Das letzte Bier (eBook). Tommie Goerz

Das letzte Bier (eBook) - Tommie Goerz


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      Tommie Goerz

      Das letzte Bier

      Kriminalgeschichten

      ars vivendi

      Vollständige eBook-Ausgabe der im ars vivendi verlag erschienenen Originalausgabe (Erste Auflage März 2021)

      © 2021 by ars vivendi verlag GmbH & Co. KG, Bauhof 1, 90556 Cadolzburg

      Alle Rechte vorbehalten

       www.arsvivendi.com

      Umschlaggestaltung: FYFF, Nürnberg

      Motivauswahl: ars vivendi

      Coverfoto: © Walther Appelt

      Datenkonvertierung eBook: ars vivendi verlag

      eISBN 978-3-7472-0240-1

      Inhalt

       Die Kärwasau ist tot

       Ahmoll bringinern nu umm

       Das Schweigen

       Weidmanns Ruh

       Das letzte Bier

       Die Nacht

       Einmal nur noch fliegen

       Die Weihnachtsgans

       Mein Opa

       Umkleide 36

       Der Selbstmord

       Spalter Hopfenspargel

       Der Autor

      Die Kärwasau ist tot

      »Der Dokter, der Dokter, schnell, ist der Dokter nu doh?« Urplötzlich herrschte große Aufregung im Grauen Wolf. Und so, wie die hektischen Rufe aus dem Eingangsbereich des Wirtshauses klangen, musste etwas Schreckliches passiert sein. Die Tür zur Gaststube wurde aufgerissen. Es war früher Vormittag, ich saß gerade beim Frühstück. Was man mir serviert hatte, hätte eine vierköpfige Familie einen Tag lang mühelos ernährt, aber es war der Dienstag nach der Kärwa, und wer die letzten viereinhalb Tage hier im fränkischen Oberspring erlebt und mitgemacht hatte, der brauchte jetzt etwas Deftiges. »Herr Dokter, Herr Dokter, schnell, kummer S’, schnell!« Der Meindl und der Regenfuß waren hereingestürzt, hatten sich umgesehen, mich entdeckt und waren an meinen Tisch gestürmt. Sie waren sichtlich aufgeregt. Nicht gut für deren alte Herzen. Dass die beiden überhaupt schon wieder auf den Beinen waren und halbwegs geradeaus sehen konnten, grenzte an ein kleines Wunder, so beieinander, wie sie gestern Nacht gewesen waren – und dass sie die Kärwatage überhaupt überlebt hatten, schon an ein größeres. Doch die Menschen in diesem Landstrich sind zäh und hart im Nehmen. Ich hatte in den vergangenen Tagen etliche dieser Eingeborenen kennengelernt. Und auch etliche von deren rustikalen Bräuchen.

      Ich bin, das sollte ich vielleicht vorausschicken, Arzt. Ich habe ein Leben lang in der Gegend von Hersbruck eine Praxis für Allgemeinmedizin betrieben und bin seit zwei Jahren im Ruhestand. Seit ich endlich wieder Zeit habe, wandere ich viel durchs fränkische Land, meist Mehrtagestouren, bei denen ich in Gasthöfen entlang des Weges übernachte. So war ich ahnungslos am letzten Donnerstag in Oberspring gelandet, hatte mir ein Zimmer genommen – ein Wunder, dass überhaupt eines frei gewesen war, wie ich hernach feststellte – und mich zum Abendessen in die Wirtsstube begeben, die sich, eigentlich ungewöhnlich für einen Donnerstag, ziemlich schnell bis auf den letzten Platz füllte. Aber ich wusste schon, warum, denn auf der Wiese neben dem Gasthof hatte unter dem sattgrünen Mailaub der alten Bäume eine kleine Schiffschaukel gestanden, daneben eine Losbude, ein Schießstand mit Plastikblumen und eine Bude für Süßigkeiten, dahinter zwei, drei Wohnwägen der Schausteller. Eine Handvoll Kinder lungerte erwartungsvoll um die Stände herum, die aber hatten ihren Verkauf noch nicht gestartet. Die Beleuchtungen brannten schon und verströmten im frühen Abendlicht das Gefühl heimeliger Vorfreude. Vor dem Gasthof waren Biergarnituren aufgestellt, doch hatte dort niemand Platz genommen, denn es hatte zuvor geregnet und ein weiterer Gewitterschauer kündigte sich mit dunklen Wolken an, außerdem wurde noch nicht bedient. Seitlich brummte ein in die Jahre gekommener Kühlcontainer einer lokalen Brauerei vor sich hin, eine Mückensäule tanzte im Licht einer Laterne auf und nieder.

