Das letzte Bier (eBook). Tommie Goerz

Das letzte Bier (eBook) - Tommie Goerz


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der Pfarrer demonstrativ den Zapfhahn wieder vom Fass, drehte sich seinen Schäfchen zu, blickte dem Zeilmann ins Gesicht und konterte, ohne mit der Wimper zu zucken:

      »Beim dicken Zeilmann quietscht es Bett

      wenn er mid seiner Aldn ...,

      doch die is hässlich, bugglerd, fett,

      die Warzn kanner bhaldn.«

      Brüllendes Gelächter im Raum, manche hauten auf den Tisch, und alles sah erwartungsvoll den Zeilmann an. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, und hatte längst mein Büchlein gezückt, um mir die Verse zu notieren, da erhob sich der wohlbeleibte Angesungene und retourkutschte eiskalt:

      »Der Pfarrer hod so scheena Aung

      dass die Madli grunzn,

      doch der trinkt doh sei drei Moß Bier

      dann gehder ham auf Brunzn.«

      Eins zu eins. Der Pfarrer grinste und nickte anerkennend, drehte sich zum Fass, setzte an und holte aus. Ein Schlag, zwei, Bier spritzte seitlich weg, der dritte Schlag setzte den Hahn richtig fest, der vierte war nur noch zur Sicherheit. Derweil legte Zeilmann noch einen nach, und ich machte mir ob seiner Leibesfülle und seines hochroten Kopfes ernsthaft Gedanken um seine Gesundheit. Der Bluthochdruck war ihm förmlich anzusehen. Ich schätzte ihn auf hundertsiebzig. Mindestens. Aber er presste mit ungeahnter Leichtigkeit umgehend ein Kontra aus seinem dicken Leib:

      »Der Pfarrer stichd es Fässla oh

      dasses nur so spritzt,

      der wollt scho anders spritzn ah,

      doch drauf der Teifl sitzt.«

      Hochwürden ließ das erste Bier ins Glas, Schaum pur, der Wirt übernahm, der Gottesmann hielt das schaumgefüllte Seidla hoch, skandierte aus dem Stegreif

      »Freund Zeilmann is gar durschdi heut,

      doch grichder bloß an Schaum,

      weil in der Kirchn sichdmern nie,

      der tut ans Weardshaus glaum.«

      und reichte ihm unter fröhlichem Gejohle der Gemeinde das mit weißem Schaum gefüllte Glas. Anschließend sang er mit ausgebreiteten Armen den Segen für die Kärwa:

      »Wenn aufs Johr die Kärwa is,

      na soll die lusti sei,

      sunst scheiß i in die Kärwa nei,

      soll lieber kahni sei.«

      Auch der Herr Pfarrer hatte ein hochrotes Gesicht, allerdings war der Grund hierfür eine sichtlich ausgeprägte Couperose. Vielleicht gingen die vielen kleinen Äderchen ja auf den Messwein zurück? Konnte aber auch Bluthochdruck sein oder einfach eine Bindegewebsschwäche. Ich konzentrierte mich wieder aufs Mitschreiben, kam kaum mehr nach. Aus der Küche wurden die ersten Teller mit Bratwürsten, Kraut und Brot balanciert, die Wirtin und ihre Töchter servierten. Dabei sang die Wirtin den Ersten, dem sie einen Teller hinstellte, direkt an:

      »Wo is denn es Gerchla?

      Es Gerchla, des is net daham.

      Des is aaf der Kärwa,

      frisst die ganzn Brodwörschd zam.«

      Der Angesungene, er hieß ganz offenbar Georg, also Gerch, konterte den braven Vers gleich rustikal:

      »Früh um halber vierer

      weggd der Weard die Wearddi auf

      zubbfdera weng oh ihrer,

      bumms, do hoggder drauf.«

      Die Wirtin ließ sich nicht lumpen und antwortete, als sie auf ihrem Rückweg an ihm vorbeikam:

      »Ach ja, es Gerchla glah,

      des sauft sei Bier allah

      doch noch der erschdn Moß

      ner werder groß.«

      Was soll ich sagen. Das Bier floss in Strömen, das Freibierfass war ruck, zuck leer, der Zapfhahn wurde aufgedreht, die Stimmung ebenso, es wurde immer lauter und die Gstanzln immer derber. Sang einer

