Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman - Britta Frey


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dem kann man doch Abhilfe schaffen, meinst du nicht auch? Ich werde mir überlegen, wen von unseren Patienten wir zu dir aufs Zimmer legen können. Und dann reden wir noch mal drüber, abgemacht?«

      Jörg nickte zufrieden. Mit Dr. Hanna konnte man, so fand er, reden wie mit sich selbst. Die verstand einen, ohne daß man ihr groß und breit noch die Gründe und Ursachen erklären mußte.

      »Wenn ich schon aufstehen darf, dann kann ich doch auch bald wieder heim, oder?« fragte er und sah Hanna aus bettelnden Augen an. Hanna lachte ihn an und sagte tröstend:

      »Na, ein Weilchen mußt du dich noch gedulden, Jörg. Immerhin solltest du daran denken, daß du schließlich zwei Finger verloren hattest. Das braucht seine Zeit, um wieder richtig verheilen zu können.«

      Das verstand der Junge. Und er wußte auch, daß es wie ein Wunder war, daß man ihm die abgeschnittenen Finger wieder angenäht hatte. So was kam sonst eigentlich nur im Fernsehen vor, in irgendwelchen Filmen. Jörg hätte nie damit gerechnet, daß ihm so was auch einmal zustoßen könnte. Und nun, da es geschehen war, fand er es noch nicht einmal halb so schlimm wie in seinen Vorstellungen.

      Aber schließlich lag auch das Schlimmste schon hinter ihm. Und er mußte auch daran denken, daß er eigentlich alles gar nicht so richtig begriffen hatte, besonders nicht, nachdem es geschehen war. Er mochte auch lieber erst gar nicht daran zurückdenken.

      Zwei Tage später wurde Jörg Markmann dann von Schwester Regine in den Klinikgarten gefahren. Jörg hatte gelacht, als man ihn in einen Rollstuhl setzte, aber Schwester Regine hatte nur lachend gesagt:

      »Wart’s nur ab, mein Freund. Du wirst sehen, wie schnell man müde wird, wenn man nur ein paar Schritte gemacht hat. Da kann man erst richtig merken, wie schnell man seine Kräfte verliert, wenn man nur ein paar Tage im Bett gelegen hat.«

      Jörg war ordentlich froh, als Schwester Regine ihn allein ließ. Er saß da in seinem Rollstuhl, rappelte sich vorsichtig hoch und spazierte ein wenig umher. Aber dann merkte er doch, daß er müde wurde, Herzklopfen bekam und sich von allein nach dem bequemen Rollstuhl sehnte. So schlich er denn langsam und sehr enttäuscht wieder zurück und blieb still sitzen, bis das schnelle Herzklopfen vorbei war. Er wollte schon ärgerlich und zutiefst enttäuscht sein, aber da sagte er sich ganz richtig: morgen versuche ich es wieder, und jeden Tag wieder, bis ich wieder richtig laufen kann. Und dann werden sie mich auch heimlassen, damit Vati und ich endlich unseren Hasenstall fertigbekommen.

      Als seine Eltern kamen, ihn zu besuchen, staunten sie nicht schlecht, als sie ihn im Rollstuhl draußen fanden. Achim Markmann schob seinen Jungen durch den großen Garten mit dem hübschen Teich, in dem im Frühjahr die Frösche laut quakten, und setzte sich endlich auf eine Bank. Thea setzte sich neben ihn und strahlte Jörg, der in seinem Rollstuhl vor ihnen saß, glücklich an.

      »Jetzt kann es auch nicht mehr lange dauern, bis man dich nach Hause läßt. Ich bin so froh, daß du alles noch einmal gut überstanden hast, Liebling.«

      Achim Markmann nickte nachdrücklich dazu. Er fühlte sich immer ganz elend, wenn er in die Klinik Birkenhain kam, und hatte entsetzliche Angst davor, Hanna oder Dr. Frerichs oder Kay Martens zu begegnen. Er schämte sich, wie man sagt, in Grund und Boden. Und die Einsicht, daß er auch allen Grund dazu hatte, vermochte ihm auch nicht viel zu helfen.

      Er hätte alles gern ungeschehen gemacht – aber das lag nicht in seinem Machtbereich. Irgendwann, beruhigte er sein Gewissen dann wohl, werde ich die beiden Martens’ aufsuchen und mich in aller Form bei ihnen entschuldigen. Entweder sie akzeptieren meine verständliche Angst und Aufregung, oder sie tun es nicht. Daran kann ich dann auch nichts mehr ändern. Jeder muß für das, was er tut, einstehen. Das sollte ich, der im Strafvollzug tätig ist, am besten wissen.«

      Achim war fest entschlossen, für seine Haltung einzustehen und alle Konsequenzen, die sich daraus ergaben, zu akzeptieren. Aber die Scham, so fand er, machte einem viel mehr zu schaffen als alles andere.

