Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman. Britta Frey

Kinderärztin Dr. Martens Staffel 3 – Arztroman - Britta Frey


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wie ein geprügelter Hund umher und wagte kaum, sich mit Spielen abzulenken oder etwas zu tun, das mit Lärm verbunden war.

      Florian hing an seinem Vater und sehnte sich danach, von ihm in den Arm genommen zu werden, damit er das Gefühl hatte, auch weiterhin von ihm beschützt zu werden wie bisher. Aber Hannes erkannte die Einsamkeit seines Kindes nicht. Er hatte selbst genug zu tun, um mit dem Kummer fertig zu werden, was ihm, wie er ganz sicher wußte, nie im Leben gelingen würde. Er wollte auch nicht mehr an Melanie erinnert werden. Er wollte den Gedanken und den Sehnsüchten, die ihn quälten, entfliehen.

      Und so nahm er denn eine große Montage an, die ihn weit fort nach Übersee führte, nach Brasilien.

      Er strich seinem kleinen Florian über den Kopf und sagte nur:

      »Mach’s gut, mein Kleiner. Wir werden uns jetzt längere Zeit nicht mehr sehen. Ich werde dir schreiben.«

      Hannes Beckhaus wußte nicht, welches Leid sein Junge durchmachte, als er den Wagen abfahren sah. Tante Grete würde ihn vom Flughafen in Hamburg abholen in den nächsten Tagen. Und dann würde sein Vati schon weit, weit weg sein, in Brasilien, wo es Piranhas gab und Kaimane, wo es noch Indianer gab, die wie in der Steinzeit lebten. Und er würde nicht daran denken, daß daheim sein kleiner Florian sich nach ihm sehnte und nur zu gern mit ihm in die weite Welt gefahren wäre, um auch ein wenig Vergessen zu finden.

      Es kamen Grüße. Und es kamen auch regelmäßig Geldbeträge. Aber die Briefe und Karten wurden seltener. Und dann kam der Brief, der Florian bewies, daß sein Vater ihn endgültig vergessen hatte und ein neues Leben anfangen wollte, in dem es für ihn, Florian, keinen Platz mehr gab.

      Hannes Beckhaus hatte eine junge Brasilianerin geheiratet, der es gelungen war, ihn seinen Schmerz um Melanie vergessen zu lassen. Sie hatte ihn mit ihrer Glut und Leidenschaft entzündet, so daß sie ihm ins Blut gegangen war.

      Hannes Beckhaus schrieb nur, daß er Franca geheiratet hatte.

      Grete Vollmers, sowieso verbittert, weil sie keine richtige Familie hatte, sagte nur voller Neid:

      »Da bewahrheitet sich wieder einmal, daß das dumme Sprichwort, das ich nicht leiden kann, stimmt. Aus den Augen – aus dem Sinn. Da hat er eine glutäugige Brasilianerin getroffen, die ihn eingewickelt hat. Da hast du also eine Stiefmutter. Sieht so aus, als würdest du nie ihre Bekanntschaft machen, mein Kleiner. Na, richten wir uns hier ein, so gut es eben geht.«

      Tante Grete löste ihren Haushalt in Lüneburg auf und zog für immer in das hübsche Haus ein, in dem Florian einst mit seinen beiden Eltern so glücklich gewesen war.

      Aber es war ganz merkwürdig – es war alles ganz, ganz anders. Und manchmal erkannte Florian das Haus nicht wieder, obwohl Tante Grete nicht einmal einen Sessel anders gestellt hatte. Sie hatte alles so gelassen, wie es gewesen war. Ihre eigenen Möbel hatte sie zum Teil verkauft oder verschenkt. Und der Rest, von dem sie sich nicht trennen mochte, war irgendwo eingelagert.

      Hannes Beckhaus hatte bei seiner Firma von Brasilien aus gekündigt. Aber er schickte regelmäßig Geld für Florian. Zuerst auch noch dann und wann Briefe, aber die blieben dann auch ganz aus, obwohl Florian sehnsüchtig darauf wartete. Dann mußte sich der Junge sagen, daß Tante Grete recht hatte, wenn sie schonungslos behauptete, daß sein Vater ihn vergessen habe.

      Vor ein paar Monaten war dann der Brief gekommen, der alles mit einem Schlag für Florian verändert hatte. Hannes Beckhaus schrieb voller Stolz und Glück, daß er eine Tochter hatte. Teresa hatte er sie taufen lassen. Und sie war, wie er ausführlich berichtete, das schönste Baby, das er jemals gesehen hatte.

      Von diesem Tag an hatte sich Florian grundlegend verändert. Zuerst hatten seine Leistungen in der Schule schlagartig nachgelassen. Die Lehrerin hatte Tante Grete zu sich bestellt und ein offenes Wort mit ihr gesprochen. Tante Grete hatte alles an Florian weitergereicht, ohne das nötige Mitgefühl zu zeigen. Und dabei wäre Florian doch so unendlich dankbar gewesen, wenn sie ein wenig Verständnis und Wärme hätte zeigen mögen. Aber im Unterbewußtsein spürte der Junge, daß Grete Vollmers dazu nicht in der Lage war. Sie war einfach viel zu verbittert, weil sich nach dem Tod ihres Mannes nie wieder ein Mann gefunden hatte, der sich für sie interessierte.

