Was bildet ihr uns ein?. Группа авторов

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Eigenschaften, die vor allem dann zum Vorschein kommen, wenn ich meine Familie in der Türkei besuche. Dort bin ich kein wirklicher Türke. Auch wenn ich gut Türkisch spreche, habe ich einen deutschen Akzent. Meine Art zu denken ist deutsch. So sagt mir meine Familie in der Türkei, dass ich strukturiert und logisch an Probleme herangehe. Ich habe deutsche Angewohnheiten, die sich durch meine Bildung in der deutschen Schule gefestigt haben. Aber ebenso bin ich kulturell türkisch geprägt, was auf meine elterliche Erziehung zu Hause zurückgeht. Diese Eigenschaften unterscheiden mich manchmal von meinen deutschen Freunden. Als Kind war diese Erfahrung immer von dem Gefühl geprägt, zwischen den Stühlen zu sitzen. Aber in jungen Jahren möchte man einfach dazugehören! Das heißt auf dem einen oder anderen Stuhl sitzen, und sich angekommen fühlen und auch wissen. Heute bewege ich mich bewusst zwischen diesen beiden Stühlen. Einmal sitze ich auf dem deutschen Stuhl und das andere Mal wieder auf dem türkischen. Jedoch nie ständig auf einem der beiden. Dies hat aus meiner heutigen Sicht viele Vorteile: Jugendliche mit Migrationshintergrund oder Jugendliche, deren Eltern aus zwei verschiedenen Nationen kommen, sind viel eher in der Globalisierung angekommen als ihre deutschen Altersgenossen. In der globalisierten Welt, die im Begriff ist, das bisherige gesellschaftliche Leben stark zu verändern, ist der Multikulturalismus des einzelnen Menschen zu einer wichtigen Charaktereigenschaft erstarkt. – Für gewöhnlich bringt der „Migrationshintergrund“ einen Reichtum für das gesellschaftliche Leben mit sich. – Sei es jede weitere Sprache, die man zu sprechen in der Lage ist, oder aber eine andere Sicht der Dinge, um nur zwei Vorteile für die Welt von heute und morgen zu nennen. Es ist die Hauptaufgabe der Bildungsinstitutionen, diese Diversität konstruktiv zu managen. Dem Zusammenwirken zwischen privat und öffentlich, zwischen elterlicher und schulischer Erziehung, messe ich deshalb große Bedeutung für die erfolgreiche Integration von Schülern mit Migrationshintergrund in das deutsche Leben bei.

      Sie können jetzt denken: „Das Bildungssystem kann doch nicht so schlecht sein! Der hat es doch geschafft!“ Doch nicht ohne Grund trifft man Arbeiterkinder mit Migrationshintergrund statistisch gesehen seltener an deutschen Universitäten. Meistens sind sie strukturell benachteiligt, also werden aufgrund von Kategorien wie ihrer ethnischen Herkunft abgewertet. Außerdem werden sie oftmals viel zu früh aufgegeben oder aber gar nicht erst gefördert.

      Man sollte nicht das unglaubliche Durchhaltevermögen verkennen, das man für die Überwindung der genannten Hürden benötigt. Dass es vielen nicht nur um den Unterrichtsstoff, sondern zusätzlich noch um das korrekte Erlernen der Sprache geht, ist offensichtlich. Deshalb liegt eine doppelte Last auf Arbeiterkindern mit Migrationshintergrund. Ein ausgeglichenes Schulsystem, wie es in einigen Aspekten die Gesamtschule darstellt, kann diesen Schülern helfen, persönlich und gesellschaftlich voranzukommen.

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       Motivieren, bis das Vorbild kommt

      Bettina Malter, Susanne Julia Czaja, Tobias Stephan und Anne Hoffmann

      Was tun, wenn der Mitarbeiter nicht motiviert ist? Zu dieser Frage haben Wissenschaftler verschiedenste Theorien aufgestellt, um hier Lösungen vorzulegen. Auch Unternehmen haben ein großes Interesse daran und entwickeln eigene Strategien, denn schließlich hängt von der Motivation der Mitarbeiter die Qualität der Arbeit ab und somit auch der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens. Doch wie sieht das bei Schülern aus? Gibt es Theorien, wie Schüler besser motiviert werden können? Weit verbreitet ist die Annahme, dass Kinder von Natur aus lernbegeistert sind, dass es also gar nicht nötig sei, sie zu motivieren Der President des Lehrerverbandes Josef Kraus spricht von einer „Holschuld des Kindes“80. Demnach seien Schüler selbst verantwortlich, was sie aus dem Unterricht mitnehmen. Von Motivation in der Schule noch keine Spur. Nimmt man folglich an, dass sie keine Rolle an Schulen spielen muss?

      Schaut man in die Vergangenheit, so wird man schnell fündig. Schon der Philosoph Immanuel Kant schrieb, dass Kinder am besten mit „einem Gefühl der Lust“81 lernen können. Und die Bildungsreformer des 18. Jahrhundert hatten gar die Vorstellung, die Erziehung diene dazu, „Kinder zu einem […] glückseligen Leben vorzubereiten“82.

