gibt nichts, was Ihn nicht lobpriese.«

      Von der erfreulichen Beseeltheit seelenloser Steine und latent beseelter Staubkörner schloß Baha logisch auf belebte Luft. Wasser sah Baha als ein religiöseres Element denn Feuer, das nur aufgeregt herumzappelte, Wasser aber floß fromm nach unten und vollzog also in Demut einen Fußfall vor Allah.

      Trauben hienieden hatten nur deshalb Haut und Kerne, damit man nicht hier schon glaube, man wäre im Paradies. Hiervon sprach Baha derart oft und euphorisch, daß ein Sufischeich ihm vorwarf: »Wenn du dich hier im Diesseits damit zu sehr beschäftigst, wirst du im Jenseits damit nicht aufhören und also nie Allah schauen!« Baha erwiderte: »Vielleicht sind ja die Schön- und Großäugigen, die Schlösser und Gärten, Salsabil und Zandschabil (zwei Paradiesquellen, die in Sure 76/17 auch mit Ingwer und Wein übersetzbar sind) nur verschiedene Zustände eben meiner Gottesschau. Denn jedesmal, wenn du Allah schaust, empfindest du ein anderes Maza. Sieh dir nur die Arten an, wie Allah dich ständig in Seiner Hand und an Seiner Brust hat! Schmiege dich an Ihn und mische dich in Ihn wie Milch und Honig sich mischen, dann erlangst du alle Schönäugigen, Schlösser und Freuden des Paradieses gleich jetzt, glaub mir … und du schaust Allah.« Paradies allein genügte nicht, sein Verstand mußte es aufsplitten in Untersektoren, Teilabschnitte und Flüsse. Von Mawaddat (Liebe) redete Baha’uddin kaum seltener als von Mahabbat (Gottesliebe). Munadschat (Zwiegesang) besang er, ebenso Hususiyyat (Verbundenheit), Tarab (freudige Erregung), Tadschalle (Selbstenthüllung), berauschte sich beglückbar und glückstrahlend an Musahabat (liebender Beigesellung), sprach von herabgemolkenem Wudschud (Dasein), Muanaqa aste (Umarmung), Hulul (Einwohnung), und nicht zuletzt von Ittihad (Vereinigung). Rabiah al-Adawiya, Bayazid al-Bastami und andere Scheiche hatten das Paradies eher als Trennwand zu Allah betrachtet, womit nur abgelenkt werde von Allah, und sich also überhaupt nicht ins Paradies gesehnt, das Abu Ala al Ma’arri bereits freigeistig durchgecheckt hatte, als wär er ein arabischer Voltaire; Lüstling Baha’uddin hingegen schwelgte ungebrochen in paradiesischen Gedanken, Vorwegnahmen und Auspinseleien, träumte – wie Assasinen im Haschrausch – von drei gleichzeitig an ihn angeschmiegten Schönäugigen, deren Verkehr mit Allah sie »so schön und fett« machte (also frönte er dem später sog. Rubens-Ideal), von schönen Knaben, traubenweise Kindern, Tauben und gefütterten Sperlingen. Huris kamen bei ihm so gehäuft vor wie im späteren Diwan von Hafiz (und Goethe) und weideten auf Allah wie auf üppiger Wirtspflanze, als elfenhaft blühendes Geflinker. Auch wenn Baha in irdischen Zusammenhängen Wollust spürte und trieb, z. B. mit der Tochter des Richters Scharaf, deren Lippen er kaute, bis sie mehrmals ausrief: »Ah, wie schön!«, und die unter ihm zitterte und Ischqnamaha guftan (Liebesgeächz) hören ließ, bis sein Geist heiter wurde, seine Glieder in Funktion setzte und alle seine Teilchen (wer sonst?), von denen er gleichfalls verlangte, sie mögen fett sein, in Bewegung gerieten, spürte er – gemäß frei ausgelegter Sure 57,4: »Und Er ist mit euch, wo immer ihr seid« – Allah vollkommen als anwesend, nicht voyeuristisch oder triolistisch, sondern konstitutionell, als Durchflutungsgeist, ohne den die Menschen nur unbelebt herumliegen müßten, und alle seine Teilchen, seine Einfälle und er, tanzten haremsartig um Allah, genossen, über Maza hinaus, Laddat-i allah (Gottesgenuß), Suhbat-i allah (innige Zwiesprache, auch Koitus mit Allah), bis hin zum totalen Be-hwadi (Außersichsein). Entweder geriet Baha leicht außer sich vor Liebestrunkenheit, moderner gesagt: Erotomania, dies auch auf irdischer Ebene, oder er war um nichts lust- und sexsüchtiger als andere Menschenkinder, und gab es nur zu, und schrieb es nur auf. Zartbesaitete Vorliebe zeigte er für Worte wie Fardscharda (schön eingeweicht), was seinen Zuhörern möglicherweise denn doch zu direkt und fleischlich wurde (Fardsch = Möse). Aber kaum ein Kritiker oder Spötter schien Bahas einzigartig distanzlosen, enormen Riecher für Gott satyrisch belächeln zu wollen. Die breitwandformatigen Verschmelzungswonnen dieses in Atom-Apotheose inadäquat zutraulich, überschwenglich sich verausgabenden, übertrieben, indiskret, intim, ja: obszön kußfreudigen, beißkußfreudigen, theologisch sexualisierten, Gottessex betreibenden Doctor ecstaticus fand keinen Gegenwind. Keiner beschimpfte ihn als »Ranschmeißer an Gottes Busen«.

