Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus. Maulana Dschelaluddin Rumi

Sei Sonne, sonst bleibst du Fledermaus - Maulana Dschelaluddin Rumi


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voll Perlen, mit bitterem Angesicht«.

      Den Dauer-Höhenflug der närrisch wahnverwandten Quasi-Dioskuren besah die normalgebaute Umgebung immer skeptischer, mißgünstiger, scheelsüchtiger. Schamsuddin war allen ziemlich unsympathisch, oder gar unheimlich. Man zerriß sich das Maul über seine dubiose Abstammung. Es hieß, er könne Dämonen bezwingen und triebe Geheimkünste, aber in Gesellschaft konnte er davon genauso wenig wie alle anderen, oder hielt sich zurück. Einmal rühmte dieser Derwisch in zweischneidiger Hymne auf einen Henker, daß dieser die Seelen aus dem Kerker ihres Leibes befreie, und schon lief ihm dieser Henker, den noch nie einer gelobt hatte, als Muride (Schüler) zu. Weil Schams sich über den Derwisch Qutbuddin Ibrahim ärgerte, ließ er ihn ertauben, gab ihm später das Gehör zurück; ihm blieb aber eine Beklommenheit zurück (was spätere Zeiten wohl mit »Depression« übersetzen würden), die sich auch durch Schamsuddins Auffordungen, fröhlich zu sein, nicht auflockern ließ, bis dann Qutbuddin auf dem Markt hinstürzte und rief: »Es gibt keinen Gott außer Gott, und Schamsuddin ist sein Prophet!« Daraufhin ließ Schams einen Mann, der Qudbuddin verdrosch, tot umfallen. Entweder kursierten Gerüchte, Schams habe in einer Moschee, in der er übernachtete, einem Muezzin oder Türhüter, der ihn rauswerfen wollte, durch Geisteskraft Hals und Zunge anschwellen lassen und dann dessen klägliche Erstickung nicht verhindert, oder man bauschte erfundene Geschichten auf, um den Derwisch noch zwielichtiger finden zu können. Oder Schamsuddin-Biograph Aflaki übertrieb hier heillos die »Lizenz zum Töten« eines religiösen Agenten 007. Fiese Ansichten wie »Was also heult ihr beim Märtyrertod von Aliden!?!« (Maqalat, Abschnitt 271) verstreuten ihre Spur bis hinauf und hinein in Rumis späteres Mathnawi, Buch 6, Vers 797 f., falls dies nicht sowieso Zeitgeist diktierte.

      So oder so, man strebte den Störenfried rauszuekeln. Man erhoffte Rumi zu beruhigen, durch Abschwächung der allzu geistlichen Flöhe, die der hergelaufene Spinner ins Ohr des ortsansässigen Gottsuchers gesetzt hatte. Schamsuddin al-Täbriz setzte sich selbst rechtzeitig, nach zwei strapaziösen Jahren, 1246, spätestens nach allerlei Flüchen und Drohungen, freiwillig ab. Er ging zurück nach Syrien, nach Täbriz, wohin ihn Dutzende, dann Hunderte sehnsüchtiger Klage- und Lockbriefe seines Busenfreundes verfolgten, ehe Baha’uddin, Rumis just volljähriger Sohn, ihn nach Monaten in Damaskus aufspürte, mit Edelmetallgeschenken und vorbereitetem Reittier zurücklockte. Auf vierwöchiger Rückreise bediente Sultan Walad Schamsuddin persönlich und lernte tiefsinnige Weisheiten von ihm. Obschon Schams sich weniger abhängig gab von dieser seltsam heftiglichen Freundschaft, fiel das Wiedersehen beidseits überaus überschwenglich, kuß- und tränenreich aus. Schamsuddin heiratete nun Kimiya (d. h. Elixier) Khatun, ein Pflegekind des Rumi-Clans, laut Faridun Sipahsalar Rumis Tochter; die Verbindung war eingefädelt von Rumi, sehr zum Mißfallen von dessen zweitem Sohn Alla’uddin Celebi, der Kimiya längst liebte und sie sich nun fortgeschnappt sah. Um in sein Zimmer zu kommen, mußte Alla’uddin in der Enge des gemeinsamen Hauswesens stets durch Schamsuddins Zimmer, der ihm Vorschriften machte, und dies in Alla’uddins Vaterhaus! Schamsuddin, von Anfang an gewaltsam einquartiert, machte sich immer unbeliebter, stand als narzißtischer, möglicherweise auch objektiv sehr gutaussehender, scharfzüngiger, unkeuscher Yussuf im Dunstkreis benachteiligter, dumpfer, sich dauerhaft verulkt fühlender und arrogant abgefackelter Brüder, Familienmitglieder, Hausdiener. Eine neue Variante auf die archetypische Situation zwischen dem schönen hochnäsigen Yussuf (Joseph) und seinen normalgebauten Brüdern. Im immer verfilzteren Chaos hausinterner Klimaverschlechterung, Querelen, Mobbing, altertümlicher gesagt: von Häme, Rangelei, Fama und Kabale, drohte Schamsuddin wiederholt, für immer zu verschwinden. Doch diesmal so, daß ihn keiner mehr finden könne! Man brauchte kaum nachzuhelfen. Alsbald kam Schams unerwartet heim, rief nach Kimiya, erfuhr, sie sei ohne seine Erlaubnis mit Sultan Walads Großmutter in den neuen Gärten spazieren gegangen, Schams brauste auf. Kimiya kam zurück mit Nackenschmerzen, wurde passiv wie ein trockenes Stück Holz, das nur noch wimmerte und nach drei Tagen starb, was natürlich alle an die dicke Zunge des unseligen Muezzin erinnerte. Das heizte die schlechte Stimmung weiter auf. Wenig später verschwand der eingeheiratete Wanderderwisch tatsächlich, ohne Abschied. Sein zweiter Abgang war noch abrupter, gruß- und spurloser als sein erster und blieb so geheimnisvoll und ungeklärt wie bei Empedokles, Henoch, Al-Hakim bi Amrillah, Osama bin Laden, Saddam Hussein u. a. Schamsuddin al-Täbriz tauchte nie wieder auf.

