Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt. Frank Westermann

Eine andere Realität oder Die Zerstörung der Welt - Frank Westermann


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hatte er sich so weit von Farewell entfernt, das war auch nicht üblich, sie waren eine sehr bodenständige Gemeinschaft. Er fühlte sich unsicher und verlassen ohne die vertrauten Gesichter und Stimmen um sich herum, er vermisste den Schutz der Gilde und Familie, wär hinausgeschleudert in ein fremdes Universum. Aus der anfänglichen Neugier war schnell Angst geworden, er vermied Kontakte zu anderen, genoss eher schon den Ritt durch unbewohnte Gebiete des Landes und die Einsamkeit. Gleichzeitig spürte er ein heftiges Verlangen nach Nähe und Gedankenaustausch, aber das blieb unerreichbar für ihn, die Kluft in ihm selbst war zu groß.

      Der Umgang mit Geld war eine weitere Barriere zu dem Abschnitt, der vielleicht noch vor ihm lag. Er war es nicht gewöhnt, sich darüber Gedanken zu machen, was wie viel kostete und welche Bequemlichkeit man für eine bestimmte Summe erwarten konnte. Auch das Verhalten der Menschen zueinander schien sich mehr danach zu richten, welcher Wert einander zugemessen wurde.

      Zardioc schüttelte den Kopf. All dies war schwer zu begreifen, und die Spielregeln sagten ihm nicht zu. Leanda hatte ihn zwar vorbereitet, aber der Gedanke, dass er sich damit noch weiter auseinandersetzen musste, bereitete ihm Unbehagen. Es konnte natürlich geschehen, dass er sich morgen wieder auf den Heimweg machte, aber diese Möglichkeit war unwahrscheinlich. Es hing alles davon ab, was ihm die Kontaktperson berichten würde. Hoffentlich kam das Treffen heute zustande, er wollte diesen ungastlichen Ort so schnell wie möglich wieder verlassen.

      Als er von seinem Spaziergang zurückkehrte, hatte sich die Gaststube gefüllt. Er fühlte neugierige, teilweise ängstliche Blicke auf sich ruhen. Augen, die ihn anstarrten und rasch wieder wegblickten. Die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, störte ihn, unauffällig fühlte er sich wohler.

      Außer zwei Geschöpfen hatte er es bei den Anwesenden mit Menschen beiderlei Geschlechts zu tun. Er erkannte die Trinkrunde von gestern Abend wieder, und auch ein Tisch, an dem nur Frauen saßen, alle mit verhüllten Gesichtern, fiel ihm auf. Ansonsten schenkte Zardioc den Menschen keine weitere Aufmerksamkeit, er hätte es sofort gemerkt, wenn der Bote unter ihnen gewesen wäre.

      Die beiden Nicht-Menschen, die sich an einem kleinen Tisch gegenübersaßen, interessierten ihn schon eher. Ein Nicht-Mensch als Kurier wäre zwar ungewöhnlich, aber er musste jeder Möglichkeit nachgehen.

      Den einen identifizierte er ohne Schwierigkeiten als einen Fung, dessen Fell grünrosa gefärbt war. Fungs gab es relativ zahlreich, und es waren vielerlei Geschichten über sie in Umlauf, deren Inhalt meist humoristischer Natur war. Der Fung trug lediglich eine weite grüne Hose aus seidenartigem Stoff, und seine kleinen, lidlosen Augen in dem runden Kopf blinzelten nervös.

      Der andere Nicht-Mensch war von klobiger Gestalt. Ein wuchtiger Körper saß auf vier Beinen, und die Arme, die aus seinem Obergewand hervorragten waren schuppenbedeckt. Er würdigte Zardioc, der nicht wusste, welchem Volk der Gepanzerte angehörte, keines Blickes.

      Einem der beiden mochte der Kadu gehören, wahrscheinlich dem Fung, denn Zardioc konnte sich nicht vorstellen, dass der Laufvogel das Gewicht des anderen zu tragen vermochte. Er konzentrierte sich kurz auf die Nicht-Menschen, bis er sich sicher war, dass keiner von beiden der erwartete Gesandte war. Dann nahm er an einem freien, abseits stehenden Tisch Platz und wartete geduldig, bis der Wirt ihm sein Frühstück brachte.

      Dieser war jetzt offensichtlich besser gelaunt. Er bot Zardioc an, für ihn ein besseres Zimmer bereitzustellen, da heute noch mehrere Gäste abreisten. Zardioc akzeptierte es dankend, wohl wissend, dass er diese zur Schau gestellte Freundlichkeit nur seinem Geld zu verdanken hatte; Zahlungskräftige Gäste verärgert man nicht. Auch heute waren keine Angestellten zu sehen, der Wirt hatte alle Hände voll zu tun, wahrscheinlich wollte er sein gutes Geld nicht für Lohnzahlungen ausgeben. Zardioc fand das System dahinter verlogen und ineffektiv.

      Während sich sein Magen langsam zu füllen begann - das Essen war reichhaltig und schmeckte ausgezeichnet -, fühlte er sich etwas besser und versuchte seine Gedanken zu ordnen.