      Ohne es zu wissen und wahrscheinlich auch ohne es zu wollen, wurde Florian ein willkommener Blitzableiter für Grete Vollmers. Sie nahm Florian nicht einmal verständnisvoll in die Arme und versuchte herauszufinden, was ihn so verändert hatte. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, zum Herzen des einsamen Jungen vorzudringen. Sie schalt mit ihm, hielt ihm vor, daß sich sogar der eigene Vater nicht mehr blicken ließ und eine neue Familie gegründet hatte, in der es keinen Platz für ihn gab, und fragte jedesmal zum Schluß mit weinerlicher Stimme, die dem Jungen schrecklich auf die Nerven ging:

      »Kannst du mir sagen, wie es weitergehen soll? Man kann doch nicht ernsthaft von mir erwarten oder verlangen, daß ich mich ein Leben lang mit dir abmühe? Und wenn dann nichts aus dir geworden ist, gibt man höchstwahrscheinlich sogar auch mir noch die Schuld daran. Ich weiß nicht mehr weiter. Wahrscheinlich bleibt mir nichts anderes übrig, als dich in ein Heim zu geben. Da wird man dir schon zeigen, was man von dir erwartet. Da bricht man deinen Trotz. Da wird man mit noch ganz anderen als dir fertig, mein Junge.«

      Zuerst war Florian entsetzt. In ein Heim! Dabei hatte doch der Vater das Haus selbst gebaut und es mit Mutter zusammen zu einem Heim gemacht. Dieses Haus sollte ein Heim bleiben, sein Heim. Tante Grete hatte doch gar nichts hier zu sagen!

      Vielleicht, wahrscheinlich sogar, wäre es gut und heilsam gewesen, wenn der Junge seinem Kummer und seiner Enttäuschung Luft gemacht hätte. Er hätte wohl auch manchmal die Lust dazu gehabt. Aber er wußte aus Erfahrung, daß man gegen Tante Grete so schnell nicht ankam. Er hatte einmal gehört, wie der Vater zur Mutter, als sie noch lebte, gesagt hatte:

      »Die Grete ist meine einzige Schwester. Früher war sie ganz anders. Aber seit sie ihren Mann verloren hat, ist es ganz schlimm mit ihr geworden. Sie redet ohne Punkt und Komma – und man kann nur etwas von sich geben, wenn sie zwischendurch mal Luft holen muß. Nein, für immer möchte ich sie nicht um mich haben.«

      Was die Mutter darauf erwidert hatte, wußte der Junge nicht mehr. Aber er hörte noch ihr perlendes Lachen und konnte sich denken, daß sie nur getröstet hatte, indem sie sagte:

      »Du mußt ja auch nicht mit ihr leben, sondern mit mir. Und ich bin deine Frau, die dich nicht totredet, höchstens mit ihrer Liebe erdrückt.«

      Ja, daran konnte Florian sich noch gut erinnern. Und dann ging er in sein Zimmer, schloß die Tür hinter sich ab, warf sich auf sein Bett und weinte sich den Kummer von der Seele.

      Aber das half auch nur für eine ganz begrenzte Zeit. Dann war es wieder vorbei, und Tante Grete brauchte nur eine ihrer unfreundlichen Bemerkungen zu machen. Dann war Florian wieder am Boden zerstört und trauerte um das Leben, das nie wieder so sein würde, wie es einmal gewesen war.

      Schlagartig änderten sich seine Leistungen in der Schule wieder. Florian wurde ein Musterschüler, ohne von seinen Klassenkameraden als Streber angesehen zu werden. Er hatte erkannt, daß Lernen ihn zeitweilig wenigstens von seinem Kummer ablenken konnte. Und so lernte er denn eben.

      Die Lehrerin bat Tante Grete abermals in die Schule und wollte wissen, wieso Florian sich so schlagartig zu einem Musterschüler hatte entwickeln können. Sie wollte von Tante Grete wissen, ob sie es Florian auch nicht an der notwendigen Nestwärme fehlen lasse. Und gerade eben diese Frage hatte Tante Grete in helle Empörung versetzt.

      »So eine Unverschämtheit!« hatte sie daheim gescholten. »Erst läßt sie mich kommen, weil du ein schlechter Schüler geworden bist und erwartete wohl von mir, daß ich dich ins Gebet nehme, was ich ja auch getan habe. Und nun sagt sie, es sei beängstigend, daß du ein Musterschüler geworden bist. Ich kann mir nicht helfen, Florian – aber deine Lehrerin scheint wirklich nicht zu wissen, was sie denn nun eigentlich will.«

      Florian hatte ganz still am Tisch in der Küche gesessen und seine warme Milch getrunken und den Zwieback mit Butter und Honig dazu gegessen. Aber er hatte nichts gesagt. Es gab für ihn nichts zu sagen. Er wußte, daß er es Tante Grete niemals recht machen konnte. Instinktiv


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