Der Ohrfeige nach. Wiglaf Droste
allein aus Gründen des Klangs. Des Menschen, Medien fassungslos bestarrend, tiefster Fall, ist der dort wahr-, doch nicht im Sinne einer Wahrheit angenommene Fuckyou!-ltativ, und der ist selbstverständlich, ultima- und defini-, nein, delphinitiv, denn Greenpiv sitzt in jedem Ri-Ra-oder-sonstwie Reise-Rettungsboot, weswegen »delphinitiv« bleiben wird, wofür und zu wessen Werken und Zwecken auch immer.
Post Scriptum: (nicht Post Skrotum, allein schon deshalb, weil allein der Klang des Wortes mich recht lange abzustoßen in der fürchterlichen Lage wäre):
Nachdem ich neulich, oder wie Omma immer so schön sagte, »erstens« mit dem Wort »fakultativ« gespielt hatte, schrieb mir Freund und Kollege Friedrich Küppersbusch: »›Fakultativ‹ begegnete mir bei einer Recherche durchs bierfürzige Land der Burschenschaften. Wo jene, die noch Alter Herren Geld versoffen, doch schon dafür nicht mehr im Gesicht metzgern wollten, sich ›fakultativ schlagend‹ nannten im Gegensatz zur ehedem ›Pflichtmensur‹. Allerdings waren die Burschen, so oder so, allesamt dumm, Klaftertiv.« Womit der Klaftertiv als Fall in die deutsche Falle ja auch zauberhaft versenkt ist.
»Burschen«, erinnerte ich mich, hatte ich vor gut 20 Jahren in einer Veranstaltung an der Uni in JenaoderErfurt erlebt, wo diese Müllwürfel wieder frei herumlaufen durften, weil alles, was in der DDR verboten war, ja nun nach dem großen Andersrumunddumm also gut sein musste.
Die Burschen waren so fies, wie sie sich mutig Feigheit angetrunken hatten; Michael Stein und ich warfen sie zwei gegen fünf aus dem Saal, ohne Gewalt, nur mit der Macht des Wortes und der Klarheit, dieser Macht des Wortes auch ohne Worte zu ihrem Recht zu verhelfen, wenn das denn sein müsste, und so verzogen sich die kokardierten Möchtegernherrn der Welt, die uns oder unsere Texte, die sie allerdings als »Schrifttum« deutschdenunziert hätten, zwar überhaupt nicht kannten oder, Schon mal die Birne!-birnemäßig, zur Kenntnis gar nicht hätten nehmen können, aber so allgemein wie hundsgemein »mal was gegen Linke« machen wollten, für die sie uns, und da lagen sie, obwohl sie davon, was das ist und will und meint und vielleicht werden könnte, nicht die geringste Ahnung hatten, ausnahmsweise einmal gar nicht völlig falsch.
Sie waren übrigens allesamt selbstverständlich Akademiker, was, wie Geschichte lehrt, gegen das Niedrige noch nie geschützt hat, sondern im Gegenteil beim Niedrigen in dem steht, was das Niedrige dann »Ansehen« nennt.
Ich dachte, in einem schlechten Kostümfilm zu sein und war es auch. Die Burschen, die sich als »echt« empfanden, waren echt, also »echt« im Sinne von »echt geil, Alter!« oder, elterngenerationsgespensterhaft noch eine Runde vorher drehend, »Echt authentisch, dieses Nein, Eleven!, und das Christo heißt jetzt Karstadt oder Reichstag!«, wegen dem oder, darauf legen wir, weil es ja um Werte geht, sehr Wert beziehungsweise »des Wertes«, was das Akademische für das »Milieu« beziehungsweise also ganz egal Mülljö hält, das es, klassisch, ist.
Dankbar und demütig
»Wir müssen dankbar und demütig sein«, sagt der Schauspieler. Er sitzt im Fernsehkasten, in der Talkshow, und macht Werbung für seinen neuen Film, der, wie könnte es anders sein, »eine große Herausforderung« war, »a challenge« eben, und gerade speziell mit diesem Regisseur – wie hieß er noch gleich? – »zu arbeiten«, war selbstverständlich »eine großartige Erfahrung«, aber na klar, was denn sonst.
Als »reisender Artist«, wie der verehrte Dichter und Vortragskünstler Joachim Ringelnatz sich bezeichnete, hat man der Natur der Arbeit gemäß mit vielen Leuten zu tun; es hat sich aber eingebürgert, dass Schauspielerinnen und Schauspieler nach getaner Arbeit noch das betreiben, was der Brite kühl als »brown-nosing« bezeichnet, als das Kriechen aus Kalkül oder Neigung – oder, dann geht es am reibungslosesten, einer Mischung aus beidem. In entsprechenden Künstlerkreisen nennt man das Professionalität.
