Die Poesie des Biers. Jürgen Roth

Die Poesie des Biers - Jürgen Roth


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Schweinebier, Panasch, Wurstwasser sowie, unter Beigabe von Weißbier, Bananenweizen und Russ’.

      Kurzum: Könnte man gegen die und gegen das Radler nicht die Bundeswehr einsetzen? Verfassungskonform wäre das sicher. Andernfalls sei landesweit ein Gesetz zum Nichtradlerschutz einzubringen. Radlerfreie Kneipen sind überfällig, zum Erhalt der geistigen Volksgesundheit.

      Oberneuses

      Zwischen Schönbrunn und Zettmannsdorf, im fränkischen Bierkellerland, liegt Oberneuses, und auf Oberneuses, wo es zwar keine Brauerei, aber eine Kellerstraße gibt, legt sich ein dicker Nebelschaum, nur auf Oberneuses, ein undurchdringlicher Nebelschleier, der exakt vom Ortseingang bis zum Ortsausgang reicht, so, als wolle Oberneuses nicht, nein, partout nicht mittun beim allgemeinen Biergebrumme rundherum, einfach seine Ruhe haben und unbehelligt bleiben, das will Oberneuses, das ist sicher.

      Bock around the clock

      Seit wann die Brauerei Seelmann in Zettmannsdorf im Steigerwald den Bockbieranstich zelebriert, weiß nicht einmal Juniorbrauer Georg Seelmann genau. »Wahrscheinlich so seit fünfundzwanzig Jahren«, murmelt er, die ewige Zigarette im Mundwinkel, »seit der Gebietsreform, als die uns Schönbrunn zugeschlagen haben. Aber halt auf jeden Fall immer am ersten Samstag nach dem Buß- und Bettag.«

      Es ist kurz nach sieben, und der Saal des 1847 gegründeten Familienbetriebs ist schon ziemlich voll. Zwei Bolleröfen heizen seit Tagen vor. Etwa vierzig Bierbänke bieten zweihundert Eventtrinkern Platz, darunter zahlreichen »Auswärtigen«, wie der Franke sagt. Eine Frankfurter Gruppe von Rockern hämmert bereits die zweite Runde Bock in sich hinein. Später am Abend disqualifiziert sie sich auf unrühmliche Weise.

      Gerade wird eine Busladung Jugendlicher in den ehemaligen Speicher geschüttet. Drei, vier Aushilfskellnerinnen, forsche Mädels aus dem Bamberger Umland, das dem Bierkenner als »der Nabel der Welt« (www.bierkeller.de) gilt, knallen die Halblitertonkrüge, die »Seidla« zu 2,20 Euro, auf die weißblauen, von der Raiffeisenbank zur Verfügung gestellten Plastiktischdecken. Rote Schleifen und weißblaue Wimpel zieren etwas linkisch die gekalkten Wände, vor den klapprigen Strebenfenstern hängen blaßrote Stores, und am Querbalken der hohen Decke funzelt eine bordellrote Neonröhre.

      »Des is’ mei’ erster Bockanstich«, beichtet die für unseren Tisch zuständige Aushilfe, doch ihr gerötetes Gesicht zeugt davon, daß ihr die landstrichtypischen Hauptnahrungsmittel, Bier und Schweinefleisch, nicht fremd sein dürften. Derweil dirigiert Seelmann jr. die letzten eintreffenden Trupps in die Ecken. Der Laden ist aufgefüllt, das Abfüllen kann beginnen.

      Auf der Bühne heizt »Dieter« an der Franz-Lambert-Orgel einem Saal ein, der sich in Windeseile von selbst aufheizt. Bockbier ist bei einer Stammwürze zwischen 16 und 18 Prozent eine Art Kopfheizung – zumal der klare, von einem feinen malzrauchigen Nachtrunk beseelte Seelmann-Bock, der nach zwei Halben schlagartig den Schädel verschleiert. Einen Alkoholwert von 10 Prozent vermutet die eine Bedienung, die nächste spricht von 7,8, die eigenen Berechnungen nach der zu vorgerückter Stunde rausgerückten Brauergeheimformel »Stammwürze 17,8 geteilt durch drei plus 0,5« ergeben eindeutig schummrigkeitserzeugende 6,43 Prozent.

      Die genügen vollauf. Die Frankfurter am Nebentisch scheitern mehrheitlich schon nach zwei Stunden. Die uniform schwarzgewandeten Gesellen zollen der tückischen Lieblichkeit des rostbraunen Tranks Tribut und strecken ihn in einem Akt der Verzweiflung mit Cola – ein Sakrileg, das Herr Rehse, ein begnadeter Bierkundler aus dem Odenwald, nicht durchgehen lassen kann. »Verkauft nicht euren guten Bock / An das Cola-Bier-Gesock’«, schüttelt er einen Kampfreim aus dem noch wackeren Kopf, weshalb ihm Brauerstochter Christine, die zu wasserstoffblondem Haar vor allem einen glitzernden Rockernietengürtel trägt, das dunkelblaue Tapferkeits-T-Shirt des Hauses überstreift, auf dem zu lesen ist: »Bleib der Heimat treu, / Trink Seelmann Bräu«.

