Das Weltkapital. Robert Kurz

Das Weltkapital - Robert Kurz


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Wein zu importieren und durch die Ausfuhr von Tuch zu erstehen. Um den Wein in Portugal zu produzieren, könnte vielleicht die Arbeit von nur 80 Mann im Jahr erforderlich sein, und um das Tuch daselbst zu fabrizieren, die von 90 Mann in derselben Zeit. Daher würde es für Portugal vorteilhaft sein, Wein zu exportieren im Tausche für Tuch. Dieser Tausch könnte sogar stattfinden, obgleich das von Portugal eingeführte Gut dort mit weniger Arbeit als in England produziert werden könnte. Obwohl es das Tuch mit der Arbeit von 90 Mann herstellen könnte, würde es dieses doch aus einem Lande importieren, wo man zu seiner Fabrikation die Arbeit von 100 Mann benötigte, weil es für Portugal vorteilhaft sein würde, sein Kapital zur Produktion von Wein zu verwenden, für welchen es von England mehr Tuch erhalten würde, als es durch Ablenkung eines Teiles seines Kapitals vom Weinbau zur Tuchmanufaktur produzieren könnte. Auf diese Weise würde England das Arbeitsprodukt von 100 Mann für das Arbeitsprodukt von 80 hingeben. Ein solcher Austausch könnte zwischen einzelnen Personen eines und desselben Landes nicht stattfinden. Die Arbeit von 100 Engländern kann nicht für die von 80 gegeben werden; wohl aber kann das Arbeitsprodukt von 100 Engländern für dasjenige von 80 Portugiesen, 60 Russen oder 120 Ostindiern hingegeben werden...« (Ricardo 1980/1817, 112).

      Das Argument läuft also darauf hinaus, dass in diesem Fall Portugal mehr Tuch erhalten wird, wenn es sich auf den Weinbau spezialisiert und das Tuch aus England im Austausch gegen Wein importiert, obwohl es selber das Tuch mit weniger Arbeit herstellen könnte, diese aber vom Weinbau abgezogen werden müsste. In Wirklichkeit geht es aber weder um Tuch noch um Wein, sondern einzig um abstrakten Profit in der Geldform, jenseits aller naturalen Bedürfnisse und letztlich gegen diese; und in diesem Kontext stellt sich das Problem der Produktivität bzw. ihrer Unterschiede ganz anders dar. Ricardo ist hier so generös, im theoretischen Beispiel Portugal die höhere Produktivität sowohl bei Wein als auch bei Tuch zu überlassen. In Wirklichkeit verhielt es sich natürlich schon damals genau umgekehrt, denn als Vorreiter der Industrialisierung war England in der Tuchproduktion haushoch überlegen und gerade dabei, die gesamte handwerkliche Textilproduktion in Europa und Übersee (Indien) zu ruinieren. Empirisch stellte sich der Produktivitätsabstand also keineswegs so rosig als fruchtbare internationale Arbeitsteilung mit beiderseitigen »komparativen Vorteilen« dar. Ricardo beeilte sich trotzdem, mit einem anderen Beispiel diese segensreiche Wirkung auch bei einem großen einseitigen Produktivitätsvorsprung zu postulieren:

      »Es wird daher einleuchten, dass ein Land, welches sehr bedeutende Vorteile im Maschinenwesen und in der Technik besitzt und deshalb imstande sein kann, gewisse Güter mit viel weniger Arbeit als seine Nachbarn zu erzeugen, gegen solche Güter einen Teil des für seinen Konsum notwendigen Getreides importieren kann, selbst wenn sein Boden fruchtbarer wäre und das Getreide sich mit weniger Arbeit als in dem Lande, woher es importiert wurde, erzeugen ließe. Zwei Menschen können sowohl Schuhe wie Hüte herstellen, und doch ist der eine dem anderen in beiden Beschäftigungen überlegen. Aber in der Herstellung von Hüten kann er seinen Konkurrenten nur um 20 Prozent übertreffen und in der von Schuhen um 33 Prozent. Wird es dann nicht im Interesse beider liegen, dass der Überlegenere sich ausschließlich auf die Schuhmacherei und der darin weniger Geschickte auf die Hutmacherei legen sollte?« (Ricardo 1980/1817, 113).

      Also auch für den Fall eines »bedeutenden« Gefälles der Produktivität wieder das Argument, für ein Land (eine Nationalökonomie) sei der arbeitsteilige wechselseitige Austausch zweier verschiedener Waren mit einem anderen Land unter allen Umständen und auch dann von Vorteil, wenn es beide Waren selber produktiver herstellen kann, aber in unterschiedlichem Grad.

      Ricardo macht hier nebenbei eine weitere klammheimliche Voraussetzung, indem er die beiden Nationalökonomien idealtypisch als »zwei Menschen« definiert, die als unabhängige Produzenten auftreten, und so tut, als könne man diesen Sachverhalt auf die wirklichen Individuen in diesen Nationalökonomien herunterrechnen – während es sich in Wirklichkeit der Mehrzahl nach um Lohnabhängige handelt, die keineswegs als unabhängige Produzenten in biblischer Manier Wein und Tuch austauschen, sondern ihre Arbeitskraft gegen Geld (Kapital) eintauschen müssen, also bloßes Material des betriebswirtschaftlichen Verwertungsprozesses sind.

