Picasso sehen und sterben. Jost Baum
und eine silberne Scheibe mit dem Bolero von Ravel kam zum Vorschein.
Wie geschmacklos, sinnierte Arnoult, als er die CD wieder im Player verschwinden ließ. Arnoult schaltete das Gerät aus, verließ die Kajüte und zog die Tür sanft hinter sich ins Schloß.
Neun
Arnoult schob den Ärmel seines Sweatshirts hoch und blickte auf seine Uhr. Fast Mitternacht, trotzdem zeigte das Thermometer im Schaufenster der Pharmacie Julien noch 30°. Die Mauern und das Pflaster der kleinen Stadt hatten die Hitze des Tages gespeichert und gaben sie jetzt ab. Arnoult wandte sich um und stieg gedankenverloren die Rue Baptiste Texier hinauf, eine kleine Gasse, die auf den Place du 4. Septembre führte. Hier lag das Hotel de Ville, in dem die Präfektur untergebracht war. Die Fenster im Erdgeschoß des ockerfarbenen Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert waren vergittert. Kein Lufthauch regte sich. Die Trikoloren, die rechts und links des Eingangs an Fahnenstangen befestigt waren, hingen schlaff herunter. Es war totenstill, als Arnoult die Tür zum Dienstzimmer öffnete. Er stand in einem großen Raum, grell von Neonlampen beleuchtet, an dessen Wänden graue Aktenschränke aufgereiht waren. Auf den beiden Schreibtischen, die in der Mitte standen, türmten sich Monitore, Telefone und ein Haufen unerledigter Papierstapel. Über dem Aktenschrank entdeckte Arnoult großformatige Photos von Tourenrennwagen, aufgenommen auf dem Circuit Paul Ricard. Die Betonpiste, auf der im Sommer auch Formel 3-Rennen ausgetragen wurden, lag versteckt hinter Pininenwäldern auf einem Hochplateau, mitten in den Bergen von Le Castellet, keine dreißig Kilometer von St. Cyr entfernt.
Roubaix saß an einem der Schreibtische, gähnte herzhaft, nahm einen Schluck aus einem Pappbecher und steckte sich eine Zigarette an, bevor er auf einen kleinen gedrungenen Mann deutete, dessen Polizeiuniform in der Wäsche eingelaufen sein mußte, denn die Jacke spannte sich über dem Bauch, der sich über einen schmalen Ledergürtel wölbte. Die Uniformhose hatte Hochwasser, sodaß es zwei graue Socken zu entdecken gab, die in blank gewienerten schwarzen Halbschuhen steckten.
Darf ich vorstellen, Sergeant Verlaine, Kommissar Arnoult, sagte Roubaix, wobei er mit einer weitausholenden Geste jeweils auf die Beamten deutete.
Angenehm, nickte Arnoult.
Kommissar, erwiderte Verlaine, wobei er für einen kurzen Moment Haltung annahm.
Sergeant Verlaine ist derjenige, der die Todesnachricht überbracht hat. Roubaix nahm einen tiefen Zug von der Zigarette.
Und, hatten sie alle die Hosen runter gelassen? spottete Arnoult.
Nein, Monsieur, ich hörte Musik, als ich die Yacht endlich gefunden hatte. Ich klopfte an die Kajütentür und wartete nicht, bis man mir aufmachte. Diese Monique tanzte auf dem Tisch, sie war gerade dabei ihre Bluse aufzuknöpfen … Auf der Stirn des Sergeants hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Er war nervös und stützte sich mit einer Hand an der Schreibtischkante ab.
Und die anderen?
Ich weiß nicht mehr so genau … Monsieur Heroult saß zusammen mit der Schauspielerin auf der Bank. Sie hatte ein kurzes Sommerkleid an, daß verdammt viel Bein zeigte. Soweit ich mich erinnern kann, trug sie hochhackige Riemchensandalen, aber nackt war sie nicht, stotterte Verlaine.
Und die beiden Männer?
Heroult hatte ein T-Shirt und Boxershorts an, der junge Bertrand war vollständig bekleidet. Er füllte, glaube ich, gerade die Gläser nach.
