Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey
hatte ich ganz vergessen, Achim. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht.«
»Ich auch nicht. Aber jetzt kann ich nur sagen, daß ich mich wahrlich nicht besonders wohl fahle. Ich weiß auch noch nicht einmal mehr, ob ich mich schon entschuldigt habe.«
»Vielleicht ist es richtiger, so zu tun, als sei nichts gewesen. Manchmal vergißt man es dann wirklich und kann sich tatsächlich nicht mehr daran erinnern.«
»Meinst du?« Er sah skeptisch drein. »Ich hatte gestern einfach völlig die Nerven verloren, sonst wäre es gar nicht dazu gekommen, daß ich mit der Waffe herumfuchtelte.«
Sie hatten den Parkplatz erreicht und standen vor dem Wagen, den Achim jetzt aufschloß. Sie stiegen ein. Und dann wandte sich Thea wieder ihrem Mann zu und fragte leise
»Sage mir nur eines, Achim – hättest du deine Waffe wirklich benutzt, wenn sie nicht das getan hätten, was du von ihnen verlangtest?«
Er ließ die Hände auf das Lenkrad sinken, ohne den Wagen in Gang gebracht zu haben. Und es dauerte auch eine ganze Weile, bis er erwiderte:
»Das eben macht mir doch solchen Kummer, Thea. Ich weiß es nicht. Zwar habe ich noch nicht eingehend darüber nachgedacht, aber ich muß auch ehrlich zugeben, daß ich mich innerlich dagegen wehre, noch einen Gedanken an diese scheußliche Situation zu verschwenden.«
»Ich bin ganz sicher, daß du es nicht fertiggebracht hättest, Achim. Obwohl ich zugeben muß, daß du sehr bedrohlich ausgesehen hast.« Thea kicherte ein wenig. Achim sah sie von der Seite her an und murmelte:
»Meinst du wirklich? Dann kennst du mich besser, als ich mich selbst kenne.«
»Das tue ich auch«, erwiderte sie und legte zärtlich die Hand auf seinen Arm. »Ich kenne dich tatsächlich viel besser, als du dich kennst. Du siehst zwar ungeheuer stark aus, du brummst auch oft drohend, aber ich weiß, daß du noch nicht einmal eine lästige Fliege mit der Klatsche totmachen kannst. Noch nicht mal dann, wenn sie dich geärgert hat.«
»Aber wegen gestern, da bin ich mir doch nicht so ganz sicher. Schließlich handelt es sich doch um unseren Jungen, Thea. Und da kann ich, so glaube ich sicher, sehr böse werden.«
»Du warst nicht böse, Achim«, sagte sie bestimmt. »Du warst halb wahnsinnig vor Angst um Jörg. Das wird jeder verstehen.«
Er atmete tief ein und drehte den Zündschlüssel, so daß der Wagen ansprang. Während er langsam aus dem Klinikhof auf die Straße hinausfuhr, sagte er bedächtig:
»Irgendwann, wenn ich diese Sache einigermaßen verwunden habe, werde ich zu Frau Dr. Martens und ihrem Bruder gehen und mich in aller Form entschuldigen. Und dann kann ich nur hoffen, daß sie auch so viel Verständnis für mich aufbringen wie du.«
»Das werden sie ganz bestimmt«, erklärte Thea voller Überzeugungskraft. Und Achim war es zufrieden.
*
Hanna Martens verbrachte viel Zeit mit Jörg. Der Junge war ihr ganz besonders wichtig. Wahrscheinlich, so sagte sie sich selbst, kam das daher, daß man, wenn auch unter Zwang, eine Operation bei ihm gewagt hatte, die sie unter normalen Umständen niemals gemacht hätten.
Es wächst der Mensch mit seinem höheren Zweck, dachte Hanna oft in leiser Selbstironie. Das konnte aber den Stolz darüber, daß eine solche Operation gelungen war, nicht mindern. Im Gegenteil – Hanna war fest entschlossen, mit Kay noch einmal eingehend darüber zu sprechen. Schließlich hatte er nicht umsonst und von ungefähr die für derartige Operationen unbedingt notwendigen Einrichtungen und Geräte angeschafft.
Hanna erinnerte sich mit leiser Scham daran, daß sie zu jener Zeit, als das alles geliefert wurde, Kay spöttisch gefragt hatte, zu was er das denn wohl benötige. Und sie erinnerte sich daran, daß seine Antwort sie nicht gerade zufriedengestellt hatte. Kay hatte nämlich nur die Schultern ein wenig gehoben und dann gesagt:
»Es mag dir vielleicht jetzt noch sonderbar oder auch meinetwegen unnötig erscheinen, Hanna – aber kann man denn wissen, wozu man so etwas benötigt? Irgendwann wird mal ein Fall eintreten, der uns das alles anwenden läßt. Und dann können wir glücklich sein, wenn alles Notwendige da ist.«
Der Fall Jörg Markmann hatte bewiesen, daß Kay recht gehabt hatte. Ja, noch mehr, fand Hanna. Kay hatte sich als ein echter Prophet erwiesen. Ihre Hochachtung vor ihrem vorausblickenden Bruder war wieder einmal sehr hoch.
