Slumlords. Alexander Broicher

Slumlords - Alexander Broicher


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meines weißen Pulvers. »Ich rede von einer Apartment-Nutte.«

      Erstaunlich. Denn es war wohl der größte Vertrauensbeweis, zu dem dieser Oberschichten-Sohn in der Lage war, dass er mit einem Ghettokind wie mir solche standesunüblichen Nummern durchzog. »Du bist selbstverständlich eingeladen«, fügte Harro hinzu. Ich sah auf mein Business-Handy. Mein nächster Termin wollte mich erst in gut einer Stunde treffen, insofern hatte ich noch genug Zeit, um vorher auf fremde Kosten ein Luxus-Callgirl zu vögeln.

      »Dann geht die Rechnung hier auf mich.«

      Wir stießen mit unseren Gläsern darauf an.

      In der opulenten Altbauwohnung wurden uns von einer Madame sechs Mädchen vorgeführt, keine älter als fünfundzwanzig. Ich entschied mich für die langbeinige Indonesierin, denn sie war die hübscheste von allen. Harro nahm sich eine Blondine, die zwar billig aussah, aber das Preisschild auf ihrem knackigen Hintern belief sich auf 500 Euro die Stunde. Trotz seiner eleganten Gattin zog es Harro manchmal zu den Vorstadtnutten hin, neben denen ich aufgewachsen war: zu Prollmädchen mit Fingernägeln aus dem Nailstudio, primitiver Ausstrahlung, pudrigem Parfüm, rosa Lackstiefeln, Solarium-Bräune und aufgedonnerten Titten. Ich vermutete, dass er hier genau das Gegenteil von dem bekam, was es Zuhause gab. Seine Frau war so eine blasierte Tochter mit kühler Ausstrahlung aus gutem Hause, der man anmerkte, dass sich ihre Familie seit Generationen nicht mit der Arbeiterklasse vermehrt hatte, sondern es nur mit reichen Geschäftsleuten trieb. »Adelsinzest« nannte ich das immer, aber das behielt ich für mich, denn das hörten die Herrschaften nicht so gerne. Zudem stammte ich aus einer Hochhaussiedlung, und mir wäre die Bemerkung als purer Sozialneid ausgelegt worden, und das wäre schlecht fürs Geschäft.

      Meine für die nächste Stunde gekaufte Lady stammte aus Djakarta und wirkte wie eine Dame aus der dortigen Upper Class. Sie hatte grazile Gesichtszüge, eine sanfte Stimme und eine Pussy, die nach Pfirsich aus dem Delikatessenladen schmeckte. Daher hielt ich mich länger als üblich mit meinem Kopf zwischen den Beinen einer Frau auf. Anschließend nahm ich sie noch zwanzig Minuten durch, bevor ich mich wieder um meine Firma kümmern musste.

      Erst im Auto bemerkte ich, dass mein T-Shirt nach der Lotion roch, mit der die Apartment-Nutte eingecremt war. Mein ganzer Oberkörper muffelte nach irgendeiner exotischen Frucht und getrocknetem Schweiß, aber wenigstens hatte mein Sakko nichts abbekommen. Ich zog es während der Fahrt aus, denn ich musste zu einer Kanzlei ins Westend. Der Anwalt brauchte drei Gramm, aber mit der strengen Duftwolke konnte ich dort nicht liefern. Besser, wenn ich vorher duschte und die Klamotten wechselte. Dann klingelte mein Privat-Handy. Es war mein Vater. Ich ging ran.

      »Hast du schon die Nachrichten gehört?«, fragte er.

      »Nein«, antwortete ich knapp. »Bombardieren die Russen den Reichstag in Berlin?«

      »So ähnlich. Hier bei uns brennt es mal wieder.«

      »Bei euch Zuhause?«, erschrak ich.

      »Nicht in der Wohnung, aber unten überall. Die Müllcontainer sind angezündet worden, mehrere Autos haben die Chaoten abgefackelt und einigen Sperrmüll dazu.«

      Meine Eltern wohnten draußen in Griesheim, der Bronx von Frankfurt. Ein paar Jahre war es da ruhiger, aber mittlerweile fuhr selbst ich da nur noch hin, wenn es unbedingt sein musste. »Ist die Polizei schon vor Ort?«, fragte ich.

      »Nicht, dass ich wüsste. Aber das Fernsehen ist da«, bemerkte mein Vater unaufgeregt. Er hatte von seinem Balkon im sechsten Stock einen Tribünenplatz, wenn die Randale losgingen. Meistens prügelten sich Jugend-Gangs und demolierten, was gerade so im Wege stand.

      »Ich bin gerade bei der Arbeit«, erzählte ich die Wahrheit. »Geht bitte nicht raus, ich komme später zu euch. Braucht ihr was?«

      Mein Vater überlegte nicht lange. »Whisky wär schön.«

      Zuhause warf ich das Shirt in die Wäsche und duschte mich kurz ab. Mit dem Handy am Ohr lief ich barfuß über den Pitch Pine-Boden und erklärte der Sekretärin des Anwalts, dass ich mich um eine Viertelstunde verspäten würde. Im Wohnzimmer nahm ich mir eine Zigarette von dem flachen Glastisch. Zum Rauchen stellte ich mich ans halboffene Fenster. Ich blickte aufs beschauliche Sachsenhausen. Asoziale wie am Frankfurter Berg gammelten hier nicht herum. Es war vor allem unauffällig, was für mich entscheidend war. Ich wollte eine smarte Bude in einer ruhigen Gegend und kein Angeber-Penthouse mit Designereinrichtung, bei der sich jeder fragen würde, womit ich mein Geld verdiente.

