Vom Imperiengeschäft. Berthold Seliger

Vom Imperiengeschäft - Berthold Seliger


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einzigen meiner Klienten, der keine Multiples verwendet«, läßt sich der Ticketmaster-Mitarbeiter vernehmen. »Klar, man muß das so machen, wenn der Kauf von Tickets auf sechs oder acht begrenzt ist – vom Weiterverkauf von acht Tickets kann man schließlich nicht leben.«29

      Natürlich haben die Ticketingkonzerne kein Interesse daran, daß Fans auf der Ursprungsplattform feststellen, daß es für ein Konzert keine Tickets mehr gibt, woraufhin sie dann direkt zu unkontrollierten Zweitmarkts-Anbietern wie Viagogo oder Stubhub wechseln. Ein Interesse haben sie vielmehr an der direkten Verschränkung ihrer eigenen Primary und Secondary Platformen. Offizielle Statements der Ticketkonzerne, daß sie den Zweitmarkt bekämpfen würden, dürfen also getrost als Lippenbekenntnisse gewertet werden.

      Allerdings geraten auch die Ticketingkonzerne unter öffentlichen Druck, und so hat Ticketmaster, der weltgrößte Tickethändler, im Sommer 2018 bekanntgegeben, daß die beiden konzerneigenen Zweitmarkts-Plattformen Seatwave und Get Me In geschlossen werden. »Wir haben euch gehört und können gut verstehen, daß Wiederverkaufs-Plattformen nicht mehr der richtige Weg sind. Und vor allem verstehen wir, daß ihr keine Lust mehr darauf habt, daß euch heißbegehrte Tickets vor der Nase weggeschnappt werden, um an anderer Stelle gewinnbringend weiterverkauft zu werden«, läßt sich Ticketmaster vernehmen.30 Stattdessen will Ti­cketmaster einen »Marktplatz für Tickets, von Fan zu Fan« eröffnen, auf dem Fans ihre Tickets »ganz einfach kaufen oder verkaufen« können, »und zwar zum Originalpreis oder günstiger«. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Buchs ist ein derartiger Marktplatz bei Ticketmaster in Deutschland allerdings noch nicht am Start, wohl aber bereits in Großbritannien. Wenn man bei Ticketmaster UK zum Beispiel Tickets für das Konzert von Mariah Carey in der Londoner Royal Albert Hall im Mai 2019 erwerben wollte, ploppte gleich beim ersten Klick auf das »Event« die Meldung auf: »More Ticket Choices: Resale Tickets are available for this event.« Und diese Tickets werden demzufolge von Fans »zum Originalpreis oder weniger« angeboten.

      Ticketmaster reagiert damit eindeutig flexibler auf Fans und auf öffentliche Kritik als der deutsche Ticketing-Gigant CTS Eventim. Letztlich hat Ticketmaster die erste und die zweite Ticketing-Plattform zusammengelegt. Und dahinter steht wohl eine zukunftsgewandte Strategie: Die Fans, die die Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitmarkt sowieso nicht verstehen, wollen heute alles auf einer Plattform erledigen. Der alle Gesetze des Handels umstülpenden Onlinehändler Amazon hat es vorgemacht. Sucht man einen Artikel bei Amazon, finden sich direkt neben dem offiziellen Angebot weitere Angebote von kleineren Händlern oder privaten Anbietern. Für Amazon gilt: Wenn es diese Konkurrenz schon nicht ausschalten kann, will es wenigstens mitverdienen. Längst sind die Konsument*innen durch Amazon konditioniert. Sie wollen derartige Angebote auch in allen anderen Bereichen, also auch beim Ticketing. Das gilt übrigens auch für ein generöses und unkompliziertes Rückgaberecht, das Ticketmaster bereits für 72 Stunden anbietet (das von den Käufer*innen von Eintrittskarten praktisch kaum genutzt wird, aber eben »kundenfreundlich« daherkommt).

      Aus der Malaise gibt es, so weit ich sehe, nur einen pragmatischen Ausweg – zumindest solange wir im System des kapitalistischen Realismus leben und Kultur als Ware verkauft wird: die Rückbesinnung auf Instrumente des Ordo­liberalismus, also einer sozialen Ausrichtung und regulatorischen Beschränkung des sogenannten freien Markts, mit einem funktionsfähigen Preissystem und der Verhinderung von Monopolen, Kartellen und anderen Formen der Marktbeherrschung. Daß man nach Instrumenten des Ordoliberalismus ruft in dem Wissen, daß diese schon eine Verbesserung der Realität bedeuten, beschreibt recht deutlich den Zustand unserer Gesellschaft, das »durchaus Scheißige« (Goethe) der Welt, in der wir leben.