      Thea Markmann wußte sehr wohl, was in ihrem Mann vorging. Schließlich kannte sie ihn bis in den tiefsten Winkel seines Herzens. Und so sagte sie dann zwei Tage später zu ihm, als sie wieder einmal aus der Klinik nach Hause kamen:

      »Ich will nicht, daß du dich so quälst, Achim. Damit machst du nichts ungeschehen.«

      Er saß zerknirscht ihr gegenüber am Küchentisch und erwiderte:

      »Meinst du, das hätte ich mir nicht schon tausendmal gesagt, Thea? Aber ich schäme mich so entsetzlich, daß es jedesmal eine Qual für mich ist, zur Klinik zu fahren. Und daheimbleiben kann ich auch nicht, denn ich will schließlich unseren Jungen sehen. Was sollte er wohl denken, wenn ich ihn plötzlich nicht mehr besuchen kommen wollte?«

      »Verhalte dich doch einfach so wie Frau Dr. Martens, und wie Herr Dr. Martens und alle anderen auch«, schlug Thea praktisch vor und lächelte ihm aufmunternd zu. »Tu doch einfach so, als sei gar nichts geschehen. Sie machen es doch auch so.«

      »Das können sie auch, schließlich waren sie im Recht. Ich bin es, der unrecht gehandelt hat. Und ich kann dir sagen, daß das ein geradezu schauderhaftes Gefühl ist. Mir ist, als müßte ich zu ihnen gehen und mich entschuldigen und…«

      »Solange dich das alles noch so sehr aufregt, solltest du überhaupt nichts tun. Jedermann weiß, daß du keiner Menschenseele etwas zuleide tun kannst. Du wolltest es auch nicht wirklich. Du hast dich nur so benommen, weil du halb wahnsinnig vor Angst um Jörg gewesen bist. Ich kann dich sogar gut verstehen. Und ich bin sicher, daß es die Geschwister Martens auch tun.«

      »Ich muß darüber nachdenken. Lieb von dir, Thea, daß du es mir leichter machen willst. Aber ich spüre, daß ich mich bei ihnen entschuldigen muß, wenn ich meine Ruhe wiederbekommen will. Es ist ja beinahe wie eine Krankheit. Ich kann kaum noch an etwas anderes denken als daran, wie gräßlich ich mich aufgeführt habe.«

      »Was auch immer du tun wirst, Achim – ich halte zu dir und stehe hinter dir. Das sollst du wissen.«

      »Wenn ich das nicht wüßte, wäre ich noch ärger dran als so schon. Nein, nein, es ist schon in Ordnung, Thea. Ich habe mir die Sache eingebrockt und werde sie auch wieder in Ordnung bringen, so oder so. Dann kann ich auch wieder ruhig und ohne Alpträume schlafen.«

      »Vielleicht hast du recht«, gab sie ehrlich zu und sah ihn zärtlich an. »Aber eines solltest du wissen, Achim: Ich halte zu dir, und bei mir hast du immer recht, besonders in dieser Sache. Wenn einem so etwas widerfährt, dann kann man schon den Kopf verlieren. Und das weiß nicht nur ich, sondern auch die Ärzte in der Klinik Birkenhain wissen es, verlaß dich darauf.«

      Achim Markmann warf seiner Frau einen dankbaren Blick zu. Er fühlte sich ungeheuer getröstet, weil sie ihm versichert hatte, daß sie zu ihm hielt – und weil sie ihm gesagt hatte, daß man seine große Angst in der Klinik Birkenhain ganz sicher verstehen würde…

      *

      Jörg saß am Teich auf der Bank. Den Rollstuhl brauchte er nicht mehr. Aber. wenn ihm ein kleiner Patient im Rollstuhl begegnete, spürte er immer brennendes Mitleid, denn er erinnerte sich daran, wie elend ihm zumute gewesen war, als er die ersten paar Tage im Rollstuhl hatte sitzen müssen. Da kam man sich echt wie ein alter Mann vor, der zu schwach ist, sich allein auf den Beinen zu halten. Ein ekliges Gefühl, fand Jörg, und war dann immer wieder heilfroh, daß er allein laufen und sich bewegen konnte. Er war froh, daß er nicht mehr dauernd im Bett liegen mußte und die anderen, die noch nicht so weit waren wie er, besuchen konnte. Jörg fühlte sich dann immer sehr wichtig, denn er war unbestritten der interessanteste Patient für alle. Einen Finger richtig abgeschnitten hatte sich noch keiner hier, geschweige denn gleich zwei. Jörg mußte immer wieder und wieder erzählen, wie es zu diesem schrecklichen Ereignis gekommen war.

      Zuerst hatte er sich natürlich unendlich interessant gefühlt. Aber mittlerweile war er es leid, immer wieder über das eine Thema zu sprechen. Und so hatte er denn energisch erklärt:

      »Das alles habe ich euch nun schon so oft erzählt, daß ihr es eigentlich auswendig wissen müßt. Und wenn einer da ist, der neu hier ist, der kann es sich von den anderen erzählen lassen. Ich mag nicht


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