      Ich muss gestehen, ich hatte mich gefreut, als ich das alles so unverhofft erblickt hatte: Sofort war mein Jagdtrieb befeuert. Denn ich sammle alte »Kärwasliedli«, Lieder oder Gstanzln, die manchmal von den Alten zur Kärwa noch gesungen werden, schon seit Jahrzehnten intonierte, oft aber auch aus dem Stegreif gedichtete – ein Brauch, der immer mehr in Vergessenheit geriet, und mit ihm die kurzen, oft derben Verse. Die Jungen singen nicht mehr so viel. Vo­raussetzungen für diese »Versli« waren nicht zwingend, aber fast immer genügend Alkohol und ausgelassene, gute Stimmung.

      Ich war also zum Abendessen hinuntergegangen und hatte mich an einen der Tische gesetzt. Im Lauf des Abends – während dem ich noch bis Dienstag, also heute, meine Zimmerbuchung verlängert hatte, denn er war für mein Hobby sehr vielversprechend gelaufen – lernte ich die Männer am Tisch schnell kennen. Die Franken sind nicht so mumbflerd und Fremden gegenüber verstockt, wie man ihnen oft nachsagt. Die Männer waren meine Generation und älter, und alle kamen aus dem kleinen, kaum mehr als zweihundert Seelen zählenden Ort. Und da ich mir Namen gut merken kann, kann ich sie hier auch vorstellen. Es waren, bis auf die Landwirte, alles »Ehemalige«: der Lehrer Regenfuß, der Maurer Meindl, Gemeindeschreiber Egersdörfer, der Anstreicher Lenz, der alte, dicke Zeilmann, einst Brauer in der alten, längst aufgelassenen Brauerei gegenüber, sowie die Bauern Eh, Malter, Weisel, Schmitt und Schmid. Wir saßen also zu elft am Tisch, es war entsprechend eng. Und laut. Und keiner trank. Warum? Man wartete auf den Herrn Pfarrer. Das erste Fass stand auf dem Tresen und sollte angestochen werden, das Zapfzeug lag bereit. Der Pfarrer, so der Brauch, hatte das erste Fass anzustechen. Fünfzig Liter Freibier, traditionell vom Wirt spendiert, vom Pfarrer gesegnet für eine gelungene Kärwa. Kein Wunder, dass bislang keiner ein Getränk bestellt hatte. Da endlich ging die Tür auf, Hochwürden betrat den Raum, und ein Gejohle ging los, vom Feinsten. Der Pfarrer setzte sich erst gar nicht. Er stellte sich vor den Tresen, nahm umgehend das Zapfzeug und breitete damit die Arme aus, als spräche er einen Segen. Wartete, bis die Gemeinde verstummte. Und ließ ein Gstanzl los:

      »Die Kärwa is kumma,

      die Kärwa is do.

      Die Aldn, die brumma,

      die Junger sen froh.«

      Ein ohrenbetäubendes »Djiiijuhuu!«, vielfach Schlusspunkt dieser Gstanzl, ließ den Gastraum erbeben. Und während sich der Geistliche dem Fass zuwandte, um den Zapfhahn anzusetzen, frotzelte der dicke Zeilmann zwei Plätze neben mir sangeslustig:

      »Der Pfarrer stichd es Fässlo oh,

      die Madli lässder sei,

      er wollerd scho, doch dearfer ned,

      nedmoll in der Sakristei.«


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