Das perfekte Wirtshaus. Jürgen Roth

Das perfekte Wirtshaus - Jürgen Roth


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nicht einschüchtern, und so hatten wir es schließlich immerhin auf dreizehn Folgen gebracht. Daß kurz nach Erscheinen des letzten Textes plan.F eingestampft wurde, finden wir noch heute fast ungeheuer okay.

      Tanja, merci!

      Nach dem Ende der Serie wurde sie informell in multipler Aufsplitterung in anderen Zeitungen fortgesetzt. Ich danke vor allem Jörg Hahn, Freddy Langer und Jakob Strobel y Serra von der FAZ, Michael Ringel von der taz und Christof Meueler von der jungen Welt. Sie haben Texte in Auftrag und/oder in Druck gegeben, die ich im Hinblick auf die Fertigstellung des Perfekten Wirtshauses zusammengehauen habe.

      Gut möglich, daß das eine oder andere Etablissement, das auf den folgenden Seiten Erwähnung findet, mittlerweile nicht mehr existiert. Das wäre ein weiteres Indiz für das unaufhaltsame Verschwinden der letzten wahren, schönen, guten Wirtshäuser und Trinklokalitäten.

      Gut möglich obendrein, daß dem Leser gewisse regionale Einseitigkeiten ins Auge fallen und er im Gegenzug lobenswerte Kneipen etwa im Ruhrgebiet oder im hohen Norden vermißt. Erstens: Ich kann nicht überall sein. Zweitens: Neigung und Gewohnheit spielen in Sachen Gasthausbesuch natürlich keine unbedeutende Rolle. Drittens: Die Auswahl unterliegt auch dem Zufall; wo mich eine Redaktion hinschickt oder wo ich eine Rast einlege, das entscheide nicht ich und plane ich nicht. Viertens: Es geht hier letztlich um das Typische von Orten, an denen es sich lohnt, zu verweilen und – vornehmlich – Bier zu trinken.

      Sicher, zur Münsteraner Brauerei Pinkus Müller, in deren Ausschank ich mit Michael Rudolf mal einen hervorragenden Nachmittag verbaselt habe, zu einem ausgezeichneten Lärmladen in der Dresdner Südstadt, dessen Name mir entfallen ist, zum Augustiner-Keller und zum Jennerwein in München (ich bin im Besitz des Jennerwein-Raucherklubausweises Nummer 5.000), zur Gaststätte der Erdinger Weißbräu und zum Raucherclub Möller’s in Hamburg hätte ich durchaus ein paar Worte verlieren können. Aber manchmal habe ich keine Lust, mir Notizen zu machen und zu schreiben. Ich bitte um Nachsicht.

      Unruinierte Universalglückskomponenten

      Wer durch die Praxis galvanisierte Mitteilungen machen möchte über die letzten wahren Wirtshäuser, über Gaststätten und Lokale, die sich gegenüber dem Perfektibilitätsgedanken der Aufklärung zumindest noch als aufgeschlossen erweisen, der wird zunächst kaum im engeren oder weiteren hessischen Großraum verweilen, sondern voller Verve und maßstabsuchend ins angrenzende Bayern ausreiten und dort aber sofort in eines der gesegneten Segmente der Erdschrunde preschen: in die Fränkische Schweiz.

      Der Mensch ist anthropologisch maßgeblich bestimmt durch zweierlei – durch die Sprache und, so legt es der radikale französische Republikaner Claude Tillier in seinem mit Rinderzungen zu preisenden großhumoristischen Roman Mein Onkel Benjamin (1843) überzeugend dar, durch die Fähigkeit, sich zu betrinken. Der Mensch ist im Sinne auch Schillers nur dort voll entwickelt und des weiteren in irgendeiner Weise und Richtung entwicklungsfähig, wo er ohne Arg noch List und ohne störende Umstände herumhocken kann (also beispielsweise in einem Gerhard Poltschen »erdbebensicheren Gebiet« als vornehmlich Biergartengebiet), wo er dann in einem gewissermaßen traulichen Ambiente herumschwatzen darf und zudem eines jederzeit in unerschöpflicher Menge und extraordinärer Qualität vorrätigen Getränks habhaft zu werden vermag, eines Getränks, das sich reziprokproduktiv zur hellen, lichten Sprachlichkeit des Menschen verhält. Es handelt sich hierbei um das Bier.

      Alle drei Universalglückskomponenten sind in Heckenhof im Zentrum der Fränkischen Schweiz aufs edel-irdischste miteinander verbunden. Das liegt zum einen an einer waldbuckeligen, von Hohlwegen und Feldgehölzen durchzogenen und tektonisch krisenfreien Landschaft, zum anderen an der Wirtschaft Kathi-Bräu. Der Frankfurter muß lediglich etwa zweihundertdreißig Zug- oder Pkw-Kilometer überwinden, um das im 15. Jahrhundert gegründete Brau- und Schankhaus zu erreichen. Das ist fürs Paradies kein schlechter Wert.