      Solche Brauerlyrik verlangt Gegenlyrik. »Der Maus den Käs’, / Dem Ratz den Speck, / Dem Beatle den Rock / Und mir den Bock«, wirft Frau Rehse ein, ihre Tochter spendiert die Sentenz: »Draußen gibt’s nur Kännchen, drinnen gibt’s nur Bock«, und der Schwiegersohn schwingt sich zu einem wagemutigen »Mein Name ist Bier – Bock Bier« auf.

      Dieter an der Orgel kämpft währenddessen um die akustische Vorherrschaft, aber das Saalgeräusch überschwemmt alles – dieser anschwellende Bockgesang der Zecher und Zischer, dieses Wogen, das plötzlich kurz abebbt, als zagte die Gemeinde einen Moment lang, um umgehend wieder hinaufzurauschen in fette Höhen aus Clustergeschrei und durstig-kraftvoller Kakophonie.

      Längst gehorcht der Deckelabzieh- und Bezahlvorgang postmodernen Free-Style-Regeln. »Na, wos meinst, wos hast?« fragt Seelmann jr. und gesteht sogleich: »Eigentlich is’ mir des Bockwurst. Siehst, etz sin’ 1.000 Promille im Saal«, freut er sich und eiert davon.

      »Ein besseres Bier gibt’s kaum«, sagt Herr Rehse, der mit einer immensen Portion Bockbierschäufele – Schweineschulter mit rohem Kloß und Kraut – eine stabile Grundlage geschaffen hatte. »Wer so zu brauen versteht, darf die Welt betrunken machen. Man muß die Maßstäbe hoch ansetzen, um tief fallen zu können«, grinst er.

      Einige sind bereits gefallen – gleich auf die Bänke, auf den Boden in der Gaststube, eingehüllt in Schlafsäcke, oder in ihre Wohnwagen oder Igluzelte, die auf der schlammigen Wiese hinter dem Haus stehen.

      Um eins kommt der Shuttle-Bus aus dem zwanzig Kilometer entfernten Bamberg, und der alte Brauer Georg Seelmann sen. schleicht wahrscheinlich noch immer umher, zufrieden lächelnd, seine verschreckte weißbraune Katze zart im Arm wiegend.

      Mosers Mühen

      Nun, wie ist’s denn gewesen beim Bockbieranstich, fragt Moser. Nicht schlecht, nicht schlecht, aber ganz schön heftig, ganz schön deftig, sagt Kenzmann.

      Du, verstehst, ich hob’s net a so mit dem Bock, verstehst, sagt Moser. Moser nimmt einen Schluck Weizen. Naa, mit dem Bock, des homma net a so.

      Moser fährt den rechten Zeigefinger aus und schiebt mit dem schon länger nicht mehr geschnittenen Fingernagel die Brille zurück auf den breiten Nasensattel.

      Du, mir kenna uns ja, sagt Moser, des wär’ nix. Wenn mir Bock trinken tät’n, naa. Auf ei’m Bein steh’n ma net, logo, und wir mög’n uns ja auch, deshalb wer’n des fünfzehn, fünfzehn Bock.

      Moser nimmt einen Schluck aus dem Weizenbierglas. Der Willi Winkler, sagt Kenzmann, von dem weiß ich, daß der mit Bockbier aufgezogen wurde. Der wurde mit Bockbier aufgezogen, so, wie Friedrich II. mit Biersuppe aufgezogen wurde.

      Ach, wirft Moser ein und greift zum Bierglas. Ja, mit Bier, sagt Kenzmann. Oder mit einer Suppe aus Bier. Ich weiß nicht, ob Willi Winkler Biersuppe bekam, aber Friedrich II. bekam Biersuppe. »Unsere Väter hatten nur das Bier, und das ist das Getränk, das für unser Klima paßt«, hat der Friedrich gesagt.

      Das ist richtig, sagt Moser und stellt das Bierglas vorsichtig auf den Bierfilz.

      Der Willi Winkler wurde mit Bockbier aufgezogen, sagt Kenzmann, und zwar nicht einfach mit irgendeinem Bock, sondern mit dem Operator! Kenzmann hebt die Stimme. Mit dem Operator wurde der ernährt, von Kindesbeinen an!

      Scho’ recht, sagt Moser.

      Der Operator, sagt Kenzmann, ist ein Doppelbock. Man muß sich das mal vorstellen! Mit Doppelbockbier aufzuwachsen, ja mit Doppelbockbier aufgezogen und in die Welt geschickt zu werden, das ist doch schon mal was!

      Moser schaut Kenzmann an. Der ist aus Odelzhausen, sagt Kenzmann, Spitzenklasse. Der Operator.

      Hör mal, sagt Moser, ich war in Regensburg und hob’ Palmator getrunken. In Regensburg, verstehst. Einen Palmator nach dem anderen. Der Palmator, der ging nur so rein. Ich wußt’ ja gar nicht, was ein Palmator alles kann. Fünf Palmator war’n des, fünf über ’n Jordan, ich sag’s. Du, meine Freundin, du, ich hob’ die, ich hob’, na, ich hob’ von


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