Fünfzehn Hunde. Andre Alexis

Fünfzehn Hunde - Andre  Alexis


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Hunde mit geringerem Status besteigen – nicht mehr ohne lähmende Befangenheit zu haben. Hierin waren sich Majnoun, Prince, Rosie und er gleich. Die vier neigten zu einer Nachdenklichkeit, auf die alle außer Prince – und bis zu einem gewissen Grad Majnoun – gern verzichtet hätten, um sich wieder in der Gemeinschaft der Hunde zu verlieren. Prince war der einzige, die die Veränderung im Bewusstsein völlig annahm. Es war ihm, als hätte er eine neue Art des Sehens entdeckt, einen Blickwinkel, der alles, was er gewusst hatte, seltsam und wunderbar machte.

      Am anderen Ende des Spektrums befanden sich Frick, Frack und der Mischling Max. Auch sie waren durch ihre Selbstbewusstheit beunruhigt, aber sie lernten, das Denken zu unterdrücken. Gewiss benutzten sie ihre neugefundene Intelligenz, blieben aber dabei ihrem alten Hundeleben treu. Wenn sie von unbekannten Hunden herausgefordert wurden, verteidigten sie sich mit lasziver Effizienz, rotteten sich zusammen und behandelten ihre Angreifer, wie sie es mit Schafen getan hätten: Sie bissen ihre Sehnen durch und ließen sie blutend und leidend zurück. Wenn ihnen unterwürfige Hunde begegneten, war ihr Vergnügen genauso intensiv. Die drei fickten alles, was sie ranließ. Auf eine gewisse Weise diente ihre neue (oder andere) Intelligenz dem, was sie als ihr Wesen verstanden: das Hundesein. Sie fühlten, dass die Furcht, die »normale« Hunde ihnen zeigten, berechtigt war.

      Tatsächlich waren die Hunde, die Frick, Frack und Max am meisten Ärger bereiteten, die anderen in ihrem Rudel. Ja, die anderen teilten ihre Intelligenz und entwickelten schnell ihre Sprache. Und ja, die anderen waren die einzigen Lebewesen, die sie verstanden. Aber »verstehen«, das nach Denken roch, war das letzte, was sie wollten. »Verstehen« erinnerte sie daran, dass sie trotz ihrer Anstrengungen, wie Hunde zu leben, keine normalen Hunde mehr waren. Was sie von den anderen wollten, war Unterwerfung oder Führerschaft, und beides bekamen sie zunächst nicht.

      Von den anderen Hunden war es natürlich Prince, der Frick, Frack und Max am meisten nervte. Prince war ein gewöhnlicher Mischling, sein Fell rostbraun mit einem weißen Fleck auf der Brust. Er war groß, aber seine Veranlagung machte jede physische Bedrohung zunichte. Er war stets verträglich und ließ sich dominieren. Das Irritierende war, dass Prince seltsame Ideen hatte. Er war derjenige, der den Tag in Abschnitte geteilt hatte. Er war derjenige, der endlose Fragen über triviale Dinge stellte: über Menschen, über den See, über Bäume, über seine Lieblingsgerüche (Vogelfleisch, Gras, Hot Dogs), über die gelbe Scheibe über ihnen, in deren Licht man sich wärmen konnte. Die drei Hunde hatten natürlich Princes Wortspiel mit »bone« und »stone« gehasst. Und er hörte nicht damit auf. Von den anderen bestärkt, war sein Spiel mit der Sprache ein ständiger Affront gegen Klarheit.

      Es schien Frick und Frack, als hätte Prince die Absicht, ihr Gemüt zu zerstören.

      Aber Princes Sprachwitz war nicht das Schlimmste. Früher mussten sie sich wie alle Hunde mit einem einfachen Vokabular fundamentaler Geräusche begnügen: Bellen, Jaulen oder Knurren. Diese Geräusche waren akzeptabel wie auch die nützlichen Erfindungen für Wor­te wie »Wasser« oder »Mensch«. Nun jedoch hatte das Rudel auf Princes Betreiben hin Worte für zahllose Dinge. (Brauchte wirklich irgendein Hund ein Wort für »Staub«?) Eines Abends setzte sich Prince aufrecht hin und sprach eine seltsame Anhäufung von Worten:

      The grass is wet on the hill.

      The sky has no end.

      For the dog who waits for his mistress,

      Madge, noon comes again.

      Das Gras ist feucht auf dem Hügel.

      Der Himmel hat kein Ende.

      Für den Hund, der auf sein Frauchen wartet,

      Madge, die Mittagsstunde kommt wieder.