      Am besten schlägt man sich östlich von Bamberg via Heiligenstadt nach Aufseß durch und erklimmt anschließend eine kleine Anhöhe über den neuerdings zum »Wellness-Wanderweg« beförderten Treckerpfad. Hinter einer generös arrangierten Baumgruppe eröffnet sich dem himmelblauen Blick zunächst ein gar nicht hinterfotzig genug zu verfluchender Parkplatz für jene Biker, die Kathi-Bräu zum »Szenetreff« erkoren haben und wochenends als »Wheelies« das »hopfige Naß« (www.bikeandmedia.de) in die Lederkörper importieren, um hinterher folgende Bike-and-Beer-Poetry ins virtuelle worldwide Hohlhausen zu pflanzen: »Ich geh nach Heckenhof seitdem ich 10 bin, da bin ich noch mit meinem Vater gefahren. Mittlerweile fahre ich selber und ich werde auch noch mit 60 Jahren dahin fahren, da ist es einfach super und die Kathi Bräu in Heckenhof ist im Sommer schon so ne Art Familie.«

      Ist sie, Gott sei es gedankt, unter der Woche nicht – sondern vielmehr ein anarcholibertäres Gemütlichkeitsterrain at its best. Da rasten unter elysischer Laubüberdachung und in archäologisch wertvoller Ruhe um halb elf Uhr morgens junge Müßiggänger, Spazierleut’, Handwerker, festgeschraubte Krugstemmer und gemischte Rentnermannschaften, die frohvollst das malzmuntere, nach »Geheimrezept« der 1993 verstorbenen Braumeisterin Kathi Meyer verfertigte braune Lagerbier einsaugen, das zwischen Plackenschwarz und Lakritzbraun changiert und durch seine kompottartigen Nuancen zuweilen an Schwarzbier oder sonst was erinnert. Eine Katze sieht das ebenfalls für geraten an, sofern sie nicht im wilden Garten neben dem durch und durch unruinierten, weil unrenovierten Gasthaus inklusive finsterem Schankraum, schwankendem Steinboden, Rinnenpissoir und Eistruhe herumtapst oder -fläzt.

      Draußen darf es zwar auch eine Brotzeit sein respektive ein Käsekuchen; doch wer »auf den Keller geht«, wie es heißt, wenn man in Oberfranken in den Biergarten marschiert, der hält a) keine »Benzinreden« (s. o.) und bleibt b) »den ganzen Tag sitzen, verdammt!« (K. Sokolowsky), nämlich beim Bier (und höchstens bei einem Zusatzteller Sauerkraut). Er weiß dann, daß auf der hiesigen »Agora reborn« nicht bloß die »unheimliche Macht von Hademar Bankhofer« angemessen erörtert und eine fürwahr fortschrittliche Debatte über Biker geführt werden kann, über Stahlroßdompteure, die im Münchner Englischen Garten den Bärlauchsammler Prof. Sailer in den Wahnsinn treiben. Er erfährt obendrein, daß am Tisch der Wissenden ab Seidla Nummer fünf (0,5 l, 1,60 €) noch weit über Luthers Tischredenidiotien hinaus der diverseste Quark und versierteste Schrott in die Dialogspirale flutscht; so daß er zuletzt volle Kartusche »am Baum der Erkenntnis genascht hat«

      (E. Stoiber, 14. März 2003) und es ihm mithin nachgerade vernünftig dünkt, ergänzende drei bis sechs Runden lang den Arsch nicht mehr hochzukriegen.

      Oder er schaut klappehaltend einer fingernagelgroßen grünen Raupe zu, die sich über Stunden hinweg stillvergnügt und lässig leuchtend in der Bierpfütze auf dem Holztisch wälzt.

      Wege zur Wonne

      Wer mit dem Wort »Bierstraße« nicht bloß eine Gasse in Osnabrück oder Chemnitz meint, die genau so heißt, und wer des weiteren unter »Bierstraße« nicht allein die sogenannte mallorquinische Sauf- und Raufmeile Calle de Miquel Pellisa in S’Arenal versteht und dabei verzückt an das degoutante Gebaren in Vorhöllen wie dem Deutschen Eck und dem Almrausch denken muß, der weiß, daß es im Bierwunderland Franken nicht nur Hunderte von kleinen und feinen Brauereien, sondern auch Bierstraßen gibt, die zum Teil sogar ins Niederbayerische und nach Thüringen ausgreifen.

      Im Oberfränkischen zentriert bleibt zunächst die Fränkische Bierstraße, eine Fremdenverkehrsinitiative, die mit Brauerei- und Kirchweihbesuchen, Bierwochen und anderen Festivitäten für die Region wirbt. Der Verein Fränkische Bierstraße bietet jedoch darüber hinaus Touren an, die auch Nürnberg, das südliche Mittelfranken oder den Steigerwald einbegreifen.

      Eine der Rundreisen startet in Bayreuth, wo sich neben dem Festspielhaus vor allem das Museum der Maisel’s-Brauerei und der Herzogkeller für eine Visite anbieten. Auf der B 85 Richtung Kulmbach erreichen wir dann Altdrossenfeld. Dort hält die Brauerei Schnupp ein gängiges Edelpilsener bereit, das unter beinahe allen Umständen runtergeht. Einige nordöstliche Kilometer entfernt


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