Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt. Frank Westermann

Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt - Frank Westermann


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als ein Zusammenschluss barbarischer, patriarchaler Horden, die zum wiederholten Mal ein finsteres Zeitalter für uns heraufbeschwören wollen?«

      »Ich weiss nicht,« meinte Sikrit stockend. Sheitas pathetische Wortwahl hatte sie schon immer unangenehm berührt. »Ich habe mir über die Natur dieser Gefahr keine weitergehenden Gedanken gemacht, da uns jeglicher Anhaltspunkt fehlt. Warum nimmst du an, die Struktur unserer Lebensgemeinschaft könnte bedroht sein?«

      »Darauf kann ich dir keine Antwort geben. Meine Angst manifestiert sich lediglich aus dumpfen Ahnungen heraus, doch darauf wirst du nichts geben, weil du zu sehr Realistin bist. Ich hoffe bei den Göttinnen, dass ich Unrecht habe und dass deine Mission negativ verläuft.«

      Sie nahm Sikrits Hand, drückte sie fest und entfernte sich dann mit schnellen Schritten.

      Bei Ceris, sie ist ja richtig aufgewühlt, dachte Sikrit und sah ihr nach, bis ihre Silhouette in der Morgendämmerung mit den Schatten der Häuser verschmolzen war. Dann schüttelte sie heftig den Kopf und straffte ihre schlanke Gestalt, als wollte sie düstere Gedanken vertreiben.

      »Auf gehts, Khanur,« trieb sie das Flügelpferd an, das daraufhin in einen leichten Trab verfiel.

      Als das Dorf nicht mehr zu sehen war, steigerte Khanur seine Geschwindigkeit zu einem schnellen Galopp, entfaltete seine weissen Flügel, ein kurzer Ruck durchfuhr Pferd und Reiterin, dann berührten die Hufe den Boden nicht mehr und sie gewannen langsam aber stetig an Höhe.

      Die Momente der ersten Panik, in denen Sikrit ihre Hände in der Mähne Khanurs verkrallte, vergingen rascher, als sie es sich vorgestellt hatte. Es war, als ginge ein beruhigender Einfluss von dem Pferd aus. Sie fühlte Erleichterung. Und bald bewunderte Sikrit, unsicher aber voller Zuversicht und Staunen, wie die gesprenkelten Landschaften unter ihnen vorbei glitten.

      In den folgenden Tagen hatte sich ein nie gekanntes Hochgefühl eingestellt. Der Traum vom Fliegen war wahr geworden und sie konnte nicht genug davon bekommen. Das Gefühl des Losgelöstseins von der Welt, die ihr als verkleinertes Abbild zu Füßen lag, ergriff sie mit jeder Flugphase von neuem. Alles schien an Bedeutung zu verlieren, nur Khanur und sie gehörten der Wirklichkeit an. Bisher war die Reise ohne Mühe verlaufen, es hatte keinerlei Schwierigkeiten mit den Gemeinschaften gegeben, deren Obhut sie sich nachts anvertraut hatten und die sie wieder auf den »Boden« der Realität zurückbrachten. Sie machte kaum Gebrauch von den zahllosen GesprächsangeGesandten und ließ nichts über den Zweck ihrer Reise verlauten. Sie bemerkte allerdings auch nichts von einer unbestimmten Gefahr. Die Gerüchte, die ihr in der Heimat zu Ohren gekommen waren, schienen aus der Luft gegriffen.

      Das Wetter hatte kaum Anlass zur Klage gegeben. Es wurde zwar kühler, je weiter sie nach Norden vordrangen, und einige starke Regenschauer zwangen Khanur zur Landung, aber im allgemeinen kamen sie zügig voran und lagen durchaus innerhalb der Zeitplanung.

      Von nun an erstreckte sich unbekanntes Terrain vor ihnen, doch wenn sie nicht einen weiten Umweg in Kauf nehmen wollten, mussten sie dieses Gebiet überqueren.

      Es handelte sich um einen sogenannten Magischen Bereich. Länder, in denen bevorzugt magische Kräfte gebräuchlich waren, stellten keine Ausnahmeerscheinung auf der Erde dar. Sie waren meist im östlichen Teil der Welt zu finden und weitgehend isoliert geblieben.

      Aus Erzählungen wusste Sikrit, dass sich die Sitten und Gebräuche der Lebensgemeinschaften der östlichen Hemisphäre derart von denen der westlichen unterschieden, dass sie kaum verständlich waren. Es handelte sich eben um Kulturen, die auf einer völlig anderen Basis aufgebaut waren. Sie musste allerdings zugeben, dass sie persönlich keinen Menschen kannte, der jemals in eines der Magischen Länder vorgestoßen war, und so blieb eine gewisse Skepsis über den Aussagewert dieser Erzählungen.

      Ebenso wie es Ausläufer technischer oder post-technischer Kulturen im Osten der Welt gab, existierten Magische Bereiche vereinzelt in der Westhälfte. Um einen solchen Bereich handelte es sich hier.