       In unserem konkreten Beispiel würden bereits simple Formen von Verbraucherschutz weiterhelfen: Ticketingfirmen sollte es nicht erlaubt sein, mehr als einen bestimmten Prozentsatz auf den ursprünglichen Ticketpreis aufzuschlagen – ich denke an zehn Prozent (also an die Höhe der bereits bestehenden Vorverkaufsgebühr). Zusätzliche Gebühren sollten grundsätzlich verboten werden, und nur der aufgedruckte Ticketpreis sollte beim Kauf bezahlt werden müssen. Außerdem sollte der Ticketzweitmarkt gesetzlich reguliert werden, indem er nur noch von denjenigen selbst betrieben werden darf, die die Original-Tickets verkaufen. 31 Hier sollten nur Preisaufschläge von maximal weiteren zehn Prozent auf den aufgedruckten Preis erlaubt sein. Ähnliche Regulierungen gibt es bereits in Ländern wie Frankreich, England, Belgien und natürlich im Musterland des Verbraucherschutzes, den USA, wo derartige Gesetze Verbraucher*innen in die Lage versetzen, die Ticketingfirmen bei Verstößen zu verklagen. So hat etwa ein US-Konzertgänger eine Sammelklage gegen Ticketmaster und Live Nation wegen »ungesetzlicher und unfairer Geschäftspraktiken« beim kalifornischen Bundesgericht eingereicht. 32

       Darüber hinaus sollten Konzerthäuser und Veranstaltungsorte, die sich in der öffentlichen Hand befinden oder die nennenswerte Subventionen erhalten, grundsätzlich ver­pflichtet werden, eine nicht-kommerzielle Ticketing-Platt­form zu nutzen. Es ist nicht einzusehen, daß sich Konzert- und Opernhäuser der Ticketing-Plattformen kommerzieller Anbieter bedienen und damit den Ticketing-Konzernen zusätzliche Profite und weitere Kundendaten verschaffen. Sinn­voll wäre es, eine öffentliche, nicht-kommerzielle Ti­ cketing-Plattform zu installieren, auf der diese Eintrittskarten mit einer geringen Gebühr von zum Beispiel 1 Euro, aber ohne weitere Aufschläge angeboten werden. Die Nutzung eines derartigen öffentlichen »Kultur-Ticket-Portals« könnte und sollte auch soziokulturellen Zentren und Clubs zur Verfügung gestellt werden, damit möglichst vielen Konzertbesucher*innen die Eintrittskarten kostengünstig und ohne die Raubrittermethoden der Ticket-Kraken angeboten werden können.

      Doch es gibt auch noch andere Trends im Ticketing, neben »Secondary Platforms« und »Dynamic Pricing«. Etwas ganz Besonderes hat sich die Country-Pop-Sängerin Taylor Swift in Zusammenarbeit mit Ticketmaster ausgedacht: ein sogenanntes »Boost«-System unter dem Namen »Verified Fan«. Swift hat eine virtuelle Schlange am virtuellen Ticketschalter kreiert, und die Fans können durch Einkäufe von Taylor-Swift-Merchandise-Produkten ihren Platz in der Schlange verbessern. Zunächst müssen die Fans ihre Mobil-Tele­fon­nummer preisgeben – Big Data eben. Und dann sollen die Fans »Boosts« sammeln, eine Art Fleißpunkte, die sie allerdings zum Teil teuer bezahlen müssen. Manche Fleißaufgaben sind noch einfach: »Schau dir das neue Taylor Swift-Video an!«, »Fotografiere und poste einen UPS-Truck mit Taylor-Swift-Aufdruck!«, oder »Melde dich beim Newsletter an«. Um in der Warteschlange für das begehrte Ticket nicht abzurutschen, wird den Fans empfohlen, derartige Tätigkeiten möglichst täglich durchzuführen. Aber so richtig bringen die kostenlosen Fleißarbeiten nichts. Um vordere Plätze in der virtuellen Schlange zu erreichen, müssen Aufgaben erfüllt werden, die mit »High Boost« gekennzeichnet sind. Und die kosten: Man kann das neue Album vorbestellen. Und eben Merchandising-Produkte ordern, etwa einen Schlangenring aus angeblich 24-karätigem Gold für 60 Dol­lar, oder ein T-Shirt für sage und schreibe 45 Dollar.33 Wobei mit all diesen Käufen nicht einmal ein Ticket garantiert ist, sondern lediglich ein Platz weit vorne in der Warteschlange. Und lediglich als ein »verifizierter Fan« kann man überhaupt ein Ticket für ein Taylor-Swift-Konzert erwerben. Die Fans werden von ihrem Idol nicht nur zur Kasse gebeten, sondern geradezu über den Tisch gezogen.

      Das Perfide im Fall Taylor Swift: Die meisten Stadien waren wenige Wochen vor den Auftritten nicht einmal ausverkauft, da die Künstlerin und ihr Management eben das Konzept des »High Pricing« bevorzugen. Der »freie Markt« wird ad absurdum geführt. Aber die Künstlerin hat dank des Verkaufs ihrer Merchandising-Produkte trotzdem prächtig verdient.

      Daß Taylor Swift ihre Fans nicht nur als willige Opfer betrachtet, sondern geradezu als Feinde, zeigt die von ihr gewählte Rasterfahndung im Konzert. Die Künstlerin setzt auf biometrische Überwachung. Wie der Rolling Stone berichtet, haben Kameras die Besucher*innen eines Konzerts im Rose Bowl Stadion im kalifornischen Pasadena mit seinen 90 000 Plätzen ohne deren Einwilligung gefilmt und die Aufnahmen mit einer Datenbank abgeglichen. Das Material sei dann quer durch die USA zu einem »Kommandoposten« in Nashville übertragen worden, um es dort mit einer Datenbank abzugleichen, in der Hunderte von Stalkern gespeichert sind.34 Nach deutschen Datenschutzgesetzen wäre ein derartiges Vorgehen illegal, in den USA dagegen


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