Der Bergpfarrer Staffel 20 – Heimatroman. Toni Waidacher
Hat sich Ihre Entscheidung als richtig erwiesen?«
Nachdenklich hob Michaela die Schultern. »Einige Zeit hab’ ich’s geglaubt, ja. Aber heute denk’ ich, ’s war ein Trugschluss. In der letzten Zeit ging bei mir alles drunter und drüber, und in der Stadt ist alles so hektisch… Als ich dann wieder nach Pertenried kam, hab’ ich mich gleich daheim gefühlt, und mir wurde klar, wie unwahrscheinlich schön hier alles ist. Die Natur, die Ruhe und der Frieden… Doch, ich hab’ das alles sehr vermisst. Und wenn ich genauer darüber nachdenk’, wünscht’ ich jetzt sogar, damals net fortgegangen zu sein.«
»Ja, wir alle tun Dinge, die wir hinterher bereuen.« Kurz verdunkelte sich seine Miene. »Andererseits: Wären S’ damals net fortgegangen, würden Sie sich heute vermutlich die ganze Zeit über fragen, wie das Leben in der Großstadt wäre. Und ich glaub’, der Gedanke, etwas verpasst zu haben, ist noch schlimmer, als etwas zu tun, was man hinterher bereut.«
Michaela dachte kurz über seine Worte nach, dann nickte sie. »Da haben S’ auch wieder Recht.« Sie lächelte und stellte fest, dass Karsten nicht nur verteufelt gut aussah, sondern auch ein Mann war, mit dem man reden konnte. Bei ihm hatte sie das Gefühl, verstanden zu werden – ein Gefühl, das sie noch bei keinem Mann zuvor gehabt hatte.
»Und Sie?«, fragte sie rasch, um nicht immer nur von sich zu sprechen. »Was gibt es denn über Sie so zu erfahren?«
Er winkte ab. »Ach, ich fürcht’, da muss ich Sie enttäuschen. Im Grunde führe ich ein recht langweiliges Leben. Eigentlich geht’s darin nur um die Arbeit.«
Michaela senkte den Blick. »Da sind wir dann auch gleich beim Thema, net wahr? Schließlich haben wir uns net zum Vergnügen getroffen.«
»Da haben S’ Recht. Leider. Aber sagen S’, wollen Sie Ihre Entscheidung net doch noch einmal überdenken? Ich hab’ mir ja grad ein recht gutes Bild vom Zustand des Hofes machen wollen, und ich…«
»Auf keinen Fall!«, unterbrach Michaela ihn sofort. »Ein Verkauf des Hofes kommt net in Frage.« Sie atmete tief durch. »Jedenfalls net zu Ihren Konditionen«, fügte sie eine Spur leiser hinzu.
»Es tut mir leid, aber ich denke net, dass mein Chef bereit sein wird, mehr für den Hof zu bezahlen. Es…«
»Dann kann er aber auch von mir net erwarten, dass ich auf
sein Angebot eingehe. Es gibt schließlich mehr als genug Interessenten!«
Einen Augenblick herrschte Stille, dann lächelte Karsten. »Entschuldigen S’, aber das entspricht wohl kaum der Wahrheit. Sehen S’, in meiner Branche ist es ungeheuer wichtig, sich zu informieren. Das habe ich auch getan, und daher weiß ich, dass es derzeit keinen weiteren Kaufinteressenten gibt. Und ehrlich gesagt, verstehe ich auch net, warum S’ sich sosehr für den Hof einsetzen. Ich mein’, Sie leben doch ohnehin net mehr hier. Wenn die Sache erledigt ist, werden S’ zurück in die Stadt gehen und dort Ihr Leben weiterleben. Wenn ich Ihnen einen guten Rat geben darf, sollten S’ vorher zusehen, dass Sie den Hof verkauft kriegen, damit Ihre Eltern sich einen recht schönen Lebensabend von dem Erlös machen können. Was bringt es denn…«
»Ach, Sie!«, fuhr Michaela ihn an. »Sie haben doch überhaupt keine Ahnung vom Leben! Ihr Geschäftsleute seid doch alle gleich. Euch geht’s nur ums Geld. Aber es gibt Dinge im Leben, die wichtiger sind als Geld, wissen S’? Der Hof ist das Lebenswerk meines Vaters, es würde ihm das Herz brechen, das alles zu verkaufen, auch wenn er selbst weiß, dass es wahrscheinlich net anders geht. Aber ich bin mir da noch net so sicher. Vielleicht gibt es ja doch einen Weg, das Lebenswerk meines Vaters zu erhalten. Und sollten wir doch verkaufen müssen, dann ganz sicher net für einen
Apfel und ein Ei! Und jetzt entschuldigen S’ mich bitte, ich muss zurück zum Hof. Es gibt noch viel zu tun.«
Brüsk wandte sie sich ab und wollte gerade davonstapfen, als Karsten sie zurückhielt. Sachte schloss sich seine Hand um ihren rechten Arm. »So warten S’ doch«, sagte er, »ich wollt’ Sie net verärgern.«
Sie drehte sich wieder zu ihm um. »Das fällt Ihnen aber reichlich spät ein«, sagte sie bissig.