      Der Wind religiöser Erquickung wehte aber nicht ganz gleichmäßig durch alle Teilchen, sondern schubweise herbei, und dann auch wieder wellenweise von hinnen. Baha’uddins chronische Wadsch (Verzückung) schwoll allzu oft ab. Sein Glutkern erlosch. Baha – ehrlich genug, zuzugeben, daß sein Anschmiegen, Hineinkriechen und Einkuschelung in Allah nicht immer so richtig klappte – spürte auf Erhebungen, Erfüllungen und Erleuchtungen geistliche Niederlagen folgen, neuzeitlicher gesagt: spirituellen Frust. Zwischen die Ekstasen schob und schlich sich als Trennblende, Isolierwatte und Puffer, zwecks Kurzschlußumgehung und Erholung – Gafla (religiöse Gleichgültigkeit) ein, neuzeitlich eindeutschbar mit Sättigungsschwelle, Refraktärphase, partieller Frigidität oder auch Dopaminmangel. Der wieder zu sich Gekommene unterlag intermittierenden Kapazitäts- oder Potenzproblemen, nicht ganz so positiv ausgedrückt: intermittierender Impotenz. Dann bedauerte Baha, zu schlaff zu sein, um Gott zu schauen. Sobald er ermüdete, trat an Allahs Stelle – Leere. Oder: Sobald sein vehementer Glaube zwischendurch kurz nachließ oder aussetzte, zeigte Allah sich ihm zur Strafe nicht und verbarg sich in transzendenter Unerreichbarkeit. Sein Geschöpf Baha versuchte dann seine erloschenen Teilchen aufzutreiben, mit dem Wink eines Peitschenendes gleichsam, und wandte sich als Katalysator direkt an diese seine Teilchen, winzige Ansprechpartner, ohne Zwischenhändler: »Faulpelze und ihr Teilchen der Menschen alle, seid doch nicht wie der Staub der Erde! Der Wind der Verlebendigung, des Wunders und des Geistes berühre euch! Geht durch die Luft der Wünsche, betätigt euch, dreht euch und zeigt etwas! Sobald dieser Wind wieder von euch abläßt, werdet ihr zunichte und fallt wie Staub auf Staub.« So monotheistisch erhaben sich Baha fühlte über Feueranbeter und Götzendiener, er trieb es als Teilchenanbeter und Teilchendiener noch viel bunter und krasser. Seine unorthodoxen Inhalte, Abweichungen und Anwandlungen, mit denen er sich schier als Mubtadi (Ketzer) profilierte, hinderten Baha nicht, nach außen hin als seriöser, renommierter Theologe aufzutreten. Als Auskunftserteiler, Rechtsberater, Gutachter, Seelsorger, Wohltäter genoß er volkstümlichen Zulauf. Er kannte sich im Ackerbau aus. Bisweilen verfaßte er Bittschriften an Regierungsbeamte, zwecks Freilassung von zu Unrecht inhaftierten Zeitgenossen. Donnerstag und Freitag hielt er sich von Alltagsgeschäften frei, um in der Moschee an Tod und Jenseits zu denken. Zu bescheiden, um sich Arif (Erkenner) zu nennen, träumte er manchmal davon, Allahi (Gottmensch) zu werden, behielt das aber weitgehend für sich, bremste sich in späteren Aufzeichnungen etwas ab. Seine Eigenständigkeit verpackte er in die üblichen koranischen und sufischen Dauerthemen – die Welt als Nafs (Triebseele) und Musawwarat (Vorstellung): Nachts stand Baha in bitterer Kälte auf, zückte seinen Dolch und rief: »Triebseele,


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