Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey
Markmann unbeirrt.
»Ja, schon, aber deshalb kann er nicht so ohne weiteres…«
»Er kann. Und er wird!« unterbrach Achim Markmann und machte dabei ein so entschlossenes Gesicht, daß Hanna unwillkürlich wütend wurde.
Warum machten einem die Leute alles nur so unendlich schwer?
»Bitte, Herr Markmann, verlassen Sie sich darauf, daß ich das besser beurteilen kann als Sie«, begann sie, wußte aber, nachdem sie ihn noch einmal angeschaut hatte, daß er sich nicht beirren lassen würde.
»Sie werden sich nicht drücken und meinen Jungen nicht in irgendeine Klinik abschieben, die wir nicht kennen. Hier, hier sind wir zu Hause. Und hier ist die Kinderklinik Birkenhain, von der es heißt, daß auch schwierigste Fälle dort erfolgreich behandelt worden sind. Sie werden Jörgs Finger also wieder annähen und…«
»Das werden wir ganz gewiß nicht tun, Herr Markmann. Wir werden Jörg mit dem Hubschrauber in die Spezialklinik fliegen lassen und…«
»Ich sagte nein. Und dabei bleibt es auch.«
Markmann verließ die Küche. Hanna wandte sich an Martin Schriewers, nickte ihm zu und sagte beherrscht:
»Funken Sie, Martin. Wir müssen endlich zum Zuge kommen.«
»Wird gemacht, Frau Doktor.« Martin öffnete die Küchentür, die sich hinter Markmann geschlossen hatte und prallte entsetzt zurück.
Da stand Achim Markmann. Er hatte seine Dienstpistole in der Hand. Es knackte leise, als er sie jetzt entsicherte.
»Sie haben den Jungen, und Sie haben die abgeschnittenen Finger. Mehr brauchen Sie nicht. Sie haben angeblich einen der modernsten Operationsräume in der Kinderklinik. Also werden Sie meinem Jungen auch dort helfen. Sie brauchen nichts zu sagen. Ich bin zu allem entschlossen, wenn Sie nicht das tun, was ich von Ihnen verlange.«
Hannas Augen blitzten. Sie wäre am liebsten dazwischengefahren, aber sie wußte, daß sie damit nichts erreichen, daß sie vielleicht nur eine Katastrophe heraufbeschwören würde. Deshalb sagte sie beherrscht:
»Also los, Martin. Tun wir, was er sagt. Jörg muß in jedem Fall in eine Klinik, also dann nach Birkenhain.«
Markmann folgte Martin Schriewers nach draußen, holte mit ihm gemeinsam die Trage herein und sah zu, wie Hanna und Dr. Frerichs den Jungen auf die Trage legten und zudeckten. Dann nahmen Martin Schriewers und Dr. Frerichs die Trage und trugen sie mit dem Jungen darauf nach draußen.
Und jetzt schrie Maria Wichert auf, laut, entsetzt und auch erleichtert. Thea Markmann weinte laut auf, und die Leute draußen sprangen beiseite, als sie sahen, daß Achim Markmann mit grimmigem Gesicht und der im Anschlag haltenden Pistole folgte. Dann kam Hanna, und ihrem Gesicht konnte man nicht entnehmen, was sie dachte.
Sie zuckte nur zusammen, als Achim Markmann Dr. Frerichs, der hinten einsteigen wollte, zur Seite schob und knurrte:
»Gehen Sie nach vorn, Doktor. Frau Dr. Martens und ich bleiben bei Jörg. So weit ist die Fahrt ja auch nicht.«
»Bist du wahnsinnig, Mann?« fragte einer der Umstehenden und sah Markmann ärgerlich an. »Hast du keine Angst, daß das ein Nachspiel haben könnte? Immerhin ist das deine Dienstwaffe, Achim.«
Aber da schloß sich schon die Wagentür hinter ihnen. Martin Schriewers fuhr an, schaltete Blaulicht und Martinshorn wieder ein, wie sich das gehörte, und war bald aus der Sichtweite der Leute, die unsicher dem Wagen nachschauten.
Dr. Frerichs stellte die Funkverbindung mit der Klinik her und berichtete knapp, um was es sich handelte und was unternommen werden mußte. Und dann dauerte es nacht mehr lange, bis sie vor der Notaufnahme der Kinderklinik Birkenhain anhielten und sich alles routinemäßig abwickelte, wie so oft schon. Das einzig Bemerkenswerte war Achim Markmann mit der Pistole, die er immer noch drohend erhoben hatte.
*
Dr. Kay Martens hatte eben nach Hanna gefragt und erfahren, daß sie mit Dr. Frerichs und Martin Schriewers zu einem Notfall gefahren war. Er unterdrückte einen ungeduldigen Seufzer.
