Was bildet ihr uns ein?. Группа авторов

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Form an Hauptschulen. Dort lernen Schüler, denen das Schulsystem vermittelt hat: Ihr seid nicht gut genug! Sie wurden nach der Grundschule aussortiert und wissen, dass sie nicht für gut genug befunden wurden, eine Realschule oder gar ein Gymnasium zu besuchen. Die Gesellschaft trägt ihr Übriges dazu bei: Seien es der Jugendclub, wo abschätzig über „die Hauptschüler“ geredet wird, die Freunde aus der Grundschule, die sich von ihnen distanzieren, oder die Medien, die sich auf Extremfelle stürzen und damit weiter Vorurteile nähren: dumm, faul und der Wunsch, einmal Hartz IV zu bekommen. Selbst mögliche Idole wie Kultmoderator Stephan Raab bedienen diese Klischees. Über die Schlagworte dumm und Hauptschülerin gelangt man auf der Plattform YouTube zu einem bekannten Einspieler der Sendung TV Total89: Ein junges Mädchen antwortet auf die Frage, was ihr Traumberuf wäre: arbeitslos – ein Lacher, zumindest für viele Zuschauer. Die Hauptschüler selbst fühlen sich diffamiert und müssen ständig beweisen, dass sie diesem Klischee nicht entsprechen. Wenn überhaupt, bedient wohl nur ein minimaler Prozentsatz der Hauptschüler die Vorstellungen, die über sie kursieren.

      Dass unter diesen Umständen bei Hauptschülern nur selten die Motivation erhalten bleibt, die sie, wie wohl fast alle Kinder, bei der Einschulung hatten, verwundert nicht. Sie werden durch das System regelrecht demotiviert. Das Fatale aber ist, dass es dabei nicht bleibt. Das Urteil der Gesellschaft nehmen sie an, und sie beginnen, wirklich zu glauben, dass sie unfähig sind! Dies ist so entscheidend, dass es an dieser Stelle wiederholt werden muss: Sie beginnen aufgrund falscher Bilder zu glauben, dass sie unfähig sind! So trifft man das Selbstwertgefühl dieser Jugendlichen maximal im Keller an, wenn sie es nicht schon ganz begraben haben. Dieser verlorene Glaube an sich selbst, wiegt bei jedem Schritt, den sie in der Schule machen, schwer, und sogar noch im späteren Berufsleben. Im Unterricht versuchen sie oft gar nicht, gegebene Aufgaben zu lösen, weil sie die Gewissheit verinnerlicht haben, es ohnehin nicht zu schaffen. So bleibt die Mehrheit der Hauptschüler weit hinter ihren Möglichkeiten, da das System ihnen nichts anderes vermittelt. Die Chancenlosigkeit, die sich daraus ergibt, birgt zudem offenbar die Gefahr, psychisch krank zu machen. So sind besonders Schüler an Haupt- und Realschulen von depressiven Stimmungen betroffen – insgesamt 32 Prozent. Doch auch auf Gymnasien hat der Druck und die Angst zu versagen übergegriffen. Dort ist fast jeder Vierte von Selbstzweifeln geplagt. 90

      Glücklich sein statt Glück haben

      Es ist also mehr als deutlich, dass wir ein neues Verständnis von Schule brauchen. Und da reicht es nicht aus, einfach nur die Hauptschule abzuschaffen, was derzeit die Politik als das Allheilmittel zur Lösung aller Probleme proklamiert. Das Grundproblem wird dadurch nicht beseitigt, denn die Einteilung in „Gut“ und „Schlecht“ bleibt bestehen und auch die fatale Grundannahme des Systems: Es gibt schlechte Schüler, die die Besseren aufhalten.

      Eine Schule für alle wäre der erste Schritt, aber auch nur der allererste. Eigenmotivation ist entscheidend für den Lernerfolg, und diese Einsicht muss in den Neustart des Bildungssystems maßgeblich einfließen. Doch was genau kann im Klassenzimmer passieren?

      Das Problem ist, dass es die eine zuverlässige Motivationsformel nicht gibt. Dennoch bleibt die Frage, was den Menschen motivieren kann. Es scheint erst einmal ein Widerspruch zu sein, dass ein Anstoß von außen kommen soll, um die inneren Motivationskräfte zu bewegen. Es gibt aber immer wieder Beispiele aus der Praxis, bei denen genau das funktioniert. Eine wichtige Antriebsformel ist dabei das Erfolgserlebnis. Es bedarf keiner hohen Mathematik, um erst einmal festzustellen: Je höher der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Schüler91 Erfolg hat. Nun soll es aber nicht darum gehen, nur einfache Aufgaben zu stellen, um den Jugendlichen Erfolg vorzugaukeln. Dies hätte dem Psychologen Falko Rheinberg nach sogar demotivierende Folgen, da die Lösung zu selbstverständlich scheint. Deswegen müssen Aufgaben so gestellt werden, dass sie nicht zu einfach erscheinen und der Anreiz da ist, sie zu lösen. Gleichzeitig dürfen sie nicht zu schwierig sein. Es sind also die mittelschweren Aufgaben, die Schüler herausfordern und voranbringen. Mit der Zeit verschiebt sich dann der Anspruch der Jugendlichen und somit auch das, was mittelschwer bedeutet. Daher ist es entscheidend, dass Aufgaben individuell auf Schüler zugeschnitten werden.