»Hören S’«, er atmete tief durch, »ich seh’ ja ein, dass ich mich danebenbenommen hab’. Wie ich seh, bedeutet Ihnen der Hof sehr viel. Ich hätt’ net einfach so daherreden sollen. Das war ein Fehler. Und deshalb möcht’ ich mich gern bei Ihnen entschuldigen. Mit einem Abendessen.«
»Einem Abendessen?« Michaela riss die Augen auf. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Er nickte. »Ich wohne ja derzeit unten im Dorf in einer kleinen Pension, und ich hab’ gesehen, dass ’s auf der Straße ein hübsches kleines Restaurant gibt. Nichts Besonderes, aber es sah recht nett aus. Nun, was meinen S’?«
»Ehrlich gesagt, wüsst’ ich net, warum ich mit Ihnen in ein Restaurant gehen sollte.«
»Wie schon gesagt: Ich würd’ mich mit dieser kleinen Geste gern bei Ihnen entschuldigen. Und es wäre mir eine große Freude, wenn Sie diese Entschuldigung annehmen würden.«
Michaelas Gedanken rasten. Sie wusste, eigentlich wäre es das Beste, was sie machen konnte, die Einladung auszuschlagen. Dieser Mann wollte sie doch bloß weichklopfen. Er wollte, dass sie einem Verkauf zustimmte, und zwar zu den Konditionen seines Arbeitgebers.
Und das war Grund genug, sich nicht weiter mit ihm abzugeben.
Andererseits fühlte sie sich aber auch so unglaublich wohl in seiner Nähe. Er gab ihr ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
Und er war unglaublich attraktiv.
»Also schön«, sagte sie und fragte sich zugleich, ob sie gerade wirklich dabei war, diese Worte auszusprechen, »ich nehme Ihre Einladung an.«
*
»Du gehst noch weg?«, fragte die Bender-Rosi erstaunt, als ihre Tochter am Abend Anstalten machte, das Haus zu verlassen.
Michaela nickte. »Ja, ich hab’ noch eine Verabredung«, sagte sie und bereute ihre Worte auch schon wieder, kaum, dass sie sie ausgesprochen hatte.
»Eine Verabredung?«, hakte ihre Mutter erstaunt nach. »Aber mit wem denn?«
»Ach, nur mit jemandem aus dem Ort, den ich noch von früher kenne. Wir wollen ein bisserl über alte Zeiten plaudern. So, ich muss jetzt aber auch wirklich los.«
Beinahe fluchtartig verließ sie das Haus. Dabei dachte sie darüber nach, warum sie ihrer Mutter nicht die Wahrheit gesagt hatte, aber das lag ja eigentlich auf der Hand. Welchen Eindruck würde es schließlich machen, wenn ihre Mutter hörte, dass ihre Tochter eine Verabredung mit dem Mann hatte, der dem Vater den Hof abluchsen wollte?
Nein. Michaela schüttelte den Kopf. Das brauchte ihre Mutter wirklich nicht zu wissen.
Draußen stieg sie in ihren Wagen und fuhr hinunter zum Dorf. Karsten hätte sie auch abgeholt, aber Michaela hatte darauf bestanden, sich vor dem Lokal zu treffen. Und zwar aus genau den Gründen, über die sie eben nachgedacht hatte.
Die Fahrt dauerte nicht lange, bis zum Ort war es ja nur ein Katzensprung. Doch die ganze Zeit über fragte Michaela sich, ob es wirklich eine gute Idee gewesen war, Karstens Einladung anzunehmen.
Wahrscheinlich nicht, sagte sie sich nachdenklich. Aber jetzt ist es nicht mehr zu ändern.
Sie erreichte das Restaurant und stoppte den Wagen auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Als sie auf das Restaurant zuging, erblickte sie Karsten, der bereits vor der Tür wartete.
Er lächelte. »Das freut mich aber wirklich, dass Sie gekommen sind. Einen Tisch hab’ ich für uns bereits reserviert. Auf der Terrasse, wenn’s Ihnen recht ist. Der Abend ist ja sehr angenehm.«
»Gern.« Michaela nickte, und gemeinsam betraten sie das Restaurant. Der Kellner führte sie zu ihrem Tisch hinaus auf die Terrasse, erkundigte sich nach ihren Getränkewünschen und überreichte ihnen die Speisekarten.
Während sie die Karte studierte, atmete Michaela