Das letzte Bier (eBook). Tommie Goerz
immer wieder, zurück und vor und zurück und vor. Hatten die Wände eingerissen und es plattgemacht. Das Schulhaus hatte leer gestanden, mitten im Ort, jetzt stand es nicht mehr, aber keiner hatte etwas gesehen, natürlich nicht, wer ist schon nachts auf der Straße. Das muss ja alles sehr schnell gegangen sein, tat man gemäßigt verwundert. Und morgen, am Montag, sollten die Flüchtlinge kommen, drei Familien, aus Syrien, Äthiopien, Afghanistan, sonst wo. Menschen in Not, die vor Kriegen geflohen waren und jetzt ein Dach über dem Kopf brauchten und vor allem Zuspruch. Menschlichkeit. Unterstützung. Hilfe. Wärme. Liebe!
Aber jetzt war das Haus nicht mehr da. Kinder mit unschuldigen Augen – wo sollten diese Menschen jetzt hin?
Wir aber, die wir stark sind, sollen der Schwachen Gebrechlichkeit tragen und nicht Gefallen an uns selber haben.
Und dazu sollte er denen jetzt etwas sagen? Ihnen ins Gewissen reden? Nach so einer Nacht? So etwas passiert doch nicht einfach, so etwas plant man doch. Im Besitz seiner geistigen Kräfte. Aber Gewissen? Die hatten doch keins, der Nächste war denen doch wurst. Predigen? Niemals. Zum einen Ohr rein, zum anderen raus. Es machte keinen Sinn, mit diesen Menschen zu reden.
Sägenschmiet stand auf der Kanzel und schwieg. Seit fünfzehn Minuten jetzt schon. Er wusste aber auch nicht, was er noch sagen sollte. Er hatte keine Worte mehr, verstand diese Menschen nicht. Hasste, ja, verachtete sie. War ihm nicht zu helfen oder diesen?
Sägenschmiet sammelte seine Blätter mit der Predigt zusammen und stieg schweigend von der Kanzel. Zählte die Schritte, damit er unten nicht ins Leere trat und hinschlug. Dann wäre das Schweigen umsonst gewesen, das wusste er.
Er ließ die Glocken läuten, sprach leise ein Gebet, breitete seine Arme weit aus und segnete die Menschen.
»Gehet hin in Frieden«, log er sie an, aber in seinem Inneren sprach er etwas ganz anderes.
Dann schlug er das Kreuz, die Orgel spielte und er verschwand in der Sakristei. Heute trat er nicht vor die Kirche, heute gab er niemandem beim Hinausgehen die Hand.
Leicht betreten gingen die Menschen hinaus. So eine Predigt hatten sie noch nie gehört und waren auch ein wenig verunsichert. Aber nur für den Moment. Beim Steiner hernach und vier Bier bis zum Sonntagsbraten, auch bei Gelächter und dem üblichen Gerede, würde sich die Welt schon wieder richten.
Und das tat sie auch.
Pfarrer Sägenschmiet hatte die Glocken angeschaltet und ließ sie läuten und läuten und läuten. Über Mittag, über den Nachmittag, bis in den Abend hinein. »Er wird sie schon wieder ausschalten«, sagten die Leute, »spätestens dann, wenn es dunkel ist.« Was Sägenschmiet aber nicht tat.
Als es dunkel war, hätte man drei Gestalten sehen können, die sich dem Pfarrhaus näherten. Die aber niemand sah. Sie verschwanden darin und verließen es nach einer knappen halben Stunde wieder.
Die Glocken aber läuteten weiter.
Spät in der Nacht endlich brachen fünf beim Steiner drüben auf. Fast bis Mitternacht hatten sie gewartet. Als sie ins Pfarrhaus kamen, hing der Pfarrer schlaff vom mittleren Balken und rührte sich nicht.
»Deshalb läuten die Glocken noch«, sagte der Wagner vom Sägewerk, und die anderen nickten. »Hätten wir doch nur schon früher vorbeigeschaut.« Wozu die anderen wieder nickten. Der Mirschberger, der Weisel, der Kranzler, der Freundel. Sie schalteten die Glocken ab, knüpften den Sägenschmiet ab, legten ihn auf den Boden und gingen wieder hinüber zum Steiner, zum Bier. Dann riefen sie den Arzt und die Polizei.
Als die Glocken in dieser Nacht endlich schwiegen, kehrte wieder Frieden ein in Demuthshüll.
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