Der Ohrfeige nach. Wiglaf Droste

Der Ohrfeige nach - Wiglaf Droste


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Autors und Titel, den Namen des möglichst berühmten Verlags nicht zu vergessen, mehr braucht es nicht, oder?

      Denken Sie an Suhrkamp: eine Verlegerin in greige, die Bücher mauve oder taupe, das langt dicke für drei Jahre Feuilleton und für eine Generation Literaturwissenschaft. Bei einer »Langen Nacht der Literatur« traf ich diverse Schriftsteller, jüngere Männer Anfang bis Mitte dreißig, die allesamt vom selben Literaturdesigner betreut wurden, der ihnen samt und sonders nicht nur den identischen Bart Marke »verwegen für Angepasste« aufgeschwatzt oder verpasst hatte, sondern auch den gleichen nachtblauen Körperdunst, und alle sprachen sie ausschließlich darüber, wie man welchen Preis ergattern könne und welchen Juror man dafür kennen müsse.

      Das passt so gut zur Bibliothèque-Tapete von Hermès wie die bei Suhrkamp erschienene Anthologie »Berlin bei Nacht«; der Verlag haut die nach Bierreklame klingende 264-seitige Sammlung zum Kampfpreis von 7 Euro 99 raus und präsentiert Autor_innen, die mit sexuell aber sowas von korrektem Unterstrich auf den Strich gehen oder die »sich eine Berliner Nacht zusammenbasteln« wollen, obwohl man Nächte nicht »basteln« kann, aber woher soll ein Literaturfunktionär das wissen? Immerhin: Bernd Cailloux ist mit einem schönen Text vertreten, und Freund Bittermann beschreibt trefflich kreuzbergspezifische Formen der Idiotie und des Elends.

      Allein deshalb gehörte das Buch in die »Spätis« genannten Spätkaufläden. »Berlin bei Nacht«, zwei Billigpils dazu, macht ’nen Zehner, so ginge es doch, und in den Medienradauladen Suhrkamp könnte ein wenig Ruhe einkehren.

      Auf dem Weg von einem Abend mit Freunden wurde ich von einem Nachbarn gestoppt, der draußen auf einer Bank vor einem Spätkauf saß und ein Glas klare Flüssigkeit mit Eis trank, die er mir als Gin Tonic vorstellte; ich möge ihm bitte Gesellschaft leisten, er werde mir auch so etwas Erfrischendes besorgen. Ich wollte ins Bett, doch der Nachbar ist ein liebenswürdiger Mann, und wenn er ein bisschen getrunken hat, beherrscht er alle Künste der charmanten Überredung. Also gut, auf ein Glas.

      Eine Frau verließ den Spätkauf, sie trug zwei Flaschen Billigbier; der Nachbar, der sie offenbar kannte, lud auch sie zu einem Gin Tonic ein, und sie war dabei. Der späte Abend war mild, wir plauderten sutsche, die Frau verabschiedete sich und bedankte sich überschwänglich für das Getränk. »Ich habe meine letzten zwei Euro für das Bier hier ausgegeben«, stieß sie plötzlich hervor. »Und dabei bin ich Suhrkamp-Autorin.« Sie ging, sichtlich angezählt.

      Schlagartig wurde mir klar, wie und warum das alles so ist mit der deutschen Hochkultur in mauve und in greige; allein die Bibliothèque-Tapete überzeugte nicht ganz.

      Buchrücken alleine reichen eben doch nicht. Die Freun­din nahm mein neuestes Buch, das ich ihr gerade schenken wollte, las nur die Widmung, die einer anderen Frau galt als ihr, ließ das Buch zu Boden fallen und konstatierte: »Dein schlechtestes Buch. So miserabel hast du noch nie geschrieben.«

      Angesichts dieser leider sehr souveränen und lustigen Reaktion wäre ich gerne schlagartig ertaupet, aber wenn man den Schischi einmal braucht, ist er naturgemäß nicht vorhanden. Soviel zum Gin des Lebens.

       Von Baustellen und Hausnummern

      Baustellen gibt es jede Menge, Autofahrer wissen das und fluchen oder stöhnen, je nach Situation und Temperament, wenn die Stadt schon wieder an jeder dritten Ecke aufgerissen und zur nahezu unpassierbaren Ganzjahresbaustelle wird oder sie baustellenbedingt stundenlang im Stau stehen müssen. An Baustellen jedenfalls herrscht nicht der geringste Mangel im Land, übel beleumundet sind sie auch, und doch scheint es darüberhinaus einen großen rhetorischen Bedarf an Baustellen zu geben.

      Ob es an dem Film »Das Leben ist eine Baustelle« liegt, dass alle Welt ständig von Baustellen redet, die mit dem Straßenverkehr nicht das Geringste zu tun haben? Er habe gerade »viel zu viele Baustellen« behauptet einer und meint damit seine Arbeit, seine Familie und seine, auch ein sehr schönes Wort, »Kreditlinie«. Wer Frau und Geliebte zu bedienen hat, ist auf mindestens zwei »Baustellen« beschäftigt, aber das ist schon wieder »eine ganz andere Baustelle«.