      »Im Summer, do is Kärwa,

      im Winter Weihnachd und Neijohr,

      die Katzn rammln zeitenweis,

      die Madli is ganz Johr«,

      griff ein anderer das Stichwort »Kärwa« auf und donnerte:

      »Und wenn mei Fra ihr Kärwa hat,

      dann hob ich meine a,

      bei mir left’s dann di Gurgl ro,

      bei meiner Fraa die Baa.«

      Der Saal tobte, es wurde immer schlüpfriger. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass sich, bis auf zwei oder drei, keine Frauen in der Gesellschaft der dreißig, fünfunddreißig Männer befanden. Es dürften so ziemlich alle Männer sein, die der Ort aufweisen konnte, schätzte ich. Ob sie, weil sie unter sich waren, so zotig wurden? Jedenfalls fielen die Hemmungen im Lauf des Abends immer mehr, und mit ihnen das Niveau.

      »Nüber, rüber, rauf und ro,

      säht der Bauer Linsen.

      Wenn die Madli bemberd ham,

      dann genners ham und grinsen.«

      Die Obergrenze der Derbheit war noch längst nicht erreicht, das Thema der nachfolgenden halben Stunde aber fest umrissen: Es ging ab da nur um die Weiblichkeit und ums Essenzielle. Und wiewohl ich nicht nur einmal heftig lachen musste, ich gestehe es, hatte ich doch stark den Eindruck, dass die hier anwesenden Mannsbilder allesamt bei ihren Ehefrauen zu kurz kamen, sich nicht trauten, von anderem träumten oder was auch immer. Manchmal fühlte ich mich auch derb an meine Jahrzehnte andauernde berufliche Tätigkeit erinnert, während der ich auch das eine oder andere, manchmal durchaus ganz und gar nicht Erfreu- oder Erbauliche, erlebt hatte:

      »Ich hob amol a Madla ghabt,

      des wor vo Kastlreith,

      der hobi untern Ruck nogschaut,

      no hätti mi ball gschbeid.«

      So verbrachte ich den Eröffnungsabend der Kärwa von Oberspring sehr unterhaltsam am Tisch der Alten und sollte schon am nächsten Morgen zum Frühstück drei von ihnen wiedersehen: den Anstreicher Lenz, den dicken Zeilmann sowie den Landwirt Eh. Sie saßen beim Frühschoppen, die anderen waren mit der Dorfjugend in den Wald hinausgezogen, um den Kärwabaum zu holen. Als der Wirt dem Zeilmann das erste Seidla brachte, stellte der es vor sich hin, hielt es mit ausgestreckten Armen zwischen den Händen und strich genüsslich mit den Daumen über die Kondenswassertropfen, die sich am Glas gebildet hatten.

      »Ja, des is schon was Schönes«, sagte er wie zu sich selbst.

      »Ein Bier so früh am Morgen?«, konnte ich mir nicht verkneifen.

      »Nein«, schüttelte er den Kopf, »obwohl – das auch. Aber ich mein, dass ma jetzt so tolle Kühlschränk hat, wo des Bier immer so schö frisch ist und kalt.«

      Ich muss ihn wohl etwas begriffsstutzig angesehen haben, denn er schob gleich die Erklärung nach: »Wissen S’, früher wurd ja noch geeist. Da hammers Eis ausm Weiher gholt druntn und drühm«, und dazu deutete er hinüber zur ehemaligen Brauerei, »in den Keller bracht, fürn Sommer. Da semmer aufs Eis, einer hat gesächd, mit der Hand nu, und der war mit an Seil gesichert. Und manchmal hammern auch reinfallen lassen.« Er lachte. »Issermoll fast ahner dabei gschdorm, ersoffm. Den hammer grodnu rechtzeitig rausgrichd. War so.«

      Der Eh nickte, während mein Blick fasziniert auf dessen offensichtlicher Aszites ruhte. So extrem hatte ich das schon lange nicht mehr gesehen. Es war ein massives


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