      Was passiert nun unter den wirklichen Bedingungen des kapitalistischen Verwertungsprozesses beim Warentausch zwischen Nationalökonomien mit unterschiedlicher Produktivität? Selbst wenn die naturale Proportionalität des arbeitsteiligen Gütertauschs auf der abstrakten nationalökonomischen Ebene stimmen würde, heißt das keineswegs, dass sie auch auf der Ebene der abstrakten Wertverhältnisse und der angewendeten Lohnarbeit stimmen muss. Wenn das eine Land die Tuchproduktion einstellt, um sich auf Wein zu spezialisieren, geht dies ja weder innerhalb der eigenen Nationalökonomie noch im Verhältnis zur anderen, Tuch produzierenden, in der Form freiwilliger und alle Beteiligten berücksichtigender Absprachen vor sich, sondern in der Form der blinden Konkurrenz und ihrer Resultate, also in der Form des Ruins der eigenen Tuchproduktion (wie es Ricardos Zeitgenossen real erlebten). Wenn nun eine entsprechende Menge von Kapital in die zusätzliche Weinproduktion fließt, damit der Austausch mit dem Tuch stattfinden kann, heißt dies keineswegs, dass automatisch die in der Tuchproduktion freigesetzten Lohnarbeiter in die Weinproduktion überführt werden, und wenn, dann nicht automatisch zu denselben Bedingungen von Lohn usw. Was also für die nationalökonomischen Austauschverhältnisse postuliert wird, geht an der Lage der wirklichen Individuen vorbei.

      Aber auch nationalökonomisch gesehen trifft Ricardos Argument, sobald man von den naturalen auf die Verwertungs-Verhältnisse übergeht, nur dann zu, wenn der Abstand in der Produktivität ein bestimmtes Ausmaß nicht überschreitet und sich auf den Umkreis weniger Waren beschränkt. Stets muss das weniger produktive Land im Austausch mit dem produktiveren relativ mehr Arbeits- und damit Wertmengen (bezogen auf den eigenen Standard) hergeben als es in Gestalt der anderen Ware zurück erhält. Da aber im kapitalistischen Sinne stets der abstrakte Wert das bestimmende Moment ist, das sich in Geldpreisen ausdrückt, heißt das nichts anderes, als dass es beim Tausch dieser Waren ständig relativ teurer einkaufen muss, als es verkaufen kann, was nichts mit der naturalen Menge von Gebrauchsgütern zu tun hat.

      Das wird vielleicht hingenommen werden, wenn dafür z.B. eine relativ größere Menge an Tuch verbraucht werden kann, als sie im eigenen Land zu eigenen Bedingungen herstellbar wäre; allerdings ist dieser Verbrauch dann sozial viel ungleicher verteilt als im Land mit der höheren Produktivität: Das fremde Tuch kann nur unter der Bedingung gegen einen relativ höheren Arbeitsaufwand bei der eigenen Weinproduktion gegen Wein als Äquivalent ausgetauscht werden, dass die Lohnarbeit in der Weinproduktion entsprechend relativ niedriger bezahlt wird und sich der Produktivitätsabstand auf deren Kosten wertmäßig ausgleicht. Da dies jedoch wieder negative Rückwirkungen auf die übrige binnenökonomische Reproduktion hat (Ausfall von Kaufkraft), funktioniert auch dann der internationale Warenverkehr auf die Dauer nur, wenn die Produktivitätsvorteile einigermaßen gestreut sind, also nicht so einseitig wie bei Ricardo dargestellt.

      Das ist nicht nur graue Theorie, sondern beweisbare historische Praxis. Das von Ricardo gewählte zentrale Beispiel für sein Theorem, Wein aus Portugal und Tuch aus England, war keineswegs ein fiktives. Es beruhte auf dem so genannten Methuen-Handelsvertrag zwischen England und Portugal, der am 27. Dezember 1703 abgeschlossen wurde. Dessen reale Resultate blamierten Ricardos Argumentation allerdings schon, bevor dieser sie überhaupt niedergeschrieben hatte; ein Beispiel für die systematische ideologische Ignoranz schon der bürgerlichen Klassik in der VWL, die sich seither immer weiter gesteigert hat bis zur völligen Verleugnung der sozialen Tatsachen. Da es im Kapitalismus nicht um die naturale Versorgung und Bedürfnisbefriedigung, sondern einzig um den abstrakten Wert in der Geldform und dessen Maximierung geht, mußte sich der angebliche wechselseitige »komparative Vorteil« sehr schnell negativ für Portugal auswirken, wie das heutige anonyme Räsonnement in einem publizistischen Flaggschiff des Wirtschaftsliberalismus mit aller Gemütsruhe feststellt:

      »Während Portugal seinen Markt für englische Textilien öffnete, verpflichtete sich England, die portugiesischen Weine zollmäßig um ein Drittel weniger zu belasten als die französischen Konkurrenzprodukte, an die sich die englischen Konsumenten gewöhnt hatten. Dieser englisch-portugiesische Warenaustausch ging in die Lehrbücher über den Außenhandel ein. David Ricardo ... nahm ihn als Anschauungsbeispiel für seine Theorie der komparativen Kostenvorteile ... Über die Vor- und Nachteile für England und


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