      Als Frick und Frack diese Komposition aus Knurren, Bellen, Jaulen und Seufzen hörten, waren sie aufgesprungen, bereit, dem Frauchen des erschöpften Hundes ins Gesicht zu beißen. Sie nahmen an, dass ein Besitzer aufgetaucht war, der ihnen Schmerzen zufügen wollte. Aber Princes Worte waren nicht als Warnung gedacht. Vielmehr hatte er gespielt. Er hatte nur so getan. Er hatte gesprochen um des Sprechens willen. Konnte es einen widerwärtigeren Gebrauch für Worte geben? Max sprang auf, knurrend und bereit zu beißen.

      Er hatte jedoch nicht mit dem Vergnügen gerechnet, das Princes Worte einigen Hunden bereitete. Athena dankte Prince für das Heraufbeschwören feuchter Hügel und endloser Himmel. Bella tat das Gleiche. Einige Hunde fühlten, dass Prince nicht ihre Sprache missbraucht, sondern ihr mit seinem Wortspiel etwas Unerwartetes und Wunderbares hinzugefügt hatte.

      Ich war gerührt, sagte Majnoun. Bitte, mach es noch einmal. Prince gab weitere Geräusche von sich, eine Folge von Heulen, Bellen, Jaulen und Schnalzen.

      Beyond the hills, a master is

      who knows our secret names.

      With bell and bones, he’ll call us home,

      winter, fall or spring.

      Jenseits der Hügel ist ein Besitzer

      der unsere geheimen Namen kennt.

      Mit Glocke und Knochen ruft er uns heim,

      Winter, Herbst oder Frühling.

      Die meisten Hunde saßen schweigend da und gaben sich große Mühe zu verstehen, wovon Prince redete. Für Max aber war es zu viel. Prince verdrehte nicht nur ihre klare, noble Sprache, er hatte auch das Hundesein verlassen. Kein echter Hund hätte einen solchen Quatsch von sich geben können. Prince war nicht würdig, einer von ihnen zu sein. Zur Verteidigung ihrer wahren Natur musste jemand etwas tun. Max spürte, dass Frick und Frack genauso fühlten, aber er wollte der erste sein, der Prince zur Unterwerfung oder ins Exil zwang. Er ging auf Prince los, ohne auch nur zu knurren. Prince war ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Er wollte dem Mischling gerade in die Kehle beißen, da kam Majnoun so ruhig und brutal, wie Max attackiert hatte, Prince zu Hilfe. Bevor Frick oder Frack intervenieren konnte, hatte Majnoun Max unten, seine Zähne an Max’ Hals. Max pinkelte als Zeichen der Unterwerfung und lag still.

      Töte ihn nicht, sagte Frack.

      Majnoun knurrte warnend, biss stärker zu, Blut floss.

      Der Hund hat Recht, sagte Atticus. Es ist nicht gut, einen von uns zu töten.

      Majnoun fühlte mit jeder Faser seines Körpers, dass es richtig wäre, Max zu töten. Es war, als wüsste er, dass die Zeit kommen würde, da er ihn töten musste. Also warum nicht jetzt? Aber er hörte auf Atticus und ließ Max los, der schnell wegschlich, den Schwanz zwischen den Beinen.

      Gewalt war nicht nötig, sagte Atticus. Der Hund versuchte nur, seine Gefühle zu zeigen für die Worte, die wir hörten.

      Seine Gefühle hat er nicht verborgen, sagte Majnoun.

      Du hast ihm seinen Platz gezeigt, sagte Atticus. Du hast richtig gehandelt.

      Abgesehen von Frack und Frick – die sich jedem Gedanken verweigerten – waren die meisten Hunde von dem Zwischenfall verwirrt. Früher hätte man gesagt, sie hätten einen Kampf um Dominanz miterlebt, einen Kampf, den Majnoun eindeutig gewonnen und der so seinen Status erhöht hatte. Aber hier gab es die Sache mit Prince. Prince hatte Max beleidigt. Seine Worte hatten beleidigt. Hatten Majnoun und Max also um Worte oder Status gestritten? Konnten Hunde wegen Worte sich auf Leben und Tod bekämpfen? Ein merkwürdiger Gedanke.

      Als Bella und Athena nebeneinander lagen und in den Schlaf dämmerten, sagte Athena:

      Diese Männchen kämpfen aus jedem beliebigen Grund.

      Es hat nichts mit uns zu tun, sagte Bella.

      Damit hatte es sein Bewenden, soweit es sie betraf, und die beiden waren bald eingeschlafen. Athena knurrte im Traum leise ein Eichhörnchen an, das viel kleiner war als sie und sie mit Absicht reizte.

      Zwei Tage nach dem Aufruhr sprach Atticus mit Maj­noun.

      Der Herbst war gekommen. Die Blätter änderten ihre Farbe. Die Nächte schienen dunkler zu sein, weil sie nun kälter waren. Das Rudel hatte sich eine Routine angewöhnt: Nahrung suchen, Menschen vermeiden,


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