Also wieder kein Feierabend. Daß es den Leuten aber auch immer zu so unsinnigen Zeiten einfiel, krank zu werden oder einen Unfall zu haben!
Wäre ich Beamter, säße ich schon längst in meinem Sessel und könnte mich entspannen, dachte er und wußte im gleichen Augenblick, daß er sich keinen schöneren Beruf vorstellen konnte als den seinen. Mit allen Begleiterscheinungen, die ihn manchmal ein bißchen ungeduldig machten.
Er und auch seine Schwester Hanna waren Ärzte aus Leidenschaft, denen, wenn es darauf ankam, nichts zuviel wurde.
»Hat meine Schwester sich schon gemeldet?« fragte er, als er in die Telefonzentrale kam. Kopfschütteln. Aber dann piepte es. Kay schaltete auf Lautsprecher. Und dann hörten sie alle, was Dr. Frerichs zu sagen hatte.
»Wir kommen mit Jörg Markmann. Er hat sich zwei Finger sauber abgeschnitten. Die Finger haben wir auch.«
»Sie hätten einen Rettungshubschrauber anfordern sollen. Der Junge gehört in die Replantations-Abteilung einer reinen Unfallklinik.«
»Das wollte ich auch, und Ihre Schwester auch. Wir sind aber daran gehindert worden – sozusagen mit Waffengewalt.«
»Frerichs! Wenn ich nicht genau wüßte, daß das unmöglich ist, würde ich sagen, Sie sind betrunken!« stieß Kay hervor. Und die Antwort kam auch prompt.
»Sie werden es sehen, Chef, wenn wir kommen. Machen Sie nur ruhig alles bereit. Jörgs Vater wird uns zwingen, die Operation hier zu machen. Und Gnade uns Gott, wenn sie nicht so verläuft, wie es sein muß.«
»Ist gut. Es wird alles bereit sein.« Kays Stimme klang beherrscht. Er wandte sich um und sah in lauter entsetzte Gesichter. Da holte er tief Luft und erklärte entschlossen: »Alles läuft wie immer. Wir machen es so wie sonst auch – wir geben unser Bestes.«
Damit verließ er den Raum und ging in sein Sprechzimmer, setzte sich an den Schreibtisch und stützte den Kopf in die Hände.
Achim Markmann war nicht der erste Angehörige, der durchdrehte, und er würde nicht der letzte sein. Nur – mit vorgehaltener Pistole war er noch nie zu einer Operation gezwungen worden, die an sich in der Kinderklinik ganz und gar nicht üblich war.
Jetzt war Dr. Martens froh, daß er eine gut fundierte Ausbildung als Unfallchirurg hatte. Und er atmete erleichtert auf, als er daran dachte, daß er trotz Hannas Ablehnung darauf eingerichtet war, auch GefäßOperationen durchzuführen, weil er die notwendigen Instrumente und auch zwei Operations-Mikroskope hatte.
»Sie sollen nur kommen. Wir werden dem armen Bengel die Finger wieder annähen. Aber dann werde ich mir den Vater vornehmen und ihm sagen, was ich davon halte, daß er uns mit vorgehaltener Pistole zu einer Operation zwingen will, von der er gar nicht weiß, ob wir sie hier auch durchführen können.«
Das sagte er laut und entschlossen, als er sich erhob, um zur Notaufnahme zu gehen, damit er dabei war, wenn der kleine Patient eingeliefert wurde. Droben in der OP-Abteilung war jedenfalls alles bereit, und Dr. Dirksen, die Anästhesistin, war auch schon benachrichtigt und sicher schon dabei, sich vorzubereiten.
Kay hatte die Notaufnahme gerade erreicht, als Martin Schriewers mit kreischenden Bremsen anhielt. Er und Dr. Frerichs trugen die Trage mit Jörg, der die Augen kaum noch offenhalten konnte. Und Hanna ging vor dem vierschrötigen Achim Markmann her, der die Pistole noch immer in der Hand hielt und dazu ein Gesicht machte, dem man unschwer ablesen konnte, daß er zu allem entschlossen war.
Kay ging ihnen einige Schritte entgegen und wies auf die Waffe in Markmanns Hand.
»Finden Sie das gut, Herr Markmann?« fragte er ruhig.
»Ob es gut ist, weiß ich nicht. Auf jeden Fall ist es wirksam«, war die entschlossene Antwort.
Kay schenkte ihm ein spöttisches Lächeln. »Könnten Sie mir sagen, wer Ihren Jungen operieren soll, wenn Sie uns der Reihe nach erschießen, Herr Markmann?«