      Von der ästhetischen wie substantiellen Unangemessenheit des Wortes »Baustelle« abgesehen könnte man ganz plebejisch einwenden, dass all diejenigen, die permanent von »Baustellen« reden, niemals auf einer Baustelle gearbeitet haben – wie ja auch all die wichtigen Menschen, die sich einen Termin erst »freischaufeln« müssen, noch nie im Leben eine Schaufel respektive eine Schippe oder Schüppe in der Hand gehalten haben. Das ist ja auch überhaupt nicht Pflicht, aber rhetorische Klassenzugehörigkeitsaneignung möge bitte unterbleiben; es handelt sich um sprachsoziologischen Diebstahl, und der ist ungehörig.

      Manche Baustellen haben auch Hausnummern. Bei Vertrags- oder Honorarverhandlungen hört man häufig den Satz »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« So versucht derjenige, der eine Arbeit gemacht haben will, dem Arbeitenden die Last des ersten Angebots aufzudrücken: »Sagen Sie doch mal eine Hausnummer.« Diesen schwarzen Peter kann man zurückspielen, indem man eine veritable Hausnummer nennt: 73 oder 19 oder 128 b, dann ist der andere dran und kann seine Hausnummer aufsagen, oder er sagt wissend oder wissend sein simulierend: »Aaah, die Abteilung...!« und versucht, den anderen »ins Boot zu holen«.

      Auch berühmte Künstler werden als »eine ganz schöne Hausnummer« bezeichnet, und wenn die Frau, die »eine ganz andere Baustelle« ist, auch noch als »ziemliche Hausnummer« firmiert und durchgeht, ist die Baustellenhausnummer perfekt. Soviel Wortarbeit macht hungrig, und so wird das Thema dann »abgefrühstückt«, und zwar so lange, bis es »auserzählt« ist »am Ende des Tages«, was aber nicht abends bedeutet, sondern bloß unterm also auf dem Strich, oder, in der Analarithmetik des Bundeskanzlers a.D. Helmut Kohl gesprochen: »Wichtig ist, was hinten rauskommt.«

      Das ist zwar eine ganz andere Baustelle, aber eben auch eine ziemliche Hausnummer.

       Bonusfahrtzeit

      Wenn die Bahn an genau dem Tag, an dem ihre jüngste Preiserhöhung in Kraft tritt, für die Strecke von Mannheim nach Essen 105 Minuten länger benötigt als angekündigt, ist das ein Ausdruck von gesteigertem Selbstbewusstsein und prosperierendem Geschäftssinn. Zermürbte Reisende sind die leichtere Beute; spiel sie kaputt und dann plündere sie aus, so macht man das als organisierter Wegelagerer.

      Unschön und störend aber ist es, wenn dieses marktstrategische Verkaufskonzept nicht stringent umgesetzt wird, sondern einzelne Mitarbeiter sich den Reisenden quasi zu Füßen werfen und von »Verspätung« sprechen, für die sie um »Entschuldigung« bitten. Das führt nur zu Verdruss; man wird so ungern verhöhnt.

      Es gibt keine Verspätung bei der Bahn; es ist der Bahn vielmehr gelungen, 105 Zusatzminuten herauszufahren! Das ist groß und der Größe des Unternehmens angemessen. Wenn man die Lebenszeit von Menschen schon willentlich zerdrischt und zermahlt, soll man das offensiv und vor allem positiv vertreten. Das Wort »Verspätung« entspringt altem, negativem Denken; es wird ersetzt durch »Bonus-Fahrtzeit«, oder, noch besser, durch »kostenlose Bonus-Fahrtzeit«. Die gibt es bei der Bahn geschenkt, und das sollte die Bahn auch sagen. Oder können die da jetzt nicht mal mehr Marketing?

       Das Verschwiden des »n«

      Es war das klassische gefundene Fressen für die rotstiftaktive Sorte Mensch in Deutschland. Aus der Staatskanzlei der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Dreyer ging im Herbst 2013 ein Brief an Bundeskanzlerin Merkel, der reichlich Fehler in Orthographie, Grammatik und Interpunktion aufwies. Dass die Öffentlichkeit davon erfuhr, muss mit einer sehr großzügigen Interpretation des Briefgeheimnisses zu tun haben. Irgendjemand beim Absender in Mainz oder beim Empfänger in Berlin spielte der Springerpresse eine Kopie vulgo Ablichtung des Schriftstücks zu. Es gibt Entlassungsgesuche, die man nicht ignorieren soll.

      Unter dem Briefkopf der »Ministerpräsidentin des Landes Rheinland-Pfalz« findet sich Frau Dreyers Bitte an Frau Merkel, »zeitnah ein Spitzengespräch mit Vertretern der Länder und den Datenschutzbeauftragten von Bund und Länder zu führen«. Hier fehlt eindeutig ein »n«, und dieser Buchstabe scheint bei der Autorin oder dem Autor des Briefs, den die Ministerpräsidentin


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