      ****

      Angefangen hatte alles vor 10 Tagen, als er mitten in seiner morgendlichen Ausbildung den Ruf Leandas empfangen hatte. Er war sensitiv wie sie und für gerichtete Gedankensignale und unterschwellige Stimmungen besonders ansprechbar. Einige Minuten lang war er sich unschlüssig darüber, wie er sich verhalten sollte. Der telepathische Ruf hatte wichtig und dringend geklungen, und Leanda war eine Frau, die damit vorsichtig umging. Andererseits war es unverzeihlich, den Unterricht einfach zu verlassen, dazu noch mitten in der Meditationsübungen. Doch wenn er den Ruf ernst nahm, blieb ihm im Grunde keine Wahl, denn die Übungen würden sich noch einige Stunden hinziehen. Also erhob er sich leise, bemüht die anderen in ihrer Konzentration nicht zu stören. Der Meister sah ihm mit ausdruckslosem Gesicht hinterher. Noch als er die Halle verlassen hatte, konnte er die bohrenden Blicke in seinem Rücken spüren. Mit seiner Disziplin hatte es nie zum Besten gestanden, aber diesmal hatte er sich wohl die letzten Sympathien verscherzt.

      Draußen empfingen ihn klare Luft und schneidender Wind. Die Sonne stand zwar hoch am Himmel, aber er fröstelte in seiner leichten Schulkleidung. Mit raschen Schritten entfernte er sich von dem weitläufigen, nüchternen Gebäudekomplex, in dem die Schule der Magier-Gilde untergebracht war, und bog auf den schmalen Pfad ein, der in die Berge an der Westseite Farewells hinaufführte. Die niedrigen, aber großzügig gebauten Häuser aus blauem Ton, die ab und zu seinen Weg säumten, ließ er bald hinter sich. Der Pfad wurde steiler und verengte sich weiter, doch er war ihn schon so oft gegangen, dass er glaubte, jeden Stein und Absatz zu kennen.

      Sein vorgelegtes Tempo ließ ihn keuchen, als er die erste Anhöhe erreicht hatte und auf das grüne Tal mit dem sprudelnden Bach und den zierlichen Wisperespen hinuntersah. Kein Zweifel, er war in einer wundervollen Umgebung aufgewachsen, wenn auch weit entfernt von jeglicher anderen größeren Ortschaft.

      Nach kurzer Erholungspause wandte er sich wieder dem Aufstieg zu. Er hatte es nun nicht mehr allzu weit, und der Rest des Weges würde ihn nicht mehr so viel Anstrengung kosten. Die Vegetation war merklich spärlicher geworden und bestand hauptsächlich aus gebeugten Krüppelkiefern und Kriechmoosarten. Eine Schar Blauenten flatterte in niedrigem Flug über ihn hinweg und erfüllte die Luft mit ihrem melodischen Gesang.

      Trotzdem wurde er nervöser, je näher er seinem Ziel kam, die Umgebung verschwand vor seinen besorgten Gedanken. Die Dringlichkeit von Leandas Ruf war außergewöhnlich, und sie hatte ihn noch nie aus einer Unterweisungsstunde geholt.

      Eine halbe Stunde später tauchte ihre Hütte in seinem Blickfeld auf. Sie kauerte unter einem Felsvorsprung in der Nähe des kleinen Wasserfalls. Zardioc fragte sich zum wiederholten Mal, woher Leanda ihre Lebensmittel bezog. Allein von den kümmerlichen Gewächsen und dem geringen Fischbestand konnte sie sich wohl kaum ernähren, und der felsige Boden ließ eine Bewirtschaftung nicht zu. Doch dies war eines der vielen kleinen Geheimnisse, die sie für sich behielt.

      Die Tür stand einen Spalt weit offen, ein Zeichen dafür, dass er schon erwartet wurde. Er musste sich unter der niedrigen Tür bücken, um nicht mit dem Kopf gegen den Rahmen zu stoßen. Helles Sonnenlicht fiel durch das große Fenster und erleuchtete den Hauptraum. Leanda saß auf ihrem üblichen Platz auf den bunten Decken. Ein leises Lächeln umspielte ihr schwarzes Gesicht. Wieder kam sie ihm so jung vor, obwohl sie mindestens 30 Jahre älter sein musste als er. Ihre langen Haare fielen bis auf den Boden, die gedrungene Gestalt ließ die Behändigkeit und Zähigkeit nicht vermuten, die in ihr steckten.

      Unaufgefordert setzte sich Zardioc ihr gegenüber und akzeptierte den dampfenden Becher, den sie ihm hinhielt. Vorsichtig probierte er einen Schluck, musste husten und setzte den Becher wieder ab. Wie immer musste er sich erst an den beigefügten scharfen Kräuterschnaps gewöhnen. Aber gut schmeckte es allemal.

      Vor langer Zeit, noch bevor er geboren war, war Leanda aus ihrer Gilde ausgestoßen worden und hatte sich hierher in die Berge zurückgezogen. Die Ereignisse, die zu dieser außergewöhnlich harten Maßnahme geführt hatten, lagen im Verborgenen und wurden nur hinter vorgehaltener Hand weitererzählt. Wahrscheinlich waren die ursprünglichen Tatsachen inzwischen auch so oft abgeändert worden, dass die Wahrheit nicht mehr herauszuhören war. Zardioc glaubte jedenfalls kaum ein Wort von dem, was ihm ab und zu zugeflüstert wurde.

      Warum


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