Sophienlust Bestseller Staffel 1 – Familienroman. Marietta Brem
schön, daß du schon da bist«, rief Adina. Sie brachte eine kleine Kanne und stellte sie auf das Tischchen, das neben dem Sessel stand, in dem ihre Großmutter gesessen hatte. »Soll ich dir auch einen Kaffee machen?«
»Das Kind muß Kaffee aufbrühen, weil deine Frau scheinbar zu erschöpft ist, um sich selbst darum zu kümmern«, bemerkte Vilma Stein gehässig.
»Aber ich mache das doch gern, Großmama«, sagte Adina. »Mutti sieht wirklich müde aus.«
»Wolfgang, ich möchte dich unter vier Augen sprechen«, warf Birgit ein. Sie fühlte, daß sie in die Defensive gedrängt worden war.
»Wie du willst«, erwiderte Wolfgang ziemlich steif.
»Ich war heute mit Großmama wieder in Sophienlust«, erzählte Adina ihrem Vater.
»Wir sprechen nachher darüber, Kleines.« Er strich seiner Tochter flüchtig übers Haar, dann ging er in den Salon. Birgit folgte ihm stumm.
»Ich weiß nicht, wie lange du schon unserem Gespräch zugehört hast«, begann Birgit. Sie stand am Fenster und drehte sich jetzt zu ihm um.
»Lange genug, um zu wissen, daß man so nicht mit einer Frau spricht, die erst vor kurzem operiert worden ist«, entgegnete Wolfgang. »Sag mal, was ist eigentlich in dich gefahren, Birgit? So kenne ich dich gar nicht.«
»Wenn man dich von morgens bis abends tyrannisieren würde, würdest du wahrscheinlich auch einmal die Nerven verlieren. Kaum bist du frühmorgens aus dem Haus, geht es los. Ich werde von deiner Schwiegermutter wie ein Dienstmädchen behandelt. Abends, wenn du zu Hause bist, tut sie dann so, als würde sie auch mir dankbar sein, daß wir sie aufgenommen haben. Dann kann sie nicht genug liebe Worte finden.«
»Meine Schwiegermutter war schon immer schwierig, Birgit, trotzdem meine ich, daß du übertreibst. Du bildest dir wahrscheinlich das alles nur ein. Sie meint es sicher nicht so.«
»Du machst es dir sehr leicht.«
»Birgit, sie ist noch krank.«
»So krank, daß sie fast täglich mit Adina nach Sophienlust fährt.« Birgit lachte gekünstelt auf. »Die gute Frau ist nicht mehr krank, sie spielt dir nur etwas vor. Sie könnte längst wieder in ihrem eigenen Haus leben.«
»Ich soll sie rauswerfen?«
»Das verlange ich nicht von dir, aber du könntest dafür sorgen, daß sie nicht länger als die abgemachten vier Wochen bleibt. Ich halte es nicht mehr aus, Wolfgang.«
»Das kommt auf dasselbe heraus. Ich kann ihr nach diesen vier Wochen nicht einfach die Koffer vor die Tür setzen, zumal ich die Notwendigkeit nicht einsehe.« Der Mann legte seinen Arm um Birgits Schultern. »Vielleicht wächst dir nur alles ein bißchen über den Kopf. Es ist sicher nicht leicht, plötzlich eine Familie zu haben.«
Birgit schüttelte seinen Arm ab. »Mit anderen Worten, deiner Meinung nach bin ich überspannt.«
»Nein, das wollte ich natürlich nicht damit sagen, nur solltest du vielleicht nicht gleich aus einer Mücke einen Elefanten machen. Ich habe mir das Leben mit meiner Schwiegermutter bedeutend schlimmer vorgestellt. Sie ist erstaunlich friedlich, hat sogar ihre Angriffe auf mich aufgegeben. Und Adina tut es gut, daß sie hier ist.«
Was war nur mit Wolfgang geschehen? Birgit verstand nicht, daß er sich jetzt plötzlich auf die Seite seiner Schwiegermutter schlug. Merkte er denn nicht, daß ihm Vilma Stein und auch Adina abends eine Art heile Welt vorspielten?
»Du sagst, es würde Adina guttun, daß sie hier ist.« Sie schüttelte den Kopf. »Adina richtet sich nur noch nach ihr. Sogar ihre krankhafte Eitelkeit ist zurückgekehrt. Sie sieht zu jeder Tageszeit wie ein Modepüppchen aus. Und glaube nur nicht, daß sie jemals tut, was ich ihr sage. Immer sieht sie zuerst ihre Großmutter an, bevor sie einem Wunsch von mir nachkommt.«
»Du bist eifersüchtig auf meine Schwiegermutter.« Wolfgang lächelte. »Aber dazu besteht doch gar kein Grund, Liebling. Adina mag dich, das hat sie mir selbst gesagt.« Er strich ihr über die Wange. Hatte seine Tochter nicht erst vor einigen Minuten Birgit in Schutz genommen?