Was passierte dann? Arnoult gähnte herzhaft hinter der vorgehaltenen Hand und sehnte sich nach einem Kaffee.
Als Heroult meine Uniform sah, hat er die Musik abgestellt und seine Hose wieder angezogen. Nachdem ich ihm erzählt hatte, daß wir den alten Bertrand tot aufgefunden haben, ist Monique vom Tisch gestiegen und hat Patrique in den Arm genommen. Der hat ganz schön gezittert. Mademoiselle Clavine hat sich eine Zigarette angesteckt, ist aufgestanden und hat sich schnell verabschiedet. Die drei anderen sind mit dem Polizeiwagen zur Villa gefahren. Während der Fahrt hat keiner von ihnen etwas gesagt.
Haben sie eigentlich Spielkarten in der Kajüte bemerkt? Nein … nicht das ich wüßte, überlegte Verlaine. Kann aber sein, daß ich sie in der Aufregung und der Eile übersehen habe. Danke Verlaine, sie können gehen. Wenn ich sie noch einmal brauche, lasse ich es sie durch Inspektor Roubaix wissen. Verlaine nickte erleichtert. Er verabschiedete sich schnell und ging hinaus.
Was halten sie denn von dieser Geschichte mit dem Strippoker, Roubaix?
Warum nicht? Die Leute sind heute sehr freizügig. Ich will ihnen mal was erzählen. Vor vier Wochen habe ich am Strand von St. Cyr ein Mädchen kennen gelernt. Sehr hübsch. Sie erzählte mir, daß sie Studentin in Marseille sei und daß sie hier ihre Cousine besuchen würde. Ich fand sie sehr nett und habe abends mit ihr in einer Discothek in Bandol getanzt. Den Rest können sie sich sicher denken. Als ich sie am nächsten Morgen fragte, ob ich sie noch einmal wiedertreffen kann, da schlug sie doch tatsächlich vor, daß ich sie im Internet besuchen könnte. Sie sei ein Webcamgirl, zwei Euro fündundneunzig die Minute! Was sagen sie dazu?
Und haben sie ihre Dienste im Netz in Anspruch genommen? grinste Arnoult.
Ach Blödsinn … natürlich nicht! Ich kam mir wirklich dämlich vor. Aber so sind sie die jungen Dinger. Sex gegen Geld ist heute kein Problem mehr, erwiderte Roubaix ärgerlich.
Na schön … und, sind sie bei ihren Recherchen fündig geworden? Arnoult lenkte ein.
Ja, mir scheint, da hat unsere Bande wieder zugeschlagen. Sehen sie hier. Roubaix hielt triumphierend den Var Matin hoch. Dabei deutete er auf ein Photo, das eine Villa zeigte, die in den Bergen oberhalb von Bandol lag. Der Einbruch dort ist letzte Woche passiert. Zwei weitere vor einem Monat in Cassis. Alle nach dem gleichen Muster. Die Besitzer sind nicht da, die Alarmanlage ist entweder nicht vorhanden oder abgeschaltet. Die Diebe nehmen soviel Wertvolles mit, wie sie tragen können. Meist Schmuck, Tafelsilber, herumliegendes Bargeld, Kreditkarten und – wie hier in Bandol – einen kleinen Matisse.
Haben sie schon eine Spur? Arnoult hatte Mühe, interessiert zu wirken.
Nein, aber ich gehe davon aus, daß die Typen hier aus der Gegend stammen, sich gut auskennen und die Villen vorher ausgekundschaftet haben, bevor sie losschlugen. Ein Mord ist dabei allerdings noch nie passiert. Ich vermute, daß sie überrascht wurden und dann aus lauter Panik den alten Bertrand erschlagen haben.
Gut, Roubaix, kümmern sie sich um die Obduktion und um die Ergebnisse der Spurensicherung … Ach ja, und überprüfen sie, wer noch alles einen Schlüssel zu diesem Sicherheitsschrank hatte. Ich selbst gehe morgen auf große Fahrt.
Wie bitte? Roubaix spürte, wie ihm die Galle hochkam.
Tja, ich bin von Heroult und seiner Freundin zu einem Ausflug mit der Petite Fleur eingeladen worden. Mal sehen, welche Märchen mir die beiden noch auftischen werden.
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