Doch nicht nur vor Produzenten, Regisseuren und berühmteren Kolleginnen und Kollegen wird auf dem Bauch gelegen, auch das Publikum wird, um eine andere Phrase zu zitieren, »mit ins Boot geholt«, gern mittels der Behauptung »Wir müssen dankbar und demütig sein« – und zwar dafür, dass ein im Normalfall allzu duldsames Publikum angesichts der Darbietungsqualität nicht Reißaus nimmt, sondern gutmütig oder auch nur entkräftet ausharrt bis zum Ende.
Selbstverständlich stände radebrechenden Kleiderständern wie beispielsweise Frau Ferres, Herrn Schweiger oder dem dauerschmunzelmuffenden Heinz-Rühmann-Wiedergänger Liefers echte Demut an; dass sie für ihr Simulantentum mit Geld, Ruhm und Bewunderung reichlich versorgt werden, sollte sie tatsächlich dankbar und demütig stimmen.
Aber wie es so ist im Gewerbe: Die beste Demut ist die öffentlich ausgestellte, die kostet nichts, und sonst hätte man ja auch nichts davon. Dabei gilt die alte Regel: Was die Leute vorne ins Schaufenster legen, das haben sie hinten nicht am Lager.
Es ist eben so, wie der jüdisch-texanische Schriftsteller und Musiker Kinky Friedman in seinem ersten Kriminalroman »Greenwich Killing Time« schrieb: »Im Schauspielergewerbe ist Ehrlichkeit das Allerwichtigste. Wenn man die heucheln konnte, dann konnte man auch fast alles andere.« Also auch dankbar und demütig sein, zum guten Zweck der Selbstreklame.
Was mit der Sprache passiert, wenn aus Leipzig »Hypezig« wird
Leipzig heißt jetzt »Hypezig«. Das vermeldete zumindest die Gruner & Jahr-Illustrierte stern im Herbst 2013 und fand das, völlig unabhängig vom Wahrheitsgehalt, ganz toll.
»Hype Hype Hurra« lautet die Überschrift eines stern-Kommentars, der »Massenbegeisterung als Grund zur Freude« feiert und diese zweifelhafte Weltsicht auch der Stadt Leipzig an- und umhängen möchte. »Ist es nicht schön, dass Deutschland endlich auf eine Stadt im Osten guckt, die nicht Berlin ist – 24 Jahre nach der Wende? Auf ihre Geschichte, die Kunst, die Kneipenkultur, die Musik und Modeszene. Der Hype weist den Weg«, schreibt die stern-Autorin.
Abgesehen davon, dass die Formulierung »Wende« durchaus zum Arsenal des Propagandavokabulars gezählt und durch »das große Andersrum« oder durch »Annexion« ersetzt werden könnte, ist ein Satz wie »Der Hype weist den Weg« nicht nur peinlich wegweiserfixiert, sondern vor allem Ausdruck einer trostlosen Affirmation des Vorgefundenen. Was einem von der Werbung als großartig um die Sinne gehauen wird, muss großartig sein und ist also auch großartig, schließlich gibt es nichts anderes, da sind die Apologeten des Hype bei der angeblichen »Alternativlosigkeit« angelangt, jenem so aggressiv wie redundant eingesetzten Instrument der Denk- und Diskussionsbeendigung, Einschüchterung und Erpressung zur Unterwerfung.
Ein Hype, auf deutsch das organisierte Übertreiben und Aufbauschen zu Zwecken der Selbstausstellung, »lenkt« laut stern »den Blick auf etwas, das uns bisher entgangen ist«, drückt einem also penetrant und übergriffig etwas auf, das man hanskuckindieluftig glücklich oder mit Absicht ignoriert hat. Diese Aufdringlichkeit wird zumindest beim stern goutiert. »Ein guter Hype bedeutet Spaß, gerade weil er übertrieben ist und unvernünftig.« Wo Lebensfreude sich aus gesteuerter Hysterie generieren muss, hat die Depression längst das Regiment übernommen.
Deutlich wird das auch, wenn Leipzig beziehungsweise »Hypezig« als »The better Berlin« bezeichnet beziehungsweise eben »gehypet« wird: Leipzig ist besser als Berlin? Noch besser? Noch besser als die Hauptstadt des prekären Lebens, das sich als »kreativ« ausgibt, wenn es mit mindestens einem Bein in der existentiellen, künstlerischen und materiellen Prostitution steht? Wer das als Fortschritt feiert, hat nichts Gutes im Sinn – beziehungsweise »nischds Gudes«, wie man in Leipzig sagt, aber das ist selbstverständlich nicht »Hypezig«-tauglich.
Vom Dummen ins Dreiste rutscht der stern-Text, wenn auch noch Gustave Le Bons im Jahr 1895 veröffentlichtes Buch »Die Psychologie der Massen« in die Kronzeugenschaft für das gleichermaßen krude wie hilflos trendanflanscherische »Hype«-Gerede gezwungen wird. »Um Menschenmassen zu begeistern, müssten ihre Emotionen angesprochen werden«, subsummiert die Autorin, »wichtig sei dabei auch, einfache Botschaften und Bilder stetig zu wiederholen.« Um dann fröhlich auszuposaunen: »Das ist in Zeiten von Twitter und Facebook einfacher als je zuvor.«
Nur