Die Markmanns hatte dafür gesorgt, daß in Ögela und Umgebung bekannt wurde, was man in der Kinderklinik Birkenhain für ihren Jungen getan hatte. Und wie meistens bildeten sich zwei Parteien. Die einen waren voll des Lobes über Kay und seine mutige Schwester Hanna. Und die anderen sprachen davon, daß die Ärzte der Klinik Birkenhain verantwortungslos gehandelt hatten, als sie Jörg Markmann die beiden abgeschnittenen Finger wieder annähten. Sie sprachen davon, wie anmaßend und gefährlich es doch sei, wenn sich Ärzte Dinge zutrauten, die eigentlich gar nicht zu ihrem Fachgebiet gehörten.
Dr. Frerichs sprach empört über die Meinung der Leute in Ögela in der Kantine. Er ahnte nicht, daß Kay alles mit anhörte, weil er mit Hanna ziemlich versteckt hinter einem Kübel mit großem, üppig blühenden Blumenarrangement gesessen hatte. Er sah Frerichs mit herzlichem Lachen an, als er sich mit Hanna an seinen Tisch setzte.
»Es ehrt Sie durchaus, mein lieber Freund, daß Sie so spontan unsere Partei ergreifen. Ich weiß das voll und ganz zu würdigen. Und eigentlich haben die Menschen doch recht, die sagen, daß wir hier eine solche Operation bisher noch nicht durchgeführt haben, oder? Das stimmt zumindest.«
»Aber wir haben doch auch nur operiert, weil wir dazu gezwungen worden sind – mit Waffengewalt!« stieß Frerichs erbittert hervor. Kay sah ihn ernst an.
»Ich hoffe, darüber haben Sie kein Wort verloren, Kollege«, sagte er kühl. Frerichs schüttelte wild den Kopf.
»Wie werde ich denn? Bei der Redseligkeit der Leute aus Ögela könnte ich Markmanns damit nur in Teufels Küche bringen. Ich habe mich überhaupt nicht dazu geäußert, weil man mich erst gar nicht bemerkt hat. Aber dann habe ich nur gefragt, ob sie fänden, man sollte Ihnen für Ihren schnellen Entschluß, dem Kleinen zu helfen, nur dankbar sein. Jetzt sei doch erwiesen, daß Sie auch helfen können, wenn es beinahe hoffnungslos aussieht. Sie hätten die dummen Gesichter sehen sollen, Chef. Und einer bequemte sich sogar, zuzugeben, daß man es so noch nicht betrachtet hatte. Und im Nu waren sie alle verschwunden, die Meckerer.«
Hanna sah den jungen Arzt warm an und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Es ist sehr lieb von Ihnen, uns so zu verteidigen«, sagte sie freundlich. »Am besten, man kümmert sich gar nicht um das, was die Menschen sagen. Sie werden sehen, daß die Operation ganz schnell vergessen sein wird. Auch in einem Ort wie Ögela geschieht immer etwas, was die Menschen interessiert. Sie unterhalten sich im Höchstfall ein paar Tage darüber, aber dann ist auch alles wieder vorbei, weil dann wieder etwas anderes akut ist.«
»Bestimmt haben Sie recht, aber ich wäre gern dazwischengefahren, das kann ich Ihnen sagen.«
»Und hätten damit alles nur noch schlimmer gemacht, mein Lieber.« Hanna nickte ihm freundlich zu und meinte dann: »Wir sollten uns daran erinnern, daß es Zeit für die Visite ist.«
Wie macht sie das nur? dachte Frerichs aufsässig, wie bringt sie es fertig, immer so ruhig und gelassen zu bleiben? Sie ist doch auch ein Mensch aus Fleisch und Blut, aber wenn das so weitergeht, dann betrachte ich sie als Heilige.
Es war nur gut, daß Hanna Martens keine Ahnung hatte davon, wie Frerichs sie einschätzte und beurteilte, sonst hätte sie ihn sicher hell ausgelacht.
Sie sparte sich den Besuch bei Jörg Markmann als letzten auf, weil sie sich noch ein Weilchen mit dem aufgeweckten kleinen Kerl unterhalten wollte. Sie setzte sich einfach zu ihm aufs Bett und fragte ihn:
»Na – was würdest du davon halten, wenn du langsam aus dem Bett aufstehst? Draußen scheint herrliche Sonne. Wenn du dir Mühe gibst, bist du in ein bis zwei Tagen soweit, daß du in den Klinikgarten darfst.«
»Das