       Wenn alle meine Teilchen Wollust mit Gott treiben

       Die Lebensgeschichte von Rumis Vater Baha’uddin Walad (1150–1231)

      Walad (d. h. Sohn, Kind), wie im Orient jeder Bub gerufen wird, wuchs auf im Land eines goridischen Königs, am nördlichen Quellfluß des Oxus (heute: Amu Darja), stromaufwärts von Balch (im späteren Tadschikistan), sehr abgelegen, bei Wahsch (Lewkand, Sang-tuda). Als Kind hatte er zu leiden unter seiner Mutter, einer zänkischen Frau (Name nicht überliefert).

      Baha’uddin wurde kein Schulhaupt, schuf weder Werke über seine theologischen noch seine juridischen Schwerpunktgebiete. Wegen Mißhelligkeiten mit dem Khwarismschah (Oberhaupt), auch wegen Mongolengefahr, reiste der eher seßhaft hinterwäldlerische Baha’uddin Walad um 1211 mit Familie durch Persien, Mesopotamien, Arabien, Syrien, Kleinasien, nach Westen, in kühnem Slalom, genauer: nach Bagdad, Kufa, Mekka, Malatya, Ersindschan, Akschehir, Samarkand und anderswohin, langjährig als Dauerflüchtling oder Völkerwanderer, um am Schluß in Konya zu landen. Befragt, von wo nach wo er reise, erwiderte er: »Von Allah nach Allah.«

      In seinen Aufzeichnungen aus elf oder mehr Jahren seines Lebens – Ma’arif (Erkenntnisse) – schwadronierte Baha vor sich hin, uneinheitlich, ungeglättet, überaus locker vom Hocker. Religiöse Tagebücher und Selbstgespräche verfaßte er, Steinbrüche, von keiner Reimnot verunziert, unangekränkelt von Publikationsabsicht oder Abrundungswillen. Einfälle kollerten da, Eselsbrücken für Predigtentwürfe, Persönliches, Erinnerungen, jede Menge Hikmat (Weisheit) und Hulasa (Zusammenfassungen). Ab und zu trug er allerlei Muridan (Novizen) und Qawm (Leuten) aus seinen Ma’arif vor, dem reizvollen Provisorium. Bisweilen predigte er so ergreifend über das Jenseits, daß reihum die Zuhörer zu weinen anfingen, dank ihres Pilotschluchzers Nuruddin, bis das allgemeine Geheul auf den Prediger selber übergriff. Seine Gattin Mumine Khatun erwähnte er in diesen Notizen nie, dafür aber zwei Nebenfrauen, die ihm wiederum keine Kinder gebaren; die eine hieß Bibi Alawi. Seinen kleinen Familien-Harem, aus dem ihm etlicher zwischenmenschlicher Unbill erwuchs, tat er ab als Wollusttreiben, Frauen- und Kindersammeln, unwichtig neben Allah. Leute, die ihm lang und breit von ihren geistlichen Bemühungen erzählten, ödeten ihn an, weil sie ihm Zeit stahlen, in eigener Sache um Allah zu kreisen. Seine drei Söhne griffen seine mystischen Tendenzen überhaupt nicht auf, auch sein zweiter Sohn nicht, Muhammad Dschelaluddin Walad (der später als Rumi weltberühmt wurde).

      Marktgeschrei, kursierende religiöse Lehrmeinungen, Sektenstreit, schiitisches Parteigezänk, ideologisches Hickhack der Mutakallim (Scholastiker), Wadschidun (Ekstatiker), Usuliyan (Grundlagentheoretiker, später auch »Fundamentalisten« genannt), Ibahatiyan (Libertiner), Karramiten, Schafiiten, Aschariten, Rafiditen, Zoroastrier u. v. a., inklusive x Sondergrüppchen – diese Unübersichtlichkeit und Gemengelage damaliger Ansichten und Sichtweisen, diesen haltlos spaltungsfreudigen Pluralismus mitten im allumfassenden Islam bereicherte Baha um eine weitere Variante. Zeitweise schien er am ehesten maturiditischer Hanafit zu sein, also Anhänger von Abu Hanifa, ohne sich darin zu erschöpfen. Er schwankte zudem zwischen qadaritischen und dschabritischen Tendenzen, Varianten, Theoremen und empfahl, je nach Situation das Lager zu wechseln: bei religiöser Erhitzung Qadarit, bei Gafla (religiöser Erschlaffung) Dschabrit zu sein (die er »tot und frech« nannte). Öfters disputierte Baha mit Nadsch, einem Traditionarier, über ihrer beider inhaltlicher Überlappungen. Fragte ihn ein Mulhid (Gottverächter), ein Wortverdreher, ein Ismaelit oder ein Aristoteliker, wo Gott sei, innerhalb oder außerhalb der Welt, antwortete Baha: »Weder noch« – ein anderes Mal auf dieselbe Frage: »Sowohl als auch.« Oder auch: »Diese Frage ist falsch gestellt. Ein Gott ist nur der, der über jede Unvollkommenheit, die dem Gottsein widerspräche, erhaben ist. Daß er an einem Ort sei, würde heißen, daß er an diesen Ort gebunden wäre, unfähig, diesen Ort zu schaffen. Du könntest ebenso gut fragen: ›Wie kann ein Weißsein schwarz sein?‹«

      Heil-


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