»Sie wird von deiner Schwiegermutter gegen mich aufgehetzt.«
»Das ist doch Unsinn.« Das Lächeln auf Wolfgangs Gesicht erstarb. »Ich bin heute absichtlich früh nach Hause gekommen, um mit euch ein paar Stunden länger zusammen sein zu können, aber jetzt wünschte ich, ich wäre im Geschäft geblieben. Da habe ich wenigstens meine Ruhe.«
»Warum willst du nicht sehen, was um dich herum vorgeht?« fragte Birgit verzweifelt.
»Ich sehe nur, daß du Anlagen dazu hast, hysterisch zu werden.« Wolfgang wandte sich der Tür zu.
»Wolfgang!« Birgits Augen funkelten.
»Ja!« Er drehte sich um.
»Wenn du schon nicht daran denkst, auf mich Rücksicht zu nehmen, dann denke wenigstens an Adina. Wenn das so weitergeht, wird deine Tochter ein Fall für den Psychotherapeuten.«
»Willst du damit ausdrücken, daß meine Tochter dabei ist, verrückt zu werden!« Wolfgangs Stimme hob sich. »Mir reicht’s jetzt, Birgit. Ich möchte mich zwar nicht mit dir streiten, aber du willst es ja nicht anders. Wenn einer zum Psychotherapeuten sollte, dann bist du es wohl.«
Birgit ließ völlig perplex die Schultern sinken. War das wirklich noch der Mann, der einmal geschworen hatte, sie über alles zu lieben? »Bitte, Wolfgang, ich will doch nur Adinas Bestes«, sagte sie leise.
»Das kommt mir aber nicht so vor«, erwiderte Wolfgang Kayser. »In meinen Augen kannst du es nicht ertragen, wenn sich nicht ständig alles um dich dreht. Aber vergiß bitte nicht, auch du warst damit einverstanden, meine Schwiegermutter vorläufig bei uns aufzunehmen. Und was Adina betrifft, sie ist nun einmal meine Tochter, und ich liebe sie. So tadellos, wie sie sich in letzter Zeit benommen hat, verdient sie es nicht, von dir angegriffen zu werden.«
»Es ist doch alles nur Schau.«
»Das bildest du dir nur ein.« Wolfgang griff zur Türklinke.
»Einer ist zuviel in diesem Haus«, stieß Birgit außer sich hervor. »Aber scheinbar habe ich mich bisher geirrt, es ist nicht deine Schwiegermutter, ich bin es.«
Wolfgang ließ die Klinke wieder los. »Birgit, jetzt komm endlich zur Vernunft.«
»Oh, ich bin sehr vernünftig.« Die junge Frau unterdrückte die aufsteigenden Tränen. »Da es dir völlig gleichgültig zu sein scheint, durch was für eine Hölle ich tagsüber gehe, ist es wohl besser, wenn ich gehe.«
»Das kommt ja einer Erpressung gleich. Ellen hätte sich niemals so benommen.« Wolfgang hatte jetzt endgültig genug. Selten war ihm ein Abend so verdorben worden. Und was hatte er alles vorgehabt.
»Ich bin nun einmal keine Superfrau, wie es Ellen wahrscheinlich gewesen war«, erwiderte Birgit zornig. »Deine Schwiegermutter hält mir ja auch ständig vor, daß ich nur aus Fehlern bestehe. Aber ich denke nicht daran, das weiter mitzumachen. Kein Mensch kann mich zwingen, hierzubleiben.«
Wolfgang riß die Tür auf. »Geh doch, wenn du unbedingt willst, ich halte dich nicht.« Heftig knallte er die Tür hinter sich zu.
Niedergeschlagen ließ sich Birgit aufs Bett fallen. Sie hatte ihren Mann nicht erpressen wollen, auch wenn es vielleicht so geklungen hatte.
*
»Wird Zeit, daß wir endlich wieder mal Ferien haben«, stöhnte Angelika Langenbach. Sie saß im Aufenthaltsraum von Sophienlust und bemühte sich, die Mathematik-Aufgaben, die ihre Lehrerin ihr aufgegeben hatte, zu lösen.
»Man kann doch nicht immer Ferien haben«, sagte Fabian etwas altklug. Er schlug sein Heft zu und verstaute es dann in der Schultasche. »So, ich bin fertig.«
»Und was hast du jetzt vor?« erkundigte sich Henrik. Er war wie gewöhnlich gleich nach dem Mittagessen nach Sophienlust geradelt. »Ich bin mit meinen Aufgaben auch fast fertig. Warte auf mich!«