      Im Allgemeinen wurden Magische Bereiche gemieden und umgangen, und ihr war kein Beispiel bekannt, dass je Personen oder irgendetwas anderes daraus in die ihr bekannte Welt eingedrungen wären. Diese Zonen waren tabu. Sie stellten keinerlei Bedrohung dar, bereiteten aber naturgemäß den Menschen, die nahe ihren Grenzen lebten, Unbehagen und Unannehmlichkeiten und man machte Umwege um diese Gebiete.

      Es war unbekannt, nach welchen Regeln das Leben in den Magischen Bereichen verlief. Es war die Rede von wunderlichen und beängstigenden Vorgängen, aber diese Geschichten entbehrten jeder Grundlage. Menschen neigten nun mal dazu, dem Unbekannten ihre eigenen verborgenen Ängste anzudichten. Natürlich hatte es wagemutige Frauen und Männer gegeben, die in Magische Zonen vorgedrungen waren, sei es aus Neugier, Forschungsdrang oder als Ausspähungsversuch. Sie wurden nie wieder gesehen. Anders verhielt es sich bei Menschen, die ohne Wissen und Absicht dort hineingeraten waren: sie tauchten unversehrt wieder auf und berichteten - mit geringen Abweichungen in ihren Erzählungen -, dass es sich um verlassene Landstriche handelte, die lediglich einige bekannte Tierarten aber keine Menschen beherbergten. Es wurde vermutet, dass sie nicht die wirkliche magische Welt zu sehen bekommen hatten oder ihnen die Erinnerung daran auf irgendeine Weise genommen worden war. So erwiesen sich diese Augenzeugenberichte als nutzlos.

      Auch in der westlichen Welt waren Menschen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten und Begabungen bekannt und Bezeichnungen wie Zauberinnen, Magier, Hellsichtige, Thaumaturgen oder Psi-Begabte waren durchaus geläufig. Meist waren sie integriert in das alltägliche Leben der Gemeinschaften, nur in wenigen Kulturen spielten sie eine besondere Rolle. Sie beherrschten nicht den Lauf der Dinge, ihre Fähigkeiten wurden so selbstverständlich wie die anderer Menschen in Anspruch genommen und ihnen blieb ebenso der Kontakt zu den magischen Bereichen verwehrt.

      In einigen Lebensgemeinschaften fungierten sie als Ratgeber, da ihnen Wissen um ein erweitertes Weltbild zugesprochen wurde und in seltenen Fällen hatten sich Kulte um sie herum gebildet.

      All das kannte Sikrit aus eigener Erfahrung, ihre Reisen hatten sie selbst in entlegene Gegenden des Kontinents geführt. Doch ein Magischer Bereich war eine andere Sache.

      Sie war nicht gefeit gegen die unbestimmten Ängste, die das Geheimnisvolle erzeugt, vertraute aber auf die Friedfertigkeit ihrer Mission und ihre Absicht, sich lediglich einen Umweg zu ersparen. Trotzdem hatte sie vorsichtshalber ihre »Rüstung« angelegt, die ihr Sicherheit geben sollte, obwohl sie sie im Ernstfall wahrscheinlich nicht schützen konnte. Die Rüstung war ihr zusammen mit der Thermowaffe übergeben worden und bestand aus Jacke und Hose aus einem Material, das sich wie Leder anfühlte und sogar Schutz vor Schüssen aus Energiewaffen bieten sollte. Das war sicherlich eine Übertreibung, und Sikrit hoffte, gar nicht erst in eine Situation zu geraten, in der die Rüstung einem solchen Test unterworfen wurde.

      Weiter nahm sie sich vor, mit Khanur höher als gewohnt zu fliegen, so dass Ausspähungsversuche von vornherein ausgeschlossen waren. Mehr konnte sie nicht tun.

      Jetzt, im Anflug auf den Grenzbereich zur Magischen Zone, kamen ihr Zweifel, ob es wirklich angebracht war, gerade in ihrer Angelegenheit das Risiko auf sich zu nehmen. Schließlich sollte sie sich ausdrücklich nicht m Gefahr begeben, bevor sie ihr Ziel erreicht hatte. Und wenn nun ihr Auftrag mit den Magischen Ländern in Zusammenhang stand?

      Doch das war Spekulation und eine Umkehr nicht mehr möglich.

      Die Überquerung der Grenze machte sich wie ein körperlicher Schlag bemerkbar. Khanur flatterte kurze Zeit hilflos mit den Flügeln, als ob die Luft an Dichte verloren hätte, und es fühlte sich an, als fielen sie in ein Luftloch. Sikrit merkte, wie ein Schwall von Übelkeit und Erbrechen in ihr hochstieg.

      »Zurück,« wollte sie schreien. »Wir müssen umkehren!«

      Aber die Worte drangen wie träge, blubbernde Blasen aus ihrem Mund, und die Töne lösten sich vor ihren Lippen auf. Ein widerlicher Geruch stach ihr in die Nase, und kaum hatte Khanur sein Gleichgewicht wiedergefunden, warf ihn eine starke Kraft aus der Flugrichtung und ein unwiderstehlicher Sog zerrte sie und das Pferd dem Erdboden entgegen.

      Sikrit versuchte den Schock über die unerwartete Attacke zu vertreiben.

      Ihre


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