      Der erste Lehrstuhlinhaber für Pädagogik, Ernst Christian Trapp, machte daher den Erfolg von Bildung vom Glück des Kindes abhängig. Aber Schule und Glück sind in unserer heutigen Gesellschaft zwei Parameter, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen: Die Schule soll schließlich keinen Spaß machen. Wo kommen wir denn da hin? „Mit der Schule ist es [schließlich] wie mit der Medizin: Nur wenn sie bitter schmeckt, wirkt sie“, wie es ein Lehrer in dem Film Die Feuerzangenbowle beschreibt. So oder so ähnlich hat es der ein oder andere wohl schon einmal in seiner eigenen Schulzeit gehört. Dass dem so ist, verdanken wir Wilhelm von Humboldt. Mit seiner Vorstellung von Bildung verschwand das Glück aus den Klassenzimmern, und ob Lernen Freude macht, wurde gleichgültig.83

       Glauben kann eben doch Berge versetzen

      Aber einmal ernsthaft gefragt: Wo kommen wir denn hin? Wo landen wir, wenn wir die Humboldtsche Idee beiseite schieben und dem Glück wieder seinen Raum geben? Denn fragt man Hirnforscher, so schreiben auch sie der Lust einen großen Stellenwert beim Lernen zu und bemängeln, dass neue Erkenntnisse der Emotions- und Motivationspsychologie kaum in die Pädagogik oder Didaktik einfließen.

      So macht der Neurobiologe Gerald Hüther deutlich, dass Menschen nicht nur einfach Sachverhalte lernen, sondern die Lernsituation an sich stets mit einfließt. Lernen Jugendliche also unter Angst und Druck, wird dieses negative Gefühl mit dem zu lernenden Thema oder gar dem Fach verknüpft.84 Und nicht nur das. Es ist sogar neurologisch bewiesen, dass Menschen unter Angst schlechter lernen. Denn in diesem Gefühlszustand schaltet das Gehirn in einen Modus, in dem es sich darauf konzentriert, der Quelle der Angst zu entkommen. Jegliche Kreativität wird dadurch völlig eingeschränkt. Der bekannte Gehirn- und Lernexperte Manfred Spitzer betont in einem Vortrag gar, dass noch Jahrzehnte später bei Themen, die mit Angst verknüpft sind, keine kreativen Tätigkeiten möglich sind.85 Es ist also ganz deutlich, dass die Schule nicht nur ein Ort des Wissens sein kann.

      Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) stellte im Jahr 2003 fest, welch wichtige Rolle die Motivation von Schülern für den Lernerfolg hat.86 Und motiviert ist ein Mensch wohl, wenn er Freude an dem hat, was er tut. Der OECD zufolge sei nicht nur guter Unterricht für den Lernerfolg verantwortlich, sondern auch die Eigenmotivation des Schülers. So zeigt das Ergebnis: Schüler, die besser motiviert sind und an ihr eigenes Können glauben, erzielen bessere Leistungen in der Schule.

      Dieser Zusammenhang klingt intuitiv so richtig, dass man fast meinen mag, eine solche Studie nicht zu benötigen. Doch schaut man in unserem Schulsystem an, wie wenig Zeit für die Frage nach Glück und Motivation aufgewendet wird, dann bleibt nur die Forderung: mehr davon! Am besten wöchentlich, bis endlich jemand in der Politik aufwacht und die Dramatik begreift, die sich hinter diesem Thema verbirgt: Wir brauchen ein Schulsystem, in dem Lernen Spaß macht. Und das würde gleichzeitig bedeuten, dass die Schule an sich neu gedacht und auch die Einstellung gegenüber Schülern verändert werden muss.

      Denn wie Kinder und Jugendliche von außen gesehen werden, wirkt sich direkt auf sie aus. Einstellungen, die durch das System vermittelt werden, übertragen sich einer anderen Studie der OECD zufolge87 auf die Schüler und beeinflussen so direkt ihre Zukunft. Auf der psychologischen Ebene lässt sich das mit dem sogenannten Erwartung-mal-Wert-Modell des Pioniers der Motivationspsychologie, John Atkinson, erklären. Danach wird eine Person wenig um ein Ziel bemüht sein, wenn sie glaubt, dass ihre Erfolgsaussichten gering sind. Denn Menschen streben danach, Ereignisse zu erleben, die positiv für sie sind. Misserfolge suchen sie zu vermeiden.88 Anders gesagt: Ein Schüler, der nicht an sich glaubt und somit auch seine Erfolgsaussichten als gering einschätzt, wird immer unter seinen eigentlichen Möglichkeiten bleiben – solange das System ihm nichts anderes kommuniziert. Wenn die Schule also davon ausgeht, dass bestimmte Schüler nicht motiviert werden müssen, da sie ohnehin verloren sind, überträgt sich


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