      Im Buch von Rheinberg werden aber auch Praxisbeispiele dargestellt, wie Motivation problemlos in den Schulalltag eingebaut werden kann: Man stelle sich vor, man müsste im Mathematikunterricht zehn Aufgaben rechnen und man wüsste genau, mit Mathe hat das noch nie so richtig geklappt. Jetzt steht auf dem Aufgabenblatt die Frage, wie viele Aufgaben man glaubt, richtig zu rechnen? Wenn man vier vorhersagt und letztlich fünf schafft, ist es ein Erfolg, obwohl eigentlich nur die Hälfte richtig gerechnet wurde. Auf diesem Weg können Jugendliche aber lernen, sich selbst einzuschätzen, ihre Stärken und Schwächen kennenzulernen.92

      Lernen nach Zahlen

      Was im Klassenraum über Erfolg und Misserfolg entscheidet, sind letztendlich Noten. Dieser vermeintlich objektive Maßstab soll Schülern als Orientierung dienen, sich selbst zu beurteilen. Diejenigen, die die Schule schon hinter sich gelassen haben, schauen oft differenziert auf ihre Noten, die in der Schule vergeben wurden. Die meisten wissen oder können es im Studium oder im Berufsalltag sogar beweisen, dass Noten nur wenig über das eigene Leistungsvermögen aussagen. Für Schüler hingegen kommt es dem Urteil eines Richters gleich, dem Glauben geschenkt wird. Schließlich wird im Schulalltag auch viel dafür getan, dass Noten als objektiver Maßstab für Schüler erscheinen. Die offizielle Bestätigung, dass sie subjektiv sind, würde dieses Konzept einstürzen lassen. Was sagt es nun aber über mich als Person aus, wenn ich eine 5 erhalte?

      Vielen Schülern wird damit ein Nichtkönnen suggeriert. Und damit ist das Selbstbild gezeichnet. Diese Endgültigkeit, die Noten für Schüler besitzen, kritisiert auch Sabine Czerny. Die Lehrerin aus Bayern war im Jahr 2009 mit dem Courage-Preis der Bayerischen Pfarrbruderschaft93 ausgezeichnet worden, weil sie „die gängige Art der Leistungsbewertung und die damit verbundene Klassifikation von Kindern in Frage gestellt“94 hatte. Zuvor war sie versetzt worden, weil sie ihre Schüler zu gut benotet hatte.

      Anhand ihres Schulalltages beschreibt sie, dass Noten für die Jugendlichen Sieg oder Niederlage bedeuten. Dies führt sogar soweit, dass mit der Zensureneinführung Schüler aufhören, Fragen nach ihren Fehlern zu stellen, die sie im Test gemacht haben. Es scheint offenbar plötzlich unwichtig zu sein, Sachverhalte noch nach Prüfungen zu verstehen, denn schließlich war das Urteil in Form einer Zahl schon gesprochen. Dies führt dazu, dass die Bereitschaft zu lernen an die Note gebunden wird und Kinder darauf getrimmt werden, ihre Motivation von dem Urteil anderer abhängig zu machen – ein Effekt, der inzwischen unsere Gesellschaft durchdringt und selbst an Universitäten anzutreffen ist.

      Aber sind wir bereit, die Noten abzuschaffen? Bereit, in einer von Wettbewerb geprägten Gesellschaft, in der Zahlen als das wichtigste Messkriterium gelten, ein gängiges System zu revolutionieren?

      Diese Ziffern sind ein Maßstab, mit dem die meisten in unserer Gesellschaft aufgewachsen sind. Es ist vertraut und bringt an manch einem Familienabend Geschichten zutage, die Generationen verbinden: Denn vermutlich ist jeder schon einmal gefühlt ungerechtfertigt benotet worden. Genau weil es so vertraut ist, und seit Generationen gilt, fühlt es sich komisch an, sich die Schule ohne Noten vorzustellen.

      Doch es gibt Schulen, an denen das funktioniert. Die Göttinger Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule ist eine von fünf Schulen in Deutschland, die eine Ausnahmegenehmigung hat, keine Noten zu geben – zumindest bis zur 8. Klasse. Zu den Zeugnisterminen erhalten die Schüler sogenannte individuelle Lernentwicklungsberichte, in denen ausführlich die Entwicklung jedes Einzelnen beschrieben wird.95 Diese Art von Schule muss sich mit Vorwürfen wie Kuschelecken-Pädagogik auseinandersetzen, wie es einst der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog betitelte. Doch dieses „Kuscheln“ brachte im Jahr 2010 die beste Abiturientin Niedersachsens hervor.96 Erfolgreich lernen funktioniert also auch so.

      Eine Schule ohne Noten kann, wenn es richtig umgesetzt wird, dem Glück wieder Eintritt zumindest in die Vorhalle der Schule gewähren. Diesen Schritt sollten wir wagen. Denn dieses Prinzip hat nicht nur eine motivierende, sondern langfristig eine


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