Vom Imperiengeschäft. Berthold Seliger

Vom Imperiengeschäft - Berthold Seliger


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längst durch Ticketing und Sponsoring gemacht werden. Live Nation ist der Weltmarktführer nicht nur im Konzertgeschäft, sondern auch beim Verkauf von Eintrittskarten.

      Noch höhere Gewinne als beim Ticketing werden im Bereich »Sponsoring & Advertising« gemacht, insbesondere, wenn man die Erlöse ins Verhältnis zum Umsatz in dieser Unternehmenssparte setzt: Eine Bruttogewinn-Marge von 56,50 Prozent ist einigermaßen sensationell. Was aber bedeutet »Sponsoring & Advertising«? Da geht es längst nicht mehr um das gute alte Tour-Sponsoring. Nein, hier ist eine ganze Abteilung von Marketingprofis damit beschäftigt, exklusive Vorverkaufsrechte an andere Konzerne zu verkaufen. Es geht um die »Exclusive Presales«, eine Art von Vor-Vorverkauf: Ein Konzern wie die Deutsche Telekom AG erhält das Recht, bereits vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden vor Beginn des eigentlichen Vorverkaufs einen exklusiven Vor-Vorverkauf einzurichten. In der Regel verkauft der Konzern, der sich den Vor-Vorverkauf für hohe Beträge gesichert hat, die exklusiven Presales-Tickets ausschließlich an seine eigenen Kunden oder zumindest an Kunden, die sich auf der konzerneigenen Plattform registriert haben, über deren Daten der Konzern also verfügt. Telekom-Kund*innen konnten sich so zum Beispiel achtundvierzig Stunden vor Beginn des »offiziellen« Vorverkaufs für das Deutschland-exklusive Konzert des US-Rap­stars Eminem 2018 ihre Eintrittskarten sichern. Laut Aussage des Veranstalters, Live Nation-Deutschland-Chef Marek Lieberberg, durfte die Telekom »bis zu 50 Prozent der Ti­ckets verkaufen«, während »mindestens 50 Prozent in den offiziellen Vorverkauf zu den Anbietern Eventim und Ti­cketmaster« gingen.10 Ein Telekom-Sprecher erklärte das Modell des exklusiven Vor-Vorverkaufs so: »Wir haben eine strategische Partnerschaft mit dem Veranstalter Live Nation. Dadurch können wir Prio-Tickets für unsere Kunden anbieten.«11 Im Fall des Eminem-Konzerts in Hannover im Sommer 2018 bedeutete dies, daß die Telekom-Kun­d*innen über die Telekom-App »Megadeal« bis zu vier Tickets erwerben konnten. Der Preis: zwischen 93,90 und 122,65 Euro pro Karte. Der »Rohpreis« der Karten betrug in drei Kategorien 75,90 beziehungsweise 100 Euro, die Telekom schlägt also die üblichen Vorverkaufs- und Zusatzgebühren drauf oder, was wahrscheinlicher ist, übernimmt die Preise der Ticketingkonzerne, denn diese wickeln auch den kompletten Vorverkauf für die Telekom ab. Wofür die Telekom mit ihren »Magenta Music Prio Tickets« bezahlt, ist lediglich das exklusive Vor-Vorverkaufsrecht. Live Nation verkauft also für Millionen Euros »Zeitfenster« von vierundzwanzig oder achtundvierzig Stunden an »Branding-Part­ner« (und dieses Geld bezahlen letztlich die Kund*in­nen dieser Branding-Firmen). Der Konzertveranstalter gibt sozusagen die Attraktivität der Tickets von Stars wie Eminem & Co. an die Branding-Partner ab. Diese Firmen wiederum, die sich die exklusiven Presale-Rechte gesichert haben, versprechen sich davon einen Imagetransfer der coolen Superstars auf ihre Produkte und nutzen das Presale-Tool natürlich für die Neukundengewinnung. Und die Firmen freuen sich über die frei Haus gelieferten Nutzerdaten.

      Was ein Konzern wie die Deutsche Telekom AG mit den Nutzerdaten anstellt, zeigte eine Recherche des Spiegel Anfang 2019.12 Es kam heraus, daß »die Telekom Mobilfunkdaten auswertet, um Bewegungsprofile zu erstellen«. Motionlogic heißt die Telekom-Tochter, die mit riesigen Datenmengen hantiert und »mit ihren Erkenntnissen die Werbebranche, Verkehrsbetriebe, Planer und Händler beliefert«. Ein Marketingmanager bei T-Systems wird mit den Worten zitiert, daß man »in Stadtzentren bis auf eine Fläche von 250 mal 250 Metern genau messen kann, wo Menschen sich aufhalten«. Und entsprechend wirbt Motionlogic damit, »daß sich sogar Erfolge einzelner Plakatkampagnen erfassen« lassen, weil man »durch Passantenanalysen genau fest­stellen kann, wie lange Menschen in der Nähe eines Plakats stehen geblieben seien – und welcher Gruppe diese Menschen angehörten«. Dies wird natürlich erst deswegen möglich, weil »die Telekom zudem auf Daten aus den Verträgen ihrer Kunden zurückgreift« wie das (gerundete) Alter, das Geschlecht und die ersten vier Stellen der Postleitzahl ihres Wohnsitzes. Und: Nach derzeit bestehendem Gesetz und den Telekom-Nutzungsbedingungen müssen die 40 Millio­nen Telekom-Kunden der Datennutzung (ich würde sagen: dem Datenmißbrauch und dem Verstoß gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung) nicht einmal zustimmen. Die Kunden wissen sowieso nichts davon, wie die Telekom mit ihren Nutzerdaten dealt. Es handelt sich um ein weltweit explodierendes Geschäft mit extrem hohen Profitraten, weswegen man auf den Anzeigen des deutschen Live Nation-Konzerns mittlerweile ständig die Angabe von »Magenta Musik Prio Tickets« und deren Website findet, ob für die einschlägigen Tourneen oder sogar für die Großfes­tivals »Wireless Germany«, »Rock am Ring« und »Rock am Park«.