      Ich lenkte meinen wuchtigen SUV vorsichtig durch die engen Einbahnstraßen entlang der schnieken Stadthäuser. Anfang der Siebziger Jahre lieferten sich hier wütende Studenten dauernd Schlachten mit der Polizei. Davon war im Westend schon lange nichts mehr zu spüren. Die ehemaligen Steineschmeißer wohnten jetzt hier und waren genau die langweiligen Schnösel geworden, die sie seinerzeit bekämpft hatten. Mein Kunde gehörte nicht zu dieser Generation. Dennis war in den Achtzigern großgeworden, mit Lifestyle statt mit politischen Parolen, mit Yuppies statt mit Hippies, und statt LSD mit Geld als bewusstseinserweiternder Droge. Als ich seine Kanzlei betrat, führte auch ich Rocks bei mir, jedoch kleingehackt und zum Verzehr geeignet. Ich drückte ihm in seinem Büro drei G davon in die Hand, er gab mir zwei Hunderter dafür.

      »Alles gut?«, fragte er.

      »Muss«, antwortete ich. Er nickte. Mehr Zeit hatte der Fachanwalt für internationales Steuerrecht nicht für mich.

      Je mehr ich stadtauswärts auf die tristen Hochhäuser zufuhr, desto stärker zog sich mein Magen zusammen. Ich parkte meinen schwarzen Koloss einen Kilometer entfernt von der Siedlung einfach auf der Tankstelle, bei der ich für meine Mutter einen in Cellophan gewickelten Blumenstrauß kaufte. Für meinen Vater besorgte ich dort eine Flasche Whisky. Für ihn war Bourbon die Krone der Schöpfung, am liebsten mit ordentlich viel Cola gepantscht. Ich wünschte ihm, dass es gegen die chronischen Rückenschmerzen half, wegen denen er frühverrentet wurde.

      Ich griff die Whiskyflasche am Hals, so dass ich notfalls damit zuschlagen konnte, falls mich irgendwelche Penner ausrauben wollten. Konnte hier schnell mal passieren. Aufgrund der Asis hier ging meine Mutter nur früh zum Supermarkt, weil die arbeitslosen Wichser da noch schliefen. Deren jugendliche Kids auch, sonst machte es ja keinen Spaß, die Schule zu schwänzen. Jedenfalls war es immer mein Hauptgrund, warum ich damals nicht zum Unterricht erschien. Weil ich auspennen wollte.

      Es war seltsam leise im Ghetto, nur die Luft stank nach dem verbrannten Plastik der Müllcontainer. Bei einigen Autos waren die Scheiben eingeschlagen, aufgerissene Säcke mit Altkleidern lagen in den Sträuchern, zwei versiffte Sofas versperrten mir den Bürgersteig, so dass ich über ein Stück Rasen ausweichen musste. Alles ganz normal hier. Dann hörte ich fette Hip Hop-Bässe und aggressiven Rap, den jemand laut bei offenem Fenster aufdrehte, damit alle was davon hatten. Das brachte den kleinen Köter zum Kläffen, den ein älterer Mann an der Leine ausführte. Und da der Terrier nicht versuchte, mir an die Gurgel zu springen, erreichte ich ungefährdet den 19-stöckigen Betonsilo, in dem die Familie seit 1979 wohnte. Er war seitdem nicht schöner geworden.

      Es duftete appetitlich nach Kuchen, der im Ofen aufgewärmt wird, als ich die Wohnung betrat. Mein Vater nahm mich in Empfang, da er meiner Mutter untersagte, die Tür zu öffnen. Aus Sicherheitsgründen. Hinter mir wurde sofort mit drei schweren Riegeln wieder dicht gemacht. Solche Maßnahmen waren hier schon in den Achtziger Jahren normal. Trotz der Schlösser wirkte meine Mutter blass im Gesicht. Ich drückte sie und überreichte ihr die Blumen. »Alles okay bei dir?«

      Sie winkte zu eilig ab. Um mich nicht zu beunruhigen. Das deutlichste Zeichen, dass was faul war. »Mach dir keine Sorgen«, spielte sie es runter. Worauf ich begann, mir Sorgen zu machen.

      Mein Vater hatte nur Augen für die Whiskyflasche. Er musterte sie wie edlen Bernstein. Schraubte sie auf und schnüffelte am offenen Hals. Dann sah er mich dankbar an. »Diesen guten Geschmack hat dir bestimmt eine Frau beigebracht, oder?«, mutmaßte er.

      »Wie du weißt, habe ich beruflich mit Alkohol zu tun«, erinnerte ich ihn an meine offizielle berufliche Existenz als Teilhaber einer Cocktailbar.

      »Hast du denn eine Freundin?« Mein Vater erkundigte sich vordergründig


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