      Natürlich hat CTS Eventim unlängst nachgezogen und eine eigene Abteilung namens »Eventim Brand Connect« ins Leben gerufen, die sich um Unternehmenskunden kümmert, die sich für Marketing- und Sponsoring-Maßnahmen im Livebereich interessieren. Mit der neuen Geschäftseinheit bietet CTS Eventim »Kampagnenmöglichkeiten entlang der gesamten Fan Connection«.13 Denn »Marketingpartnerschaf­ten« sind für CTS Eventim »ein strategisches Wachstumsfeld«, wie Frithjof Pils, der Geschäftsführer der neuen Abteilung und auch Geschäftsführer der Medusa Music Group, erklärte: »Wir verfügen über wesentliche Assets und Kompetenzen, um Werbepartnern einen erheblichen Mehrwert für ihre Kampagnen zu bieten.« Eventim Brand Connect biete dazu »eine in Europa einzigartige Reichweite und Internationalität« mit Zugang zu rund 3000 Veranstaltungen von mehr als 20 Promotern in zehn Ländern mit Besucherzahlen von mehr als zehn Millionen Menschen pro Jahr.14 Und Pils verweist auf einen anderen Vorteil eines Konzert- und Ticketkonzerns: »Bei uns kauft der Kunde in der Regel 150 Tage vorher. Wir können ihn also ein halbes Jahr lang begleiten«. Heißt: mit Werbung eindecken und seine Daten absaugen.15 Und für den Aufbau des neuen Unternehmensbereichs Marketing, Partnerships und Sponsorship hat CTS Eventim Anfang 2017 einen ausgewiesenen Experten an Land gezogen: Simon Lewis. Er war zuvor Präsident von ...? Genau: Live Nation Europe.

      Grundsätzlich sieht es bei der CTS Eventim AG nicht anders als bei Live Nation aus. Man operiert nur auf etwas niedrigerem Level. Der drittgrößte Konzertveranstalter und zweitgrößte Tickethändler der Welt verzeichnete 2017 erstmals in der Firmengeschichte Einnahmen von mehr als einer Milliarde Euro und konnte den Umsatz im Jahr 2018 nochmals um mehr als 20 Prozent auf 1,242 Milliarden Euro16 steigern. Das Betriebsergebnis (das normalisierte EBITDA)17 lag 2017 bei 204,7 und 2018 bei 231,1 Millionen Euro (eine Steigerung von 12,9 Prozent). CTS Eventim ist in gewisser Weise und rein wirtschaftlich gesehen ein sehr deutsches Gegenmodell zu Live Nation: Man schreibt bevorzugt schwarze Zahlen; die Zukäufe werden nicht durch gigantische Verluste finanziert wie bei Live Nation, sondern eher seriös; und das Wachstum des Konzerns schreitet deswegen langsamer voran. Doch im übrigen ist das Prinzip ähnlich: Man setzt auf das Betreiben von Konzertarenen (die Lanxess Arena in Köln, die Berliner Waldbühne und die Arena Berlin, Eventim Apollo in London, K. B. Hallen in Kopenhagen) und den Zukauf von nationalen Tourneeveranstaltern in ganz Europa sowie auf Festivals.

      In Großbritannien wurde heftig kritisiert, daß Live Nation mehr als 25 Prozent aller dortigen Festivals mit mehr als 5000 Zuschauern dominiert. Darüber kann die deutsche Konzertbranche nur müde lächeln: In Deutschland kontrollieren CTS Eventim-Firmen heute gut zwei Drittel der großen Rock- und Pop-Festivals. Und vor allem verdient CTS Eventim am Ticketing: Während der Konzertbereich des Konzerns 2017 bei einem Umsatz von 626,7 Millionen Euro nur 25,5 Millionen Euro Gewinn (normalisiertes EBITDA) machte (und 2018 bei einem Umsatz von 812,5 Mio. Euro nur 35,3 Mio. Gewinn), lag der Erlös im Ticketing-Bereich 2017 bei einem Umsatz von 418,4 Millionen Euro bei 178,6 Millionen und 2018 bei einem Umsatz von 447,1 Millionen Euro bei 195,8 Millionen (jeweils EBITDA).

Schaubild

Schaubild

      Die EBITDA-Marge des CTS-Konzertgeschäfts liegt derzeit bei etwas über 4 Prozent (mit dem tiefsten Wert seit 2005, nämlich 4,2 Prozent, in 2017 und dem zweittiefsten Wert in 2018: 4,4 Prozent; 2010 lag der Wert noch bei 8,0 Prozent, 2012 bei 9,3 Prozent, 2013 bei 8,7 Prozent), während die EBITDA-Marge im Ticketing bei CTS seit fünf Jahren bei über 40 Prozent liegt, mit kontinuierlich steigender Tendenz (mit dem höchsten Wert im Jahr 2